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Brandenburg Spezial
33 Quadratmeter, geknickt
Von Florian Heilmeyer
19.03.2015

Schönhagen ist kaum ein Dorf. Es ist eher eine minimale Ansammlung alter Höfe, ein Weiler vielleicht. Hinzu kommt, dass Schönhagen wirklich im Nichts liegt: etwa 100 Kilometer nordwestlich der Berliner Stadtgrenze kreuzen sich hier keine Wege, es gibt keinen attraktiven See und keine der seltenen Erhebungen Brandenburgs. Man wundert sich nicht, dass Tourismus hier keine Rolle spielt; warum sollte man hierherkommen? Die Landschaft ist so flach wie überall, der Blick streift weit über Felder und bleibt nur hier und da an einem Wäldchen hängen. Oder an einem der drei tatsächlich denkmalgeschützten Höfe von Schönhagen.

So verschlug es wohl auch die Bauherren von Haus Thunecke eher zufällig hierher, und wenn man heute in den Ort kommt, dann bleibt der Blick doch hängen an diesem seltsamen Anbau, der da mit einer großen, gelben Glaswand über eine alte Ziegelmauer zur Dorfstraße schaut. Im Jahr 2010 haben die Bauherren das „intakte Hofensemble“ gekauft, wie Grundmann erzählt, „vierseitig geschlossen, mit Wohnhaus, zwei Ställen und einer Scheune“. Das Haupthaus an der Straße ist ein etwa 250 Jahre altes, bulliges Haus; massive Wände aus roten Ziegeln und einem Holzfachwerk. Die Fenster in ihren dicken weißen Rahmen sind klein. Im Innern fand sich ein Labyrinth aus winzigen Räumen, insgesamt 13, die sich auf zwei Etagen 166 Quadratmeter teilten. Mögliche bauliche Veränderungen waren durch den Denkmalschutz begrenzt.

„In den ersten Gesprächen haben wir zunächst die Widersprüche zwischen dem Gebäude und den Wünschen der Bauherren aufgedeckt“, sagt Grundmann. Denn die wünschten sich ein helles Haus für „modernes Wohnen“, mit möglichst vielen Durchlässen nach draußen. Auch aus finanziellen Gründen beschränkt sich der Entwurf zunächst auf die eine Seite des Haupthauses, westlich der großen Hofdurchfahrt. Die anderen Gebäude werden nur soweit repariert, dass sie nicht zusammenfallen – sie können später ausgebaut werden.

„Der Entwurf wollte die wenigen Spielräume möglichst optimal nutzen. Das Gebäude wurde fast völlig entkernt, die Innenwände abgebrochen. Die Fachwerksteile bleiben erhalten, damit die ursprüngliche Gliederung erfahrbar ist.“ Die einzige von außen sichtbare Veränderung sind die Erdgeschossfenster auf der Hofseite, die bis zum Boden geöffnet und durch Türen ersetzt werden.

Die Innenwände, die erhalten bleiben, werden von alten Tapeten und Farbe befreit und bleiben ansonsten roh. Im Erdgeschoss wird ein neuer Estrich verlegt, im Obergeschoss Kiefernsperrholz. So entsteht auf jeder Etage eine etwa 80 Quadratmeter große, freie Ebene, strukturiert durch einen mittig eingesetzten Serviceblock aus Kiefernsperrholz und mattierten Glasscheiben, in dem WC, Bad und Lagerfläche untergebracht sind. Da die kleinen Fenster unter Denkmalschutz stehen, wurden die Holzbauteile geweißt, um die Räume aufzuhellen.

Wird im Inneren hauptsächlich subtrahiert, findet sich am Westgiebel jene Addition, die wir schon von der Dorfstraße aus gesehen haben. Ein Anbau, der einen möglichst extremen Widerspruch zum alten, dicken Bauernhaus formuliert – paradoxerweise „um die Widersprüche schließlich zu lösen“, so Grundmann. Denn dieser eine neue Raum ergänzt viele der fehlenden Qualitäten. Es ist ein freier, zu drei Seiten verglaster Raum, dessen 33 Quadratmeter weit in den Obstgarten hinaus ragen – die lange Fassade weicht mit einem Knick einem der alten Bäume aus. Der Knick gliedert den Anbau locker in einen Küchen- und einen Essbereich.

Der Anbau gibt sich betont leicht, fast temporär, flüchtig; die transparente Skizze eines Raums. Der Grund dafür war nicht, wie man denken könnte, einen möglichst großen ästhetischen Widerspruch zu formulieren, sondern viel pragmatischer und vor allem dem Denkmalstatus geschuldet. So sind die rahmenlosen Gläser des Anbaus in Schlitze der äußeren Ziegelwand eingeschoben und lassen sich, wenn nötig, relativ leicht wieder entfernen. Dass der Anbau auf fünf Hülsenfundamenten steht, die ihn um 1,40 Meter anheben, macht ihn ebenfalls leicht reversibel; außerdem ist das Baufeld ein Bodendenkmal.

Nach Norden, zur Straße hin, findet sich das einzige, etwas extravagante Bauteil dieses recht pragmatischen und kostengünstigen Anbaus. Die 2,40 Meter hohe Glasscheibe ist hier gelb gefärbt. „Wir wollten das Licht, das in die Küche fällt, hier etwas aufheitern“, sagt Grundmann. „Gleichzeitig bezieht sich die Farbe auf die gelbroten Backsteine des Bestands und egalisiert den Anblick der etwas unvorteilhaft umgebauten Bauernhäuser auf der anderen Straßenseite.

Hinzu kommt: Der neue Raum ist deutlich nach Süden gerichtet. Die Raumhöhe wächst von 2,40 auf 4,20 Meter, die Breite von 2,40 auf 5,50 Meter. Die große Südfassade dreht sich auch noch etwas um das Gebäude; hier schließt die Terrasse an, die Alt- und Neubau verbindet. Ein perforierter schwarzer Vorhang lässt sich als Blend- und Sonnenschutz vollflächig vor die Südfassade ziehen.

Der neue Raum ergänzt die im Inneren freien Ebenen und das relativ geschlossene Äußere des Altbaus um eine ganz andere Atmosphäre. Ein Kontrast, der aber in Konstruktion und Materialität auch einen Zusammenhang formuliert. Auch dass der Anbau komplett im Selbstbau errichtet wurde, korrespondiert mit der Tradition des alten, bäuerlichen Hofs – allerdings mit deutlich zeitgenössischen Mitteln.


www.petergrundmann.com

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