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Addio von Ettore Sottsass
von Peter Weiß | 08.01.2008
Photo: G. Terstiege

Am letzten Tage des Jahres 2007 starb Ettore Sottsass 90jährig in seinem Haus in Mailand. Nicht nur in Italien, nicht nur in der Welt des Designs und der Architektur betrauert man den Verlust eines genialen Gestalters, die Welt hat einen großen Humanisten verloren. Für Sottsass, der Design als die unaufhörliche Suche nach einer möglichen Metapher des Seins verstand, hat die Suche ein dramatisches Ende gefunden.Kaum ein anderer Designer der Nachkriegszeit hat das internationale Design mehr beeinflusst als Ettore Sottsass. Nicht erst mit dem Unternehmen "Memphis", das er 1981 zusammen mit Barbara Radice, Ernesto Gismondi und einer Reihe namhafter Designer aus der Taufe hob, hat er Designgeschichte geschrieben.

Die Arbeiten Ettore Sottsass' waren die eines Designers, eines Lyrikers, eines Grafikers, eines Künstlers, eines Photographen, eines Schriftstellers, eines Architekten. Es war das Werk eines Gestalters, der sich mit seiner Arbeit nicht auf isolierte Aufgaben konzentrierte, sondern auf Zusammenhänge: auf Räume und auf Kommunikation, auf Begleitumstände für menschliches Dasein.Der Gestaltungsansatz von Sottsass lässt sich mit dem Begriff "gestalterischer Existenzialismus" umschreiben. Kaum ein anderer Designer arbeitete so kompromisslos wie er aus seinem persönlichen Empfinden und aus seiner persönlichen Erfahrung heraus. Sottsass plädierte für eine künstlerisch anspruchsvolle Qualität von gestalteter Umwelt, deren Verwirklichung in den Menschen selbst beginnt: Im Kopf - und überall dort, wo die Fähigkeit herrscht, zu unterscheiden zwischen Bedürfnis, Anspruch und Wunsch.Mit großer Unbefangenheit ignorierte er eingefahrene Wege von Religion, Politik, Rationalismus, Funktionalismus oder Technologie. Sein Handeln war durch Intuition, Ironie, Zweifel und Lebenserfahrung wechselnder Kulturen bestimmt. Das Objekt selbst war Sottsass unwichtig. Wesentlich war ihm das Objekt als Träger einer Botschaft. Alessandro Mendini hat 1976 über die Funktion von Ettore Sottsass im Vorwort zu dessen "Scrap Book" gesagt: "Die historische Rolle, die Sottsass innerhalb des "Modern Movement" spielt, ist die eines Vorläufers für die Aufnahme der ersten kulturellen Auseinandersetzung über Funktion und Sprache, über die Fehlleistungen und Missetaten der verschiedenen rationalistischen Modelle, und die einer Person, von der sich alle, die sich mit Underground-Architektur weltweit beschäftigen, angezogen fühlen und identifizieren".Dass Sottsass diese Funktion eines suchenden Vorläufers, ja einer vaterhaften Orientierungsfigur haben würde, ergab sich aus seiner Biografie. Er wurde am 14.September 1917 in Innsbruck geboren und verbrachte seine Jugend in Trient. Durch seinen Vater, der in Wien bei Otto Wagner studiert hatte, fand er den Anschluss an den Jugendstil. Zur Unterscheidung von seinem berühmten Vater musste er am Beginn seiner Laufbahn dem Sottsass ein "jun" hinzufügen. Für Sottsass wurde das jun. zu einem programmatischen Markenzeichen, das seiner enormen Vitalität und Schaffenskraft, seiner ständigen Suche nach neuen Wegen und seiner Einstellung zu Design und zum Leben gerecht wurde. 1939 absolvierte er das Polytechnikum in Turin und erhielt sein Architekturdiplom. Nach einer anfänglichen Architektentätigkeit, während der fünfziger Jahre, wurde das Design mehr und mehr zu seinem wesentlichen Betätigungsfeld.Zu seinen frühen Arbeiten sagte Sottsass in den sechziger Jahren: "Es ist schwierig, einen Katalog meiner Arbeiten aufzustellen, da ich nie Monumente für das öffentliche Schauspiel machte, sondern nur vergängliche Szenen für das private Theater entwarf: für private Meditationen und Einsamkeiten".Bereits der Student Sottsass suchte nach Ideen und Erfahrungen in seiner Arbeit und nicht in der Politik.

An der Universität entwarf er Bühnenbilder, die abgesehen davon, dass sie mehr der Malerei denn der Architektur verwandt waren, seine Vorstellungskraft von vorgetäuschter Räumlichkeit auf der Bühne erweitert haben. Gerade die Beschäftigung mit Problemen der Gegenwartskunst, des Theaters, der Folklore und der Farbigkeit überhaupt beeinflussten Sottsass' Arbeiten wesentlich.Schon 1936 leitete er aus seinen Interessen und Erfahrungen die Vorstellung einer antirationalistischen Alternative zu seiner Arbeit ab, die eine der Grundlagen seines Architekturverständnisses wurde. Architektur als menschliche Darstellung des Uni-versums. "Architektur ist die Technik der Magie, bei der alle Karten des Spiels menschlicher Erfahrungen gespielt werden: vom Wahnsinn bis zur Sexualität, von der Traurigkeit zur Heiterkeit, von Gefühlen bis zur Vernunft..."1958 begann seine langjährige Zusammenarbeit als Designberater mit Olivetti. Er entwickelte 1959 die erste elektronische Rechenmaschine und später zahlreiche Peripheriegeräte, Rechnersysteme und Schreibmaschinen wie die berühmten Modelle "Praxis", "Tekne", "Editor", "Elea" und "Valentina", der wohl erfolgreichste Entwurf für Olivetti. 1972 beteiligte er sich an der ersten großen Ausstellung italienischen Designs außerhalb Italiens, bekannt geworden unter dem richtungsweisenden Titel: "Italy. The new domestic landscape" im Museum of Modern Art in New York.Gleichfalls im Jahr 1972 wurde er Gründungsmitglied der Gruppe "Global Tools", die aus der Anti-Design-Bewegung der sechziger Jahre hervorging und sich der Suche nach neuen Wegen, nach Lösungen, nach Materialien, Formen und Technologien im schöpferischen Gestaltungsprozess einer industriellen Gesellschaft verschrieb.

Drei Jahre später löste sich diese Gruppe wieder auf und einige ihrer Mitglieder, unter ihnen Ettore Sottsass, schlossen sich der experimentellen Designformation "Alchimia" um Sandro Guerriero und Alessandro Mendini an. Schon 1976 organisierte das Internationale Design Zentrum Berlin eine Sottsass-Retrospektive, die anschließend auch in Paris, Barcelona, Jerusalem und Sydney gezeigt wurde. Im Mai 1980, in einem Alter, da sich andere zur Ruhe setzen, gründete Ettore Sottsass mit drei jungen Architekten: Aldo Cibic, Matteo Thun und Marco Zanini das Studio Sottsass Associati, mit dem er seine Karriere als Architekt und Designer fortsetzte. Das Mailänder Studio war eine Designfirma, deren Arbeit unter der professionellen künstlerischen Oberleitung von Ettore Sottsass stand. Zusammen planten und realisierten sie zum Beispiel die Architektur, die Einrichtung und das Design, somit das komplette Erscheinungsbild, der Showrooms und Stores für das Bekleidungsunternehmen Esprit weltweit. Und 1981 etablierte sich um Sottsass, dem charismatisch alten, jungen Architekten, aus Mitarbeitern, Freunden und international renommierten Architekten die Gruppe Memphis, die schnell zum Symbol des sogenannten "neuen Avantgarde-Designs" wurde und bis 1988 existierte. Sottsass löste sich jedoch schon 1985 von der Memphis Gruppe und wandte sich verstärkt mit seinem Mailänder Studio, dessen Zusammensetzung sich mehrfach änderte, architektonischen Projekten zu. Nachdem Anfangs, wie bei den Arbeiten für Esprit, noch der Schwerpunkt auf Interior- und Industriedesign lag, entwickelte Sottsass Associati im Laufe der Jahre weltweit Architekturprojekte sowie Industrie- und Grafikdesignaufträge für internationale Kunden mit sehr unterschiedlichen Anforderungsprofilen. Von Privathäusern in Colorado, auf Hawaii, in der Toskana, der Schweiz, auf Malaysia, den Emiraten und Belgien, über eine Museumsgalerie in Ravenna, vom Golfclub mit Hotel in China bis zum Flughafen Malpensa in Mailand erstreckte sich die Liste der international erfolgreichen Bautätigkeiten.Arbeiten von Sottsass befinden sich in allen bedeutenden Museen für Gestaltung von New York bis Paris, von München bis London, Jerusalem, Barcelona.

Zu den zahlreichen Ehrungen die er erhielt, gehörte neben der Ehrendoktorwürde, die ihm von der Glasgow School of Art und dem Londoner Institute of Art verliehen wurde, auch der Titel "Officier de l'Ordre des Arts et des Lettres" der Französischen Republik sowie der Titel "Grande Ufficiale per l'Ordine al Merito", der ihm vom Präsidenten der Italienischen Republik im Jahre 2001 überreicht wurde.


Zum Autor
Dr. Peter Weiß, geb.1952, ist Ausstellungskurator, Berater und Autor. Er begann 1971 in Münster sein Studium der Kunstgeschichte, Archäologie und Theologie. Längere Studien- und Forschungsaufenthalte in der Türkei führten zu einer intensiven Beschäftigung mit der osmanischen Architektur und der byzantinischen Kunst, speziell mit deren Mosaiken. 1983 Promotion und anschließendes Stipendiat am Deutschen Archäologischen Institut mit Lehrtätigkeit in Istanbul. Lehr- und Forschungsstipendium der Gulbenkian Stiftung. Verfasser der grundlegenden Publikation "Die Mosaiken des Chora Klosters in Istanbul, Theologie in Bildern", Belser Verlag.Seit Ende der 80er Jahre intensive Beschäftigung mit dem Design des Zwanzigsten Jahrhunderts, Schwerpunkt Italien. Zahlreiche Veröffentlichungen und Ausstellungsprojekte mit internationalen Designern, u.a. Mendini und Sottsass. 2004 kuratierte Weiß die Ausstellung "Ettore Sottsass Works 1979 - Now".P.W.: Alessandro Mendini, Druckverlag Kettler,1997
P.W.: Alessandro Mendini, Dinge, Projekte, Bauten, Electa 2001
P.W.: Ettore Sottsass, Store & Showrooms for Esprit, Druckverlag Kettler 2004
P.W.: Art of Italian Design, Megaron, Athen 2005
P.W.: Tea & Coffee, Piazza & Tower, Druckverlag Kettler 2007

Photo: G. Terstiege
"Valentine" tragbare Schreibmaschine, Ettore Sottsass mit Perry A. King für Olivetti, 1969
"Carlton" Raumteiler, Ettore Sottsass für Memphis, 1981
Aldo Ballo, "Treetops" Stehleuchte mit Ettore Sottsass, 1982, Ettore Sottsass für Memphis, 1981
© L. Fregoso
Die vier nun alle verstorbenen Großen des italienischen Designs: Achille Castiglioni, Vico Magistretti, Marco Zanuso, Ettore Sottsass.