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Bauen in Deutschland
Das Gleiche in Grün
Eine Kolumne von Christian Holl
12.02.2015

Das Land ist etwas grundsätzlich anderes als die Stadt. Die Siedlungsform ist eine andere, es gibt soziale Kontrolle, man hat mehr Platz, kann aber nicht so gut einkaufen. In einem ist das Land aber durch und durch verstädtert: Darin, wie man es sieht. Auch auf dem Land schaut man auf das Land, wie es früher nur die Städter taten. Und so wird auch gebaut.

Das Dirndl ist eine Erfindung des 19. Jahrhunderts. Es wurde für die Städter erfunden, die sich fühlen wollten, als seien sie Bauern. Es war aber auch eine Form der Nobilitierung: Die Wittelsbacher machten die Tracht zu einem Zeichen, das alle verstanden: der, der sie trägt, ist Teil des Königreichs Bayern. Die Verbindung zur Wirklichkeit des Landlebens war zwar erkennbar, aber letztlich doch eher lose. Die Wirklichkeit des Landlebens war hart. Idyllisch war das Landleben nur für die, die ihm wieder entkommen konnten, wenn sie wollten. Diese Mechanismen wirken bis heute. Bis heute ist das Land ein sakrosankter Raum, über den die Kontrolle aufrechterhalten werden soll. Das geht bis hin zu absurden Investitionssubventionen, die jene Firmen anlocken, die ohne die Subvention an anderen Orten pleite gegangen wären. Das ist das eine. Das andere: Bis heute wird idyllisiert, dass sich die Balken biegen. Auf dem Land, da wird Marmelade gekocht und in Gläschen gefüllt, die ein rotweiß-kariertes Läppchen über den Deckel gezogen bekommen. Auf dem Land haben die Menschen nette Tiere, die sie mit Namen kennen. Anstatt am Abend Fernsehen zu schauen, wird gestickt oder gehäkelt oder geschnitzt oder Obst eingemacht oder geschuhplattelt. Wie aus den süßen Tieren eine Wurst wird, wird ausgeblendet. Dass sie meist in Fabriken gehalten werden, auch.

Auf dem Land ist die Welt eben noch in Ordnung – diese Idealisierung ist Ausdruck des permanenten schlechten Gewissens der Menschen, die sich all der Segnungen bedienen, die uns seit der Industrialisierung beglücken und genau das zerstören, was man auf dem Land noch meint vorfinden zu können. Die Plastikverpackung und die Wäschetrockner, der SUVs und eben auch die maschinelle Massenanfertigung von karierten Stofffetzen mit gezacktem Rand, die man über die Marmeladengläschen zieht. Das schlechte Gewissen haben nicht nur die, die in der Stadt wohnen, sondern auch die, die heute auf dem Land leben. Denn die wenigsten davon sind Bauern.

Das sieht man in der Architektur. Bauen auf dem Land ist der permanente Spagat zwischen der Wirklichkeit und der Idealisierung eines vermeintlich authentischeren und natürlicheren Lebens. Im schlechten Fall finden wir Geranienbalkone, mit Geländern aus jodelnder Schnitzkonfektion. Und überall in der Republik: Krüppelwalm – im übrigen das beste Beispiel dafür, dass eine missliche Bezeichnung keinen Einfluss auf den Erfolg dessen hat, was es bezeichnet. Im besten Fall wird auf einen schlichten Typus à la Monopoly-Häuschen zurückgegriffen und fachgerecht mit beispielsweise dunklem Holz verkleidet. Damit man sieht, dass hier der Typus des ländlichen Hauses nicht durch Jodeln entstellt wird, wird auf einen Dachüberstand verzichtet. Das ist schön anzuschauen. Aber es pflegt eben auch ein Bild des Landes mit autochthoner Kultur, die überwiegend konstruiert ist. Es gibt Fälle, da ist das neue Bürgerhaus mit solchem dunklem Holz verkleidet, obwohl sich in der Umgebung kein einziges Haus mit einer ähnlichen Fassade findet. Und der Dachüberstand hat ja seinen Sinn – gerade wenn man mit Holz baut. Der Kontext des ländlichen Bauens, der bemüht wird, ist kein realer, sondern ein mentaler. Es ist einer der Sehnsucht.

Dieser mentale Kontext entspricht vielleicht nicht der Realität, aber er schafft eine. Eine zusätzliche. Diese zusätzliche Realität ist eine, die nichts mehr mit der Welt um sie herum zu tun haben soll. Nichts mit der Agrarindustrie und nichts mit der Globalisierung, die die ländlichen Regionen oftmals härter trifft als die Städte. Aber auch in der Stadt werden Idyllen gepflegt. Dort tut man so, als könne man wieder zurück ins 19. Jahrhundert. Und damit man sich das glaubt, wird nicht nur so wie im 19. Jahrhundert gebaut, sondern zusätzlich rekonstruiert. Aus dem verklärten Land und der alten Stadt setzt sich eine Welt zusammen, in der hier die Stadt wie auf einem Merianstich ein Bild der Bürgergemeinschaft und des gelingenden Gemeinwesens abgibt und dort die Bauern, Ziegen oder Schafe hütend, durchs Grüne meditieren. Alles muss sich zum Ganzen fügen. Damit das Land nicht fremd wird.

Auf dem Land wird freilich selten rekonstruiert. Scheunen und Bauernhäuser sind ja keine unverwechselbaren Repräsentationsbauten, sondern Gebrauchs- und Alltagskultur gewesen, vermeintliche Urhütten, denen man nachspürt, die man nachempfindet, wie gelungen auch immer. So entstehen die architektonischen Entsprechungen der putzigen Marmeladengläschen mit karierten Deckchen, deren Paradiesabglanz noch in der groteskesten Verstümmelung zu funkeln verspricht. So wie es die von Hecken durchzogene Landschaft tut, in der seit Neuestem die Windräder stören, weil sie sich nicht in das Bild der heilen Welt integrieren lassen, da man sie so schlecht als Windmühlen verkleiden kann. Aber auch an sie wird man sich gewöhnen. Der Mensch hat, wenn es ans Eingemachte geht, mehr Fantasie, als man glaubt.

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Das Land wird als Kulisse reproduziert. Hinter ihr findet sich der Pragmatismus, der eigentlich für das Land viel typischer wäre.
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Überall auf dem Land meint man, Krüppelwalmdächer und schwere Schnitzbalkone seien ortstypisch. Alle Fotos © Christian Holl
Christian Holl