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Das Auto für die Handtasche
IM GESPRÄCH:

Lutz Fügener


07.09.2014
Der Mobilitätsexperte: Lutz Fügener ist Professor of Transportation Design an der Universität Pforzheim. Foto © Knoblach

Das Auto der Zukunft hat viele Gesichter. Kaum einer weiß das besser als Lutz Fügener. Seit gut 13 Jahren ist er Professor für Transportation Design an der Hochschule Pforzheim, wo er sich intensiv mit dem Design, den Möglichkeiten und Grenzen des Automobils auseinandersetzt. Sein bundesweit einzigartiger Studiengang wird in einem Atemzug mit den entsprechenden Angeboten des Art Center of Design im kalifornischen Pasadena und dem Royal College of Arts in London genannt. Kürzlich haben sich seine Studenten und er zusammen mit der deutschen Wochenzeitschrift DIE ZEIT Gedanken zum Automobil der Zukunft gemacht.

Charlotte Malz: Herr Fügener, wie kam es zu der Zusammenarbeit mit der ZEIT?

Lutz Fügener: Autothemen laufen in der ZEIT grundsätzlich schlecht und kommen im Blatt deshalb auch kaum vor. Dennoch fahren fast alle ZEIT-Leser Auto. Dieser Widerspruch hat mich interessiert. Woran liegt das? Wie nutzen sie Autos? Was passt ihnen nicht an Autothemen? Welche Verbesserungsvorschläge und Ideen haben sie? Wir wollten gemeinsam mit der Redaktion herausfinden, was das Zeit-Publikum mobilitätstechnisch bewegt.

Wie sind Sie vorgegangen?

Fügener: Wir haben gemeinsam einen komplexen Fragebogen mit 40 Fragen entwickelt. Der Schwerpunkt lag auf den Empfindungen und Einschätzungen der Leser bezüglich des klassischen Automobils. Was fehlt ihm? Wie müsste es gestaltet sein, damit es ihr Leben erleichtert und verändert? Wie könnte ein Auto aussehen, das Spaß macht und zugleich sozial verträglich ist? Wir haben also nie nur direkt auf das Produkt hin gefragt, sondern immer auf die Anwendung und Nutzung. Nach 5.300 Rückmeldungen – deutlich mehr als erwartet - haben wir den Fragebogen geschlossen und mit der Auswertung begonnen.

Was hat Sie an den Antworten besonders überrascht?

Fügener: Von der ZEIT wurden die Umfragedaten zunächst statistisch in einem Werkstattbericht ausgewertet. Dabei kamen spannende Ergebnisse heraus. Wir haben beispielsweise gefragt, ob die Leser ein Tempolimit auf Autobahnen befürworten - 65 Prozent waren dafür. Auf die Frage, wie schnell ihr Automobil der Zukunft höchstens fahren sollte, wurden im Durchschnitt 184 km genannt. Das bedeutet, dass eine Geschwindigkeitsbegrenzung von etwa 185 km/h als angemessen empfunden wird – einer von vielen interessanten Widersprüchen. Die Teilnehmer waren extrem heterogen: Vom absoluten Automobil-Verweigerer, der nur Liegerad fährt, bis hin zum Besitzer eines Bugatti Veyron. Entsprechend unterschiedlich fielen die Fragebögen aus. Es waren auch ganz ungewöhnliche Ideen und Anregungen mit dabei. Eine Frau schrieb, sie wünsche sich, dass das Auto der Zukunft in ihre Handtasche passe.

Lassen sich aus solchen Wünschen denn überhaupt praktikable Ideen ableiten?

Fügener: Übersetzt haben wir den Wunsch nach dem „Auto in der Handtasche“ mit der Frage nach Carsharing- oder Parksystemen, die sicherstellen, dass ein Auto immer innerhalb einer Minute verfügbar ist - also innerhalb der Zeit, die wir brauchen um es „aus der Tasche“ zu holen. Car-Sharing ist überhaupt ein wichtiges Thema, weil sich mehr als die Hälfte der Teilnehmer vorstellen zu können, ein Auto zu teilen. Weiterhin hat sich in den Antworten gezeigt, dass der Wunsch nach einem wandelbaren Fahrzeug, das sich in Größe und Nutzungseigenschafen verändern kann, ebenfalls weit verbreitet ist. Ein Auto, das kaum Parkraum verbraucht, wenn es nicht gebraucht wird, ist ein weiterer Punkt, der immer wieder anklang und ebenso der Wunsch nach einem selbst fahrenden Auto. Wir haben zudem erfahren, dass die Menschen gerne Auto fahren, ihnen das Auto in seiner heutigen Form sehr gefällt und sie ihm einen hohen ästhetischen Wert zuschreiben. Das stellt für uns die größte Herausforderung: die Frage, was aus dem heutigen Auto evolutionär werden könnte. Diese fünf Trends – Car-Sharing, Das modulare Auto, Autonomes Fahren, Das platzsparende Auto und Die Evolution des klassischen Autos - waren die Grundlage für die Entwürfe unserer Studenten. Jeweils drei haben sich eines Themas angenommen und teils seriennahe, teils visionäre Entwürfe geschaffen.

Welcher der Entwürfe könnten schon bald umgesetzt werden?

Fügener: Da fällt mir spontan der Entwurf „Dividuum“ ein, ein Fahrzeug, das in der Mitte teilbar ist. Das heißt, es besteht aus zwei Fahrzeugen, die Rücken an Rücken miteinander verbunden sind. Das Thema des Entwurfes war Carsharing und wurde vom Studenten frei interpretiert: Ein großes Familienauto, das teilbar ist und zwei kleine Fahrzeuge ergibt. Dieser Entwurf reflektiert das Problem, dass in einer Ehe beide Partner ein Auto brauchen, um zur Arbeit zu kommen. Viele würden aber lieber ein größeres Auto haben, mit dem sie auch in den Urlaub fahren können.

Technisch wäre es kein großes Problem, den Entwurf umzusetzen. Ob es sich auch lohnen würde, ist eine andere Frage.

Welche Zukunftstrends müssen die Automobilhersteller in den nächsten Jahren unbedingt berücksichtigen?

Fügener: Die Industrie kommt nicht daran vorbei, sich um den Energieverbrauch zu kümmern – egal ob es um Benzin, Diesel, Strom oder Wasserstoff geht. Dafür muss sie das Gewicht der Fahrzeuge reduzieren. Wenn sie dafür sorgt, dass Autos nicht mehr zusammenstoßen können, kann sie eine Menge Material einsparen, das heute für die passive Sicherheit gebraucht wird – Knautschzonen, Seitenelemente usw. Das würde Autos im Schnitt um 300 bis 400 kg leichter machen.

Außerdem wird es vermehrt zu Eingriffen in den Fahrprozess kommen, Stichwort Autonomes Fahren. Ziel ist das Fahrzeug, das uns beim Fahren hilft und mehr und mehr den Fahrprozess kontrolliert. Das hängt mit dem zunehmenden Verkehr zusammen aber auch mit der alternden Gesellschaft. Zum ersten Mal haben wir heute eine „durchmotorisierte“ Generation im Rentenalter. Nicht selten verlieren ältere Menschen von einem Tag auf den anderen ihre private Mobilität, da sie nicht mehr Auto fahren können oder dürfen. Das Problem kann durch Autos, die den Fahrer unterstützen, gemindert werden. Was für ältere Menschen bequem ist, ist aber auch für Mütter praktisch.

Ebenso wird emissionsfreies Fahren mehr und mehr in den Fokus rücken. China kämpft vielerorts mit enormer Luftverschmutzung. Da könnten Autos von heute auf morgen per Dekret aus den Städten verbannt werden. Automobilhersteller sollten dann das richtige Produkt parat haben.

Ein weitere Baustelle: Die Schnittstellen zwischen öffentlichem Verkehr und privatem Personenverkehr. Heute ist im besten Fall das Parkhaus am Bahnhof die Schnittstelle von Schiene und Auto. Das ist armselig und alles andere als ein nahtloser Übergang. Hier fehlt es an entsprechenden Initiativen!

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