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Auftrag für Agent i
von Thomas Edelmann
17.02.2014

Er fährt schnell, leise und vor allem elektrisch: Der geräumige Kleinwagen BMW i3 tritt an, die Welt zu retten, wenigstens ein bisschen. Und dafür bekommt das Auto in Tests von Technikern und Designern überwiegend gute Noten. Ab Frühjahr 2014 wird der Wagen langsam zur Selbstverständlichkeit im Straßenbild, von rund 11.000 Bestellungen aus ganz Europa ist derzeit die Rede. Ab Mai beginnt die Markteinführung zunächst in den Vereinigten Staaten, bis Mitte 2014 sollen China und Japan folgen. Und doch geht es bei dem ersten deutschen Elektromobil mit Premium-Anspruch um mehr als nur ein neues Automodell. Der BMW i3 ist Teil einer vernetzen Mobilität, die womöglich an die Stelle der „freien Fahrt für freie Bürger“ treten könnte, wie wir sie als Erbe des Wirtschaftswunders lange für selbstverständlich hielten. Was mit der digitalen Vernetzung des Autos begonnen hat, führt der BMW i3 fort: Die konsequente Verknüpfung verschiedenster Wertschöpfungsketten. Das Experiment, dessen Mut vielfach gelobt wird, soll BMW keine Verluste bringen, sondern neben Lerneffekten neue Erlösquellen in gesättigten Märkten eröffnen.

Das kleine i: Vorbild Apple

Das Projekt BMW i startete im Jahr 2007, jenem Jahr, in dem das erste iPhone von Apple auf den Markt kam. Dieses Gerät war keineswegs als technisches High-End-Produkt konzipiert, sondern arrangierte bekannte Techniken so, dass daraus neue Gebrauchsweisen und – wie wir heute wissen – auch neue Abhängigkeiten zwischen Nutzer und Hersteller entstanden. Wie viele andere Marken ließ sich auch BMW vom kleinen „i“ inspirieren, das oft ein großes ist: Es bezeichnet eine Welt der Vernetzung, die dem Ego dienlich ist und es zugleich fest in den Griff nimmt. Doch anders als viele Apple-Nachahmer hat das bayerische Unternehmen gründlicher überlegt und geforscht, bevor es seine i-Strategie in Produkte ummünzte. Gelingt es, das neue Angebot am Markt durchzusetzen, sind Autohersteller nicht länger Anbieter von Autos plus Ersatzteilen und etwas Service, sondern werden zu umfassenden Dienstleistern. Im Fall der Submarke BMW i werden neben üblichen Angeboten wie Internet-Vernetzung und einer Autovermietung für Distanzen, auf denen ein E-Mobil bislang passen muss, künftig auch Solar-Carports, elektrische Anschlüsse für die Garage, Energie-Verträge für heimische Anschlüsse und fürs Tanken unterwegs vermittelt. „BMW i 360° Electric“ heißt das Programm, dass Elektro-Kunden größtmögliche Flexibilität bietet und Markentreue verlangt. Jeder Baustein ist auf das E-Mobil zugeschnitten und kostet Aufpreis. Auch der Verkauf übers Netz und ausgewählte Händler, so genannte „i Agenten“, setzt in der Autobranche neue Standards.

Abhängig vom Strompreis

Nicht mehr und nicht weniger als eine „zukunftsweisende, stark über Nachhaltigkeit definierte Premium-Charakteristik“ verspricht BMW, und eine „im Wettbewerbsumfeld einzigartige Produktsubstanz“, die aus fundierter Forschungs- und Entwicklungsarbeit resultiere. Kurz und gut, das Auto sei das „Startsignal für eine neue Ära der Elektromobilität“. Vollmundige Versprechungen? Wer Strom nur aus der Steckdose und vom Lichtschalter her kennt, der mag nicht verstehen, wie vertrackt die Zusammenhänge der Elektromobilität sind. Um 1900 fuhren in New York zahlreiche Elektrotaxen, selbst Ferdinand Porsche konstruierte kurz darauf für Lohner ein klobiges Elektro-Vehikel, lange bevor er über Massenmotorisierung nachdachte. Entscheidender Faktor für die (Wieder-)Einführung der Elektroautos aber sind weder Zukunftsprognosen noch fromme Wünsche, auch nicht der Fortschritt in der Batterietechnik, sondern ist und bleibt der aktuelle Ölpreis im Verhältnis zu den Kosten der Erzeugung und Speicherung von Strom. Elektroautos haben erst dann eine Chance auf massenhafte Verbreitung, wenn sie als System wirtschaftlicher sind als das traditionelle Auto. Bis der Ölpreis in unerreichte Höhen steigt, bleiben sie Zusatzangebote, etwa für Städte mit Lärm- und Luftproblemen.

Das Äußere: ungewöhnlich, aber keineswegs überzogen

Neu und überzeugend ist die Konstruktion des Autos aus Fahrgastraum („LifeModul“) sowie dem Chassis („DriveModul“) samt Batterien, Rädern und Elektromotor im Heck. Das „LifeModul“ besteht aus einer Karbon-Grundstruktur, einem Leichtbaumaterial, das selbst in der Formel 1 Gewicht sparen und Leben retten hilft. Mit dem BMW i3 wird Karbon serientauglich. Allein dieser Materialwechsel ist revolutionär.

Die äußere Form des BMW i3 ist zwiespältig. Die Zweifarbigkeit ist vom Mini entlehnt, aber zeitgenössisch und vielfach kontrastierend interpretiert. Der gespannte, leicht aggressive Blick mit angedeuteten BMW-Nieren wirkt zunächst ungewöhnlich für einen Kleinwagen, aber keineswegs überzogen. Große 19-Zoll-Räder sind eindrucksvoll, so lange ihr schmaler Querschnitt von der weit herunter gezogenen Karosserie kaschiert wird. Fraglich, ob ein E-Mobil tatsächlich blaue Applikationen braucht, um sich von anderen Modell-Reihen abzusetzen. Mit Studien wie „Gina“ (von Chris Bangle) oder „Lovos“ (von Designerin Anne Forschner) hat BMW gezeigt, dass Autos in naher Zukunft weitaus reizvoller gestaltet sein könnten.

Die visuelle „Air flow“-Linie, die die Fensterpartie des Autos umströmt, ist keine wirklich strömungsgünstige; mit Maximal-Tempo 150 ist das kein Problem. Blick und Luftstrom bleiben an der abgesetzten Tür zum Fond hängen, die Teil der Wiedererkennbarkeit und doch auch eine kleine Schwäche des i3 darstellt. Das Prinzip der halben „Clubdoor“, die den Zugang zu den hinteren Sitzen ermöglicht, ist vom Mini Clubman übernommen. Sie spart Gewicht durch den Verzicht auf die (bei Autos aus Stahl obligatorische) B-Säule, fordert aber Mitdenken, sobald mehr als zwei Passagiere mitfahren.

Segensreiche Pferdestärken

Wie aber fährt sich ein BMW i3? Man drückt die Starttaste, lässt langsam die Bremse los, gibt Gas und – das volle Drehmoment des Wagens steht unmittelbar zur Verfügung. Vom nervigen Trafo-Geräusch mancher E-Autos ist nichts zu hören. Lässt man das Strompedal (und frühere Gaspedal) los, wird das Auto umgehend langsamer. Denn dann beginnt, etwa bei Bergabfahrten, die Rückspeisung von Energie in die Hochvoltbatterie unterm Wagenboden. Ein Effekt, der mittels Grafik auf dem digitalen Tacho gut veranschaulicht wird. Bloß nicht zu schnell fahren, lautet die für BMW-Fahrer ungewöhnliche Botschaft. Drei Fahrmodi stehen zur Wahl – vom besonders sparsamen „Eco pro+“-Programm (maximal 90 km/h, ohne Klimaanlage und Komfortfunktionen) über den moderaten „Eco pro“-Sparmodus bis zum uneingeschränkten Normalbetrieb mit eher begrenzter Reichweite.

Wem die Batterieladung lieb ist, der sollte nicht zu rasant anfahren. Im Verkehr mitschwimmen, statt ihm voranzureiten. Trotzdem wirken sich die 170 PS (125 kW) des von BMW selbst konstruierten E-Motors segensreich aus, wenn es gilt, Hindernisse zu umfahren oder Gefahren zu entkommen.

Das Innere: Jenseits biederer Standards

Wer sich hineinsetzt, ist mitten drin in einem Taumel aus Neuerung und Vertrautheit, den durchaus widersprüchlichen Botschaften, die das Projekt i aussendet. Aussehen und Materialität des Innenraums gehen über das im Kleinwagen Gewohnte weit hinaus. Wenn Interior-Designer Daniel Starke als eine Inspirationsquelle Grete Jalks Schichtholzsessel „GJ“ von 1963 zeigt, so erkennt man dessen gefalteten Formen an den Innentüren wieder. „Atelier“, „Loft“, „Lodge“ und „Suite“ heißen die Ausstattungslinien. Die Linien „Atelier“ (Standard-Ausstattung mit Stoff in Anthrazitschattierungen und blauen Kontraststreifen) und „Suite“ (mit Olivenblättern gegerbtes Naturleder) sind eher dunkel. Vorbildlich unkonventionell sind „Loft“ und „Lodge“. Sichtbares, fest verpresstes Fließmaterial in den Türen kontrastiert mit Oberflächen aus offenporigem Eukalyptusholz („aus nachhaltiger Forstwirtschaft“) und, helles Leder (bei „Lodge“) lassen biedere Standards des automobilen Innenraums hinter sich. „Loft“ in hellem „Carumgrau“ schlägt mit einem Aufpreis von 1.500 Euro und mit zusätzlich verpflichtendem „Comfort Paket“ (2.000 Euro) gleich doppelt zu Buche. Dieses enthält, neben diversen Ablagen, einer Steckdose und dem Regensensor, auch Klimaautomatik und Geschwindigkeitsreglung mit Bremsfunktion. Der in der Mitte der Instrumententafel schwebende 10-Zoll-Monitor (wichtig für Navigation, Reichweitenüberwachung und Entertainment-System) war nur für die Erstbesteller inklusive. Mittlerweile kostet auch er Aufpreis (2.000 Euro). Insgesamt treiben die Verfeinerungen des Kleinwagens, der für 34.950 Euro Basispreis angeboten wird, den Preis in leicht Schwindel erregende Regionen.

Der BMW i3 ist ein Elektroauto, kein Hybrid. Ob man also tatsächlich einen zusätzlichen 2-Zylinder-Benzin-Motor, den „Range Extender“ (plus 4.500 Euro und 120 Kilogramm Gewicht), sowie 9-Liter-Tank benötigt, hängt von Fahrweise und Sicherheitsempfinden ab. Denn Motor und Tankfüllung bedeuten zusätzliches Gewicht, das immer auch Reichweite kostet. Strecken weit jenseits europäischer Städte und ihres Speckgürtels, sind auch mit Reichweitenverlängerung (insgesamt max. 340 km) kaum zu meistern. Und wenn doch, dann etwas entschleunigt und mit langen Zwischenstopps.

Schnellladefunktion als Extra

Nicht ohne Grund stellte BMW den i3 in Amsterdam vor. Rund 1.000 Ladestationen gibt es dort bereits im öffentlichen Raum, auf der Straße wie in Parkhäusern. Zudem bevorzugen dort viele gesetzliche Regeln die E-Mobil-Nutzer. Sollte Deutschland Elektromobilität tatsächlich fördern wollen, sind sinnvolle Investitionen in die Tank-Infrastruktur nötig. Insbesondere Gleichstrom-Schnelllade-Stationen (besonders teuer, meist auch hässlich) wären von Nöten. Denn an ihnen können bis zu 80 Prozent der Batterie in rund einer halben Stunde wieder aufgeladen werden, während „normale“ Ladevorgänge knapp 8 Stunden dauern. Die Schnellladefunktion kostet beim BMW i3 knapp 1.600 Euro Aufpreis. Und doch ist sie eines der Extras, die dem Wagen Zukunftssicherheit bescheren. Schon heute baut Konkurrent Tesla ein Gleichstrom-Tanknetz in Deutschland auf – allerdings nur für eigene Kunden.

Der gebundene Autobesitzer

Aus vergangenen Fehlern, die beim Versuch gemacht wurden, Elektroautos und neue Fahrzeugtypen wie den Smart zu etablieren, hat BMW gelernt. Lassen sich genügend Stadt- und vor allem Stadtrandbewohner auf das durchgängig und fein gestaltete Experiment dieses Fahrzeugs ein, könnte die Produktion und Vermarktung von Mobilität künftig auf eine neue Basis gestellt werden. Diese neue Basis allerdings bedeutet Flexibilität auf Kosten einer viel weiter reichenden Bindung an den Hersteller, nicht nur weil das Fahrzeug permanent Daten über den Zustand der Batterie an die Zentrale sendet. Das Auto als eingebildetes Vehikel der Freiheit – es ist wohl alsbald passé.

www.bmw.de/i3‎