top
Alltagsobjekte mit einer Spur Menschlichkeit
von Goebel Alexandra | 15.11.2010

Unzählige Farbtuben liegen herum. In allen Schattierungen. Die Regale an den Wänden hängen durch, so vollgepackt sind sie. Auf ihnen stapeln sich bunte Dosen und Schachteln mit allerlei Kleinkram darin. Nägel, Schrauben, Werkzeug. Rohe Holzstücke liegen herum. Die Wände zieren kleine Zettelchen mit Skizzen. Mal konkret, mal hauchzart. Erste Ideen, die auf Papier gebannt werden mussten. Zwischen all diesen Materialien zum Zeichnen, Sägen, Feilen, Schneiden stehen einfache Schreibtische. Zwei Böcke, eine Tischplatte. Fertig. Darauf aufgeklappte Laptops.

Der gesamte Raum stellt sich in den Dienst von Kreativität und Schöpfungskraft. Der rohe Holzfußboden, die weiß getünchten Wände, das Glasdach, das für die durchgängige Belichtung sorgt. Der Raum funktioniert - als purer Arbeitsraum, aber auch als Bühne für die Werke, die hier entstehen.

Zugegeben, das Glasdach verwandelt den Raum im Sommer wohl in einen Backofen und im Winter in einen Kühlschrank. Die harte Realität zerstört dann die poetische Vorstellung von einem Ort, an dem kreative Gedanken und Ideen fast greifbar herumschwirren. Aber die neun jungen Menschen, die sich zwischen dem produktiven Durcheinander ihre Arbeitsplätze eingerichtet haben, würden diesen Raum in einer alten Lagerhalle im Norden Londons nicht hergeben wollen.

Einer von ihnen ist der junge deutsche Designer Mathias Hahn, der sich mit seinen spielerisch-eleganten Produktentwürfen bereits einen Namen in der Designwelt gemacht hat. Mathias Hahn, Jahrgang 1977, wirkt schon auf den ersten Blick wie ein frischer, unkonventioneller Nachwuchsgestalter. Die rotbraunen Haare, lässig und unfrisiert, dazu das Outfit - meist Jeans, helles, unauffälliges Hemd und Turnschuhe mit ein paar Farbklecksen und Staubresten. So oder ähnlich stellt man sich wohl einen kreativen Kopf vor, der sich mit Enthusiasmus und Leidenschaft in seine Arbeit vertieft. Hahn stellt sich nicht selbst in den Mittelpunkt, sondern seine Werke, Produkte für die alltägliche Nutzung wie Leuchten, Möbelstücke, auch mal Besteck oder Blumenvasen.

Mathias Hahn studiert zunächst Industriedesign an der Universität Duisburg-Essen. Schon während des Studiums arbeitet er als Designer in der Industrie, sammelt unter anderem Erfahrung in der Designabteilung bei Volkswagen in Wolfsburg. Nach dem Diplom 2004 folgt der Umzug nach London. Bei Ron Arad legt er 2006 am Royal College of Art seine Masterprüfung ab. Mit sechs weiteren Absolventen aus verschiedenen Nationen sucht Hahn anschließend einen Arbeitsraum, um Adresse und Arbeitsmaterial zu teilen. Denn die britische Hauptstadt ist teuer. Außerdem begegnet man der großen Londoner Kreativkonkurrenz gemeinsam gelassener. Die Jungdesigner gründen OKAYstudio, eine Designgemeinschaft, die sowohl als Kollektiv arbeitet, in der die einzelnen Designer aber auch ihre individuellen Karrieren vorantreiben.

2008 präsentiert die Londoner Aram Gallery Arbeiten von OKAYstudio. Jeder Designer der Gruppe zeigt dort seine Werke, die „unter dem gemeinsamen Dach" des OKAYstudio entstanden sind.

Mathias Hahn stellt dort zum ersten Mal seine Leuchte „Lantern" aus, eine Hängeleuchte, deren Schirm mithilfe einer Klammer in jeder Höhe entlang eines Kabels arretiert werden kann. Das Kabel wird durch den Schirm hindurchgeführt, ist gleichzeitig Stromleitung, Designelement und Teil der Haltemechanik. 2009 wird die Leuchte im Rahmen der Ausstellung „d3 design talents" auf der imm in Köln vorgestellt. Bereits ein Jahr später ist sie wieder auf der Kölner Möbelmesse zu sehen. Dieses Mal als Teil der aktuellen Kollektion von Ligne Roset.

„Lantern" überzeugt durch die klare Ästhetik und die genial-einfache Technik. Hahn kombiniert in dieser Leuchte Materialien aus der Massenfertigung mit einer simplen Mechanik und interpretiert beides neu. Dieses Prinzip findet sich bei vielen von Hahns Produkten: „Ich komme aus dem Industriedesign, habe also bei meinen Entwurfsprozessen immer die industrielle Herstellung und Funktionalität im Hinterkopf", erklärt Hahn. „Ich untersuche einfache Materialien und Techniken, grundlegende mechanische Systeme und schaffe neue Zusammenhänge und Interpretationen. Dabei entstehen Objekte für den täglichen Gebrauch, die eine klare Funktion haben, bei denen aber auch eine Prise Humor oder Naivität mitschwingt. Das verleiht ihnen eine Spur Menschlichkeit!"

Mathias Hahn bringt in seinem Entwurfsprozess Funktionalität und Anwendbarkeit mit seiner natürlichen Neugier und Intuition zusammen. „Mir sind die Ehrlichkeit des Materials, der Konstruktion und der Form wichtig", sagt er. Das sieht man seinen Objekten an: Sie verbergen nichts, erklären sich selbst. Zum Beispiel „Wooden Chair" oder „Odd Cabinet", bei denen Hahn die konstruktiven Verbindungen in den Fokus rückt. Oder die Leuchte „Scantling Lamp", die Reibungskräfte in den Gelenken nutzt, um in jeder Position arretiert werden zu können.

Der deutsche Designer will Dinge entwerfen, die lange benutzt werden. Die heutige schnelllebige Konsumwelt schätzt er gar nicht: „Meine Produkte sollen einfach und nützlich sein. Das gibt ihnen einen nachhaltigen Wert." Mathias Hahn zeigt das unter anderem an seinem Hocker „Guest Stool". Der becherförmige Hocker kann als Sitzgelegenheit für unerwarteten Besuch verwendet werden oder als kleiner Beistelltisch - drinnen oder draußen. Bei Nicht-Gebrauch verschwindet er gestapelt in der Ecke. Das Süddeutsche Zeitung-Magazin hat ihn bereits in seine Designedition aufgenommen. Auch mit „Coatlight" entwickelt Hahn ein gestalterisch reduziertes Alltagsprodukt mit mehreren Funktionen: Garderobenständer und Flurbeleuchtung in einem.

Die Arbeiten von Mathias Hahn überzeugen durch ihre klare Optik und ihre intelligenten technischen Lösungen. Er erzählt mit ihnen kleine Geschichten. Er weckt die spielerische Lust, sie anzufassen, sie zu bewegen, sie zu benutzen. Das macht seine Produkte so menschlich.

www.mathiashahn.com

Leuchte „Lantern"
Tisch „E8" von Mathias Hahn
Leuchte „Scantling Lamp" von Mathias Hahn für Marset
Hocker „Guest" von Mathias Hahn, produziert von Magazin für SZ Magazin - Design Edition
Besteck „Cold Cut"
Stuhl „Wooden Chair" von Mathias Hahn
„Odd Cabinet" Detail von Mathias Hahn
„Odd Cabinet" Modelle
Leuchte „Lantern" von Mathias Hahn für Ligne Roset, alle Fotos © Mathias Hahn
Leuchte „Lantern"
Tisch „E8"
Leuchte „Scantling Lamp"
Hocker „Guest Stools"
„Coatlight" von Mathias Hahn
Stuhl „Wooden Chair"
Schrank „Odd Cabinet"
Mathias Hahn