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Bobble your Life
von Thomas Wagner
22.02.2016

Ganz haben Facebook und Mark Zuckerberg ihren zum Like erhobenen Daumen zwar nicht abgeschafft. Aber allein auf ihn vertrauen wollen sie auch nicht mehr. Auf dem Kamm der allgegenwärtigen Emotionswelle zählen nämlich mehr und andere „Reactions“ – in Form gefühlig aufgeladener Icons wie Herzen oder Smileys. Dabei gibt es einen wirklich praktischen Daumen, wenn auch – ist’s ein Menetekel – ganz und gar analog, garantiert algorithmenfrei und kein bisschen virtuell.

Ohne Sebastian Bergne hätten wir ihn nie und nimmer gefunden. Denn nach den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit gibt es vermutlich keine Messe, die ein derart breites und vielfältiges Angebot an Dingen präsentiert wie die „Ambiente“, die „Weltleitmesse für Konsumgüter“. Hier werden die Welt und mit ihr fast 4.400 Aussteller, eingeteilt in die drei wesentlichen Bereiche der Existenz: Dining, Giving, Living. Etwas trivialer ausgedrückt geht es um all die Produkte, die unseren Alltag ganz praktisch und zudem ästhetisch eher mehr als weniger beherrschen. Kurz, um Tisch, Küche, Haushalt.

Doch zurück zum Daumen. Unterstützt von zwei Experten hat Bergne ihn als einen seiner Favoriten für die Sonderpräsentation „Solutions“ auserkoren und auf der „Ambiente“ vorgestellt. Da lag er dann, auf dem großen Holztisch im Foyer zur Halle 4 der Frankfurter Messe. Keine helfende Hand, aber trotzdem die Rettung: der Einpackdaumen. Jeder kennt das Problem: Man kann, während man das Paket verschnürt, zwar an den beiden Enden einer Kordel ziehen, in Ermangelung eines dritten Fingers respektive Daumens die Spannung im noch unvollendeten Knoten aber nicht aufrechterhalten. Eben das aber vermag stellvertretend der Einpackdaumen: Er hält den Knoten fest und macht so das Verpacken leicht.

Überhaupt hat es – Bergne sei Dank – gutgetan, sich wenigstens einige wirklich praktische, wirklich gute, ansehnliche und innovative Dinge nicht selbst aus den abertausenden heraussuchen zu müssen. Da wäre zum Bespiel noch „ÜX“, der variable „Überbesen“ mit dem abwinkelbaren Besenkopf. Oder das Reinigungsgewebe „Mono-Softmesh“, das Töpfen, Pfannen, aber auch Vasen und Karaffen zu neuen Glanz verhilft.

Sicher, man muss nicht von allen Dingen begeistert sein, die auf der Messe auftauchen. Manchmal möchte man auch spontan ausrufen: Es gibt sie wirklich, all die überflüssigen Dinge! Doch wie es in solchen Situationen immer ist, man wird am Stand nebenan sofort eines Besseren belehrt. Schließlich ist das Leben – besonders im warenpluralistisch hoch entwickelten Kapitalismus ¬– voller Überraschungen und hat mehr zu bieten als wir uns je hatten vorstellen wollen. Einige wenige Dinge müssen aber doch noch erwähnt werden.

Da wären einmal all die Thermobecher, „Bobbles“ oder Trinkflaschen fürs Frühstück im Zug oder Auto oder fürs Indoor Picknick. Die Trinkflaschen gibt es mit und ohne Filter und in allen erdenklichen Farben. Die Warmhaltevarianten – „canette isotherme“ hat übrigens einen besseren Klang – indes werfen ein grelles Licht auf all die urbanen Nomaden, die morgens nicht mal mehr Zeit für einen Kaffee haben und statt, wie uns die italienische Kultur lehrt, in eine kleine Bar zu gehen, schlürfend ihren Becher durch den Morgen schleppen.

Und da wären all die wundersamen Objekte – oft sind sie aus Glas, manchmal auch aus Metall – die Tiere wie Adler, Elch oder Ochsen, die uns Menschen nun mal ans Herz gewachsen sind, ins Wohnzimmer holen.
Und da wäre, last but not least, die aus Anlass des 100. Geburtstags von Philip Rosenthal zu erduldende Schändung des berühmten TAC-Services von Walter Gropius. Wo der Geist der Moderne nur Weiß und Schwarz kannte, findet sich – wie lustig – in der Version der „Jungdesignerin Ewelina Wisniowska“ nun ein „überaus plastischen Golddekor“, das – parametrisiert – Schwein, Heu und Zaun jenes Entwurfs eines Schweinestalls aufnimmt, den Gropius nach einer verlorenen Wette einst für Rosenthals Hausschwein „RoRo“ gezeichnet hatte. Das Marketing weiß es natürlich besser: „So entsteht eine einzigartige Textur, die Geschichte und Gegenwart, Tradition und Moderne, Handwerk und Technik genau so verbindet wie es Gropius und Rosenthal gewollt hätten: zu Designobjekten mit Strahlkraft im Alltäglichen.“ Gebaut wurde der Stall übrigens nie. Was so wenig davor bewahrt, ihm nun als schnödem Messestand im Stäbchendesign zu begegnen wie davor, RoRo in Gestalt eines von Sebastian Herkner gestalteten Dekoschweins wiederauferstehen zu sehen. Übrigens ist nicht bekannt, dass Gropius und Rosenthal irgendeine Verbindung von Schweinestall und Service auch nur gewollt hätten.

www.donkey-products.com
www.ebnat.ch
www.rosenthal.de


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Scherben bringen Glück: Sebastian Herkner soll für Rosenthal das Porzellangeschäft mit Vasen und Teekannen wieder zum Glänzen bringen.
(9. November 2015)

„Bobble“, der Begleiter für die urbanen Nomaden. Foto © Thomas Wagner, Stylepark
Keine helfende Hand, aber trotzdem die Rettung: der Einpackdaumen.
Foto © Thomas Wagner, Stylepark
Thermo-Flasche à la francaise: „Canette Isotherme“ von Yoko Design.
Foto © Thomas Wagner, Stylepark
Wer die Elemente in der Küche beherrscht, lebt besser. Foto © Thomas Wagner, Stylepark
Nur zum Anschauen: künstliches Zuckerwerk bei Wesco. Foto © Thomas Wagner, Stylepark
Konsumgüter und Kitsch sind stark verwandt. Foto © Thomas Wagner, Stylepark
Rauchzeug der anderen Art. Foto © Thomas Wagner, Stylepark
Manche Aussagen verlangten einem viel Vorstellungsvermögen ab.
Foto © Thomas Wagner, Stylepark
Aus Anlass des 100. Geburtstags von Philip Rosenthal verpasste Ewelina Wisniowska dem berühmten TAC-Services von Walter Gropius ein Golddekor. Foto © Thomas Wagner, Stylepark
Wenn aus einem Klassiker ein Merchandiseartikel wird: „RoRo“, das Hausschwein Philip Rosenthals, muss dafür her halten. Foto © Thomas Wagner, Stylepark