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Das Ranchburger Revival
von Nora Sobich | 10.10.2012

Fremde Einflüsse aufzugreifen und effizient umzusetzen, das kann keine Nation besser als Amerika. In Windeseile wurde aus der Bulette der Fastfood-Hamburger und aus dem Frankfurter Würstchen der Hotdog. Mit der europäischen Moderne verlief es nicht viel anders. Vorn wurde Bauhaus reingesteckt und hinten kam – amerikanisch gefiltert – eine Architektur heraus, die das Land im letzten Jahrhundert wie keine andere geprägt hat: das American Ranch-style house, auch Rambler, Ranchburger oder kurz Ranch genannt.

„Long low line“, wie es in den Verkaufskatalogen hieß. Diese kellerlos einstöckige Architektur, die, je nach Investor, einige Besonderheiten hervorbrachte, transformierte die funktionalen Ideen der Moderne in eine sanfte Hybridlösung, die gern „soft modern“ genannt wurde. Mit den bezahlbaren Ranchhäusern, die sich vor allem in Vororten einnisteten, schien während der boomenden Nachkriegsjahre das große Middle-Class-Versprechen machbar: jedem Amerikaner ein Scheibchen vom „American Pie“ zu sichern. Bis in die siebziger Jahre waren siebzig Prozent aller gebauten Einfamilienhäuser Ranches. Dann ging es steil bergab mit der klassenlosen Fortschrittsutopie. Viele der „Baby Boomer“-Traumhäuser sind längst abgerissen. Dem Wall Street Journal war es 2009, als die Subprime-Crisis auf Amerikas demokratisch geheiligte „ownership society“ einschlug, sogar eine Titelgeschichte wert, dass ausgerechnet die Kindheits-„Ranch“ von US-Zentralbankchef Ben Bernanke für dürftige 83.000 Dollar zwangsversteigert wurde.

Der amerikanische Schriftsteller Richard Yates, der Mitte der vierziger Jahre in einem Ranchhaus lebte, ließ sich von der Erfahrung später zu seinem Roman „Revolutionary Road“ inspirieren. Yates empfand diese gebaute Familienidylle als bedrückende Sackgasse, in der sich der Freiheitsgeist der amerikanischen Gründerväter als falsches Versprechen verlor. Trotz negativer Assoziationen, die auch mit der viel Boden verbrauchenden Parzellenbauweise zusammenhängen – dem „urban prairies of ranch-style sprawl“, wie es Reyner Banham nannte –, erlebt diese Mittelschichtsmoderne heute langsam aber sicher ein Comeback. Eine soziologische wie architekturästhetische und kulturwissenschaftliche Annäherung und Aufarbeitung findet statt. Seit 2004 bedienen sogar eigene Zeitschriften wie „Atomic Ranch“ die wachsende Fangemeinde. Als kultiger Modernismus passen die Ranches perfekt zum „Mad Men“-Hype und einer nicht abflauen wollenden „Midcentury Modern“-Begeisterung.

Mit den Ranchhouses war ein moderner Häusertyp entstanden, der als ureigen amerikanisch erscheint. Die spanische Kolonialarchitektur – ranchos – floß dabei ebenso in den Bautyp ein wie Frank Lloyd Wrights „Usonian houses“, die „Case Study Homes“, überhaupt die gesamte Westküstenmoderne – wie sie Charles und Ray Eames, George Nelson und Richard Neutra vertraten. Als Ranch-Haus-Pionier gilt allen voran der kalifornische Architekt Cliff May, der in den Zwanzigern die traditionellen Haziendas in moderne Einfamilienhausform brachte. Das lockere kalifornische Lebensgefühl war damals für die gesamte Nation bestimmend. Ranches wurden dominierendes Easy-living-Symbol für Neubeginn und Aufbruch – selbst in Gegenden mit kühlerem Klima, wo im Grunde eine offene, luftige Bebauung mit großen Fensterfronten und fließenden Übergängen zwischen innen und außen wenig Sinn machte.

Wie so oft in der Geschichte Amerikas sind der gute alte Westen und sein grenzerprobter „Spirit“ romantisiert worden. Von grasenden Rindern war jedenfalls in den neuen Vororten nicht viel zu sehen. Die gab es nur im Fernsehen mit Gary Cooper in „High Noon“ oder als Western-Pop mit Buffalo Bill und Gene Autry. Aus dem Klischee des unabhängig, naturnah lebenden Ranchers war der familienfreundliche Cowboy im domestizierten Teletubbie-Land geworden, der obsessive Rasenpflege als Ersatz für eingebüßte Freiheit betrieb.

„No man who owns his own house and a lot can be a communist“, glaubte tatsächlich der Pionier industriellen Häuserbaus, William Levitt, der auf Long Island 1947 den ersten Kartoffelacker in Fließbandbauweise bestellte. Ende der Vierziger brachten „Levitt & Sons“ ihren berühmten „The Rancher“ für 7.990 Dollar heraus. Zwischen fünf Typen konnte gewählt werden. Standardausrüstung waren Waschmaschine, eingebautes Bügeleisen, Elektroherd und Spülbecken. Je nach Wunsch gab es Teppich und Admiral-Fernseher dazu.

Das revolutionär Neue am Lebensgefühl des Ranchhouses war eigentlich weniger die Architektur als vielmehr die Ausstattung und der angebotene Komfort. Es ging um die Zahl der Räume, um Klimaanlage und „Push-Button-Convenience“. Zu den architektonischen Neuerungen gehörte eine moderne offene Raumplanung: die Erfindung der Wohnküche als neuem Ort familiärer „togetherness“, der seitdem in keinem amerikanischen Haus mehr fehlen darf. Der in Amerika so mythisch besetzte Kamin wurde zum raumgestaltenden Element, das nebenbei auch noch wärmte. Und ganz entscheidend wurde die integrierte eigene Behausung für das Auto – die Garage.

Dass die über Jahrzehnte als so selbstverständlich empfundene Moderne inzwischen Denkmalschutzqualität erreicht haben soll, erscheint für viele Amerikaner rätselhaft. Zumal die Ranches der letzten Jahrzehnte immer mehr zu „factory cut homes“ verkamen, die in ihrer Schlichtheit in der Tat an die Tristesse von Campingwagen-Kolonien erinnern, wo eine Wohn-Box exakt der nächsten gleicht. Doch es gibt Unterschiede, und dazu zählen nicht nur die längst anerkannten „Midcentury-Marvels“ wie die Fertighauskolonie „Peacock Farm“ bei Boston von Walter Pierce, „Hollin Hills“ von Charles Goodman in Alexandria, Virginia, oder die berühmten Eichler-Häuser des kalifornischen Investoren Joseph Eichler, für den namhafte Architekten arbeiteten.

Mit der Studie „The Ordinary Iconic Ranch House: Mid-20th-Century Ranch Houses in Georgia“ hat der Denkmalschutz des Bundesstaats Georgia 2010 eine geradezu wissenschaftliche Aufarbeitung des Phänomens unternommen. Zufall oder nicht: Während Amerikas Mittelschicht dramatisch zerbricht, wird ihr einstiger Häusertraum zum Denkmal.

Ranchhouse bei Boston, Massachusetts, Foto © Nora Sobich
Ranch der Campanelli Construction Company, Danvers, Massachusetts, Foto © Nora Sobich
Bloomfield Hills, Detroit, Michigan, Foto © Nora Sobich
Ranchhouse nahe Boston, Massachusetts, Foto © Nora Sobich
Ranch der Campanelli Construction Company in Danvers, Massachusetts, Foto © Nora Sobich
Campanelli Construction Company Ranch, Danvers, Massachusetts, Foto © Nora Sobich
Ranchhouse im Umland von Boston, Massachusetts, Foto © Nora Sobich
Ranchhouse im Umland von Boston, Massachusetts, Foto © Nora Sobich
New Canaan, Connecticut, Foto © Nora Sobich
Campanelli Construction Company Ranch in Danvers, Massachusetts, Foto © Nora Sobich
Six Moon Hill, Boston, Massachusetts, Foto © Nora Sobich
Peacock Farm, Massachusetts, Foto © Nora Sobich
Chestnut Hill, Massachusetts, Foto © Nora Sobich
Six Moon Hill, Massachusetts, Foto © Nora Sobich
Werbeanzeige aus dem Jahr 1955, Foto @ MidCentArch via Flickr