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Als wäre ich selbst der Star meiner eigenen Glitzerwelt
20.08.2012
Jon Smith mit Ghettoblaster, Foto © Nina Reetzke, Stylepark

NINA REETZKE: GIBT ES EINE GESCHICHTE DAZU, DASS SIE SICH SELBST ALS COWBOY PORTRAITIEREN?

JON SMITH Als ich geboren war, durfte mein Bruder den Namen für mich auswählen. Meine Eltern wollten auf diese Weise die Bindung zwischen ihm und mir stärken. Sein Lieblingsspielzeug war eine dreißig Zentimeter hohe Cowboy-Figur namens Jonny West, und eben diesen Namen gab er mir. Meine Eltern waren über die Wahl nicht glücklich, immerhin lautete unser Familienname Smith, aber sie hielten Wort. Über viele Jahre hinweg wurde ich Jonny West gerufen, bis jemand meine Mutter fragte, ob ihr Name Mae West wäre, unglücklicherweise war ihr Name May. An diesem Tag legte sie Widerspruch dagegen ein, dass ich Jonny West genannt wurde. Sechzehn Jahre später nahm ich die Cowboy-Geschichte wieder auf, als ich an der Kunstakademie studierte, nachdem ich eine weitere Jonny West-Figur in einem Secondhand-Laden gefunden hatte. Es entstand eine Fotoserie, in der ich als Cowboy verkleidet auftrat. Die Wirkung beruht auf einer inzwischen überholt wirkenden Rückblende, die Szenerie zeigt einen Schusswechsel zwischen sechs Zentimeter hohen Cowboy-Figuren.

WORIN LIEGT DIE BESONDERE QUALITÄT DER INDUSTRIEPRODUKTE, DIE SIE AUS TON NACHBAUEN?

SMITH Wenn ich industrielle Formen rekonstruiere, geht es mir nicht darum, eine exakte Kopie herzustellen. Selbst wenn ich versuche, ein bestimmtes Modell zu fertigen, interessiert es mich vor allem, seinen eigenen Charakter darzustellen, einen besonderen Gedanken oder ein spezielles Gefühl auszudrücken. Den Gettoblaster wollte ich so zerfurcht aussehen lassen als stamme er aus der Steinzeit. Die Kamera meines inzwischen verstorbenen Vaters sollte besonders zerbrechlich und kostbar aussehen, was ich dadurch erreicht habe, dass ich feinen Ton und eine Politur verwendete. Wenn ein Industrieobjekt aus Keramik hergestellt wird, erscheint es zeitlich entrückt, wie ein Fossil. Die mechanischen Teile funktionieren nicht, weshalb es aussieht, als entstamme es einem Comic, oder als werde es, durch sein hohes Gewicht, zu einer physischen Belastung. Der Betrachter kann sich einfach an den abstrakten Formen erfreuen oder sich vorstellen, dass er aus der Zukunft auf ein Artefakt zurückschaut, das einer altertümlichen religiösen Praxis, dem Konsumerismus, entstammt.

INWIEFERN BEZIEHEN SIE SICH AUF DIE POP-ART UND ZEITGENÖSSISCHE KÜNSTLER, DIE KONSUMGÜTER INS ZENTRUM IHRER ARBEIT STELLEN?

SMITH In meinen Arbeiten beziehe ich mich durch die Ausdrucksweise, die ich wähle, auf die Pop-art, vor allem auf deren spielzeugartigen und karikaturhaften Darstellungen. Und auch dadurch, dass ich gleichsam Faksimiles von Produkten anfertige, die aus meiner Sicht einen ikonischen Status erreicht haben – innerhalb einer Subkultur oder in der ganzen Gesellschaft. Ein weiteres Mittel ist, dass ich mich selbst in einigen der Werke darstelle, als wäre ich selbst der Star meiner eigenen Glitzerwelt. Besonders eindeutig ist der Bezug zur Pop-Art dann, wenn ich auf Arbeiten von anderen Künstlern einbeziehe. Etwa „Triple Elvis“ von Andy Warhol für ein Foto mit kleinen Miniatur-Cowboys, oder das Gemälde „Target“ von Jasper John in einer Streichholzschachtel, in einer Dose und in weiteren Zielscheibenbildern aus Spielzeugsoldaten und anderem. Aber das wohl wichtigste Element von Pop-art in meiner Arbeit ist vermutlich das Paradox; die Freude und die Feier von etwas, das fragwürdig erscheint, Konsum von seiner schwärzesten Seite. Auch wenn ich mich immer wieder damit beschäftige und Naomi Klein gelesen habe, falle ich – wie die meisten von uns – immer wieder auf den Konsum zurück.

SEIT EINIGEN JAHREN ARBEITEN DESIGNER UND HERSTELLER VERMEHRT DARAN, TRADITIONELLE HANDWERKSTECHNIKEN IN INDUSTRIELLE PROZESSE ZU INTEGRIEREN. IM BEREICH KERAMIK WÄREN BEISPIELSWEISE DICK VAN HOFF IN ZUSAMMENARBEIT MIT TICHELAAR MAKKUM ZU NENNEN. WAS DENKEN SIE ÜBER DIE ERGEBNISSE?

SMITH Ich finde, dass die Tischlampe von Dick van Hoff großartig aussieht, ein Produkt, das man unbedingt haben sollte. Ich mag die Idee, dass eine Art neuer „Arts-and-Crafts-Movement“ an Bedeutung gewinnt. Wir haben uns so sehr an preiswerte, industriell hergestellte Produkte gewöhnt, dass viele Leute an den Gegenständen in ihrem Haus keinen ästhetischen Wert mehr entdecken können, geschweige denn, dass sie ihnen mit Respekt begegnen oder Gefallen an ihnen haben. Wenn etwas kaputt geht, wird es einfach weggeworfen. Preiswerte Massenprodukte leiten sich oft von hochwertigen Entwürfen ab, verlieren dabei jedoch an Qualität. Da technische Geräte ständig kleiner werden, hätte ich gerne eine traditionelle Küchenkachel mit einem versteckt eingebautem Radio, samt Lautsprecher-Kacheln, die – versteckt und geschützt – in einem gekachelten Raum angebracht werden. Die Nachteile lägen natürlich auch auf der Hand; Kosten, Gewicht, lange Entwicklungszeiten und Haltbarkeit. Einige meiner eigenen Arbeiten sind schon zerbrochen, ich vermute, dass ein Staubsauger aus Keramik, auch wenn er gut aussähe, zu schwer wäre und ein Zusammenstoß mit einem Tischbein ein Desaster für beide bedeuten würde. – Vielleicht sollte ich tatsächlich einen machen. Ich fände es gut, wenn Papiermaschee ein Comeback feiern würde. Ein Handwerk, das scheinbar verschwunden scheint, das Material gilt jedoch als belastbar und altes Papier könnte recycelt werden.

WÜRDEN SIE GERNE EINMAL IN DEN WELTRAUM REISEN?

SMITH Nachdem ich „Star Wars“ gesehen habe, 1977 war das, verfolgte mich lange der Gedanke, zu den Sternen zu fliegen. Ich habe mir sogar ein großes gebrauchtes Spiegelteleskop gekauft, nur um herauszufinden, dass die nächste Straßenlaterne bei unserem Haus Lichtverschmutzung verursacht und ich nur den Mond sehen konnte! Ich wollte mir immer gerne die Milchstraße ansehen, und als ich Afrika besuchte, dachte ich „Ja, jetzt werde ich sie sehen!“, aber ich musste feststellen, dass jede Nacht Wolken aufzogen. Darum denke ich, dass ich wohl erdgebunden leben soll; außerdem wäre eine solche Reise wohl gefährlich. Falls ich mich doch noch auf den Weg machen sollte, würde ich gerne in einem Ballon hochfliegen, langsam bis zum Rand des Weltraums, wo der Himmel schwarz wird und der Horizont rund erscheint. Und dann mit einem Fallschirm herunter springen. Das könnte ziemlich gefährlich werden, oder etwa nicht?

Jon Smith mit Ghettoblaster, Foto © Nina Reetzke, Stylepark
Elektronik aus Ton, Foto © Jon Smith
Selbstporträt als Astronaut, Foto © Nina Reetzke, Stylepark
Handgemachte Raumkapsel, Foto © Nina Reetzke, Stylepark
Getöpferte Normalität, Foto © Jon Smith
Verfolgungsjagd, Foto © Jon Smith
Trio „Jon, Ugly und Bad“, Foto © Jon Smith
Rummelplatz, Foto © Jon Smith
Uhren umfunktioniert zur medialen Oberfläche, Foto © Jon Smith
Selbstporträt mit Kappe, Foto © Jon Smith