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Der Diskurs der Dinge
von René Spitz | 17.02.2016
Konstantin Grcic (Mitte) bei der Verleihung des "German Design Award Personality 2016" mit André Kupetz (links) und Laudator René Spitz (rechts). Foto © Lutz Sternstein

Manche Designer sind für einen Einfall berühmt. Für eine großartige Idee. Eine spektakuläre Erscheinung. Einen Blitz, der die Regale unsere Warenhäuser punktuell grell ausleuchtet. Begleitet vom Donnerschlag, der uns tief in die Magengrube trifft, wenn wir merken, dass da ein Punkt berührt wurde, der gerade jetzt etwas mit uns und unserer Gegenwart zu tun hat. Manchem Designer gelingt dieser Wurf, der Griff nach einem Stern. Und in der nächsten Saison ist der Stern verglüht, seine Strahlkraft erloschen, das Produkt ebenso ein „One-Hit-Wonder“ wie sein Designer. Das meine ich nicht wertend, rein beschreibend.

Manche Designer sind für ihre Einfälle berühmt. Dafür, dass ihnen immer wieder etwas Lustiges, Schrilles, Schräges einfällt. Sie verstehen es, regelmäßig die Aufmerksamkeit selbst der breitenwirksamen, reichweitenstarken Medien zu kitzeln. Sie liefern uns glänzende Bilder und seichte Stories. Sie singen das unterhaltsame Lied der Entertainer. Wir lassen uns gerne von ihnen amüsieren, denn das müssen wir ihnen lassen: Sie sind Profis beim Spielen der Partituren im Kanon unserer Aufmerksamkeitsökonomie. Sie haben das Fach gewechselt. In jeder Branche gibt es auch eine Bühne für die „creativen“ Clowns (kreativ mit „C“ geschrieben). Deshalb verzeihen wir ihnen auch, dass sie Scharlatane sind, wenn es um die Sache geht, um die es eigentlich geht. Und dass meine ich wertend, nicht beschreibend.

Manche Designer sind dafür berühmt, dass ihnen einmal etwas eingefallen ist, was sie dann unendlich oft wiederholen. Das ist auch eine Leistung. Sie haben das industrielle Paradigma verstanden, das Gebot der Arbeitsökonomie: Du sollst ein Produkt, das Du einmal entwickelt hast, in alle Dimensionen skalieren und reproduzieren, um den größtmöglichen Ertrag zu erzielen. Diese Designer verschanzen sich hinter einer Oberfläche, die als Stil missverstanden wird, als künstlerische Handschrift. Sie haben uns nichts mehr zu sagen, darum wiederholen sie ihre alte Leier.

Nichts gegen eine alte Leier, das Alter ist nicht das Problem, sondern das Leiern, die Delle, die dafür sorgt, dass das Ding nicht mehr rund läuft. Diese Designer ignorieren ihre Unwucht. Ihr Ausdruck ist keine Antwort auf eine relevante Frage, kein Beitrag zur Lösung eines tatsächlichen Problems, sondern hohle Phrase. Wie Pharisäer pochen sie nur noch auf den Wortlaut, sie beharren auf dem Ritual und der Geste. Sie imitieren Design. Sie wollen sich breit machen in unseren Räumen und sind blind dafür, dass im Zwischenraum die Bedeutung atmet. „Live is what happens while you’re making other plans“, möchten wir ihnen mit John Lennon zurufen, aber sie halten sich die Ohren zu.

Zu manchen Designern fällt mir nichts ein, aber davon wollen wir heute schweigen. Und dann gibt es Designer, für die der Einfall die unzutreffende, die unangemessene Kategorie ist. Denn sobald wir vom Einfall reden, schwingt immer auch etwas vom abendländischen Mythos der kreativen Inspiration mit: Der sogenannte Heureka-Moment, der nur dem Genie zufällt, weil er ihm von seiner Muse als göttliche Gabe geschenkt wird.

Wenn wir aber schon von den antiken und biblischen Figuren sprechen, von Samson, Mars oder Diana, dann lassen Sie uns über Hephaistos reden, weil er in den Ressourcen, die ihm als Rohstoff zur Verfügung stehen, als einziger nicht das vordergründige Gold, nicht das Holz und nicht das Leder sieht, sondern darin das Neue erblickt, was er dann nur noch mit dem Hammer im Schweiße seines Angesichts herausprügeln muss, so wie der Bildhauer, der die Skulptur auch nur aus dem rohen Stein befreien muss, mehr ist da ja nicht zu tun. Sie merken schon, wir erklimmen langsam den Höhepunkt der Laudatio, wir nähern uns sozusagen dem Paramount Peak. Bevor ich vom graden Weg dorthin abgebogen bin, wollte ich darauf hinaus, dass es Designer gab und Designer gibt, die sich vom modernen Inspirations-Mythos (um mit Roland Barthes zu reden) emanzipiert haben. Die nicht zuerst auf den Steinbrocken blicken, den ihnen einer zugeworfen hat, sondern auf den Steinbruch. Die nicht das Gold der Medici polieren, sondern die Fassung in den Griff bekommen wollen.

Es sind diese Designer, die zuerst und immer wieder Fragen stellen. Sie stellen die absolut richtigen Fragen an die Dinge, die zu gestalten seien. Wir erkennen die Qualität ihrer Fragen daran, dass sie immer um den Menschen und seinen Umgang mit den Dingen kreisen, um die Anwendungen, mit denen wir in unserer Gegenwart permanent wie im Zickzacklauf Haken schlagen.

Mit Anwendung benennen wir im Deutschen ganz wunderbar das Phänomen, dass dem Gebrauch der Dinge eine Wendung innewohnt. Diese Wendung vollzieht sich in dem Moment, in dem das Ding seinen Inhaber wechselt (auch ganz wunderbar: das Ding ist aktiv, und nicht der Inhaber) – etwa vom Hersteller zum Händler, von diesem zum Käufer, von diesem zum beschenkten Freund, und so weiter. Dann liegt die Verwendung des Dings allein in der Macht dessen, dem das Ding fremd ist. Was der Designer irgendwann einmal damit beabsichtigt haben mag, ist ab sofort irrelevant. Die Anwendung liegt nicht in seiner Macht. Für die Designer, über die ich gerade spreche, ist das kein Grund zur Verzweiflung, kein Grund, „Mayday“ zu rufen. Es ist ganz einfach die Wirklichkeit. Sie sehen darin nichts weiter als einen Anlass, genauer hinzusehen und fortwährend Fragen zu stellen.

Das können Fragen zum Mythos des Sitzens auf freischwingenden, auskragenden Stühlen sein, zum beiläufigen Abstellen eines Glases, zum Arbeiten im Wandregal „Step by Step“, Fragen zum temporären Aufbewahren des alltäglichen Chaos oder zum endgültigen Wegwerfen (auch das Runde muss einmal ins Eckige). Im Unterschied zu den Arbeiten der anderen Designer sind ihre Resultate jedoch keine abschließenden Antworten. Sie erheben nicht den Anspruch, dass damit alles gesagt sei – soll heißen: dass ihre Urheber damit das letzte Wort hätten. Nach dem Motto: Die endgültige Leuchte, das ideale Haus, der letztgültige Stuhl.

Diese Designer, von denen ich hier spreche, entwickeln Lösungen im Sinne eines freundlichen Tipps oder auch einer Stellungnahme, die zu diskutieren sei: Das hier könnte Stuhl Nr. 1 sein (chair no. 1), und daran könnten andere wiederum anknüpfen, wenn sie den fortlaufenden Austausch von Rede und Widerrede ernst nähmen und nicht bloß egomanisch aufs lautstarke Aneinandervorbeireden abgerichtet wären. Um einen Beitrag zu diesem kontinuierlichen Diskurs zu leisten, muss man zuerst genau zuhören. Diese Designer beobachten die Dinge, die bereits vorhanden sind, in ihren Zusammenhängen. Es gelingt ihnen, daraus Anknüpfungspunkte für ihre behutsame Weiterentwicklung zu bestimmen. Wir dürfen uns nicht davon irritieren lassen, dass dieses Vorgehen ihnen bisweilen als Vorwurf vorgehalten wird, weil es als Zitieren oder sogar Plagiieren missverstanden wird. Solchen Fehldeutungen liegt der einfältige Irrtum zugrunde, dass ein Gestalter nur dann von Rang sei, wenn er jede Woche eine neue Welt erschaffe, einen neuen Coup lande. Darum kann es längst nicht mehr gehen. Diese Designer richten den Fokus ihres gegenwärtigen Denkens und Handelns auf das, was aktuell in unserer Gesellschaft bewältigt werden muss: Reuse, reduce, recycle.

Ihre besondere Leistung besteht darin, dass sie sich für diese Bewältigung dem Reflex verweigern, in die Klamottenkiste zu greifen. Stattdessen entwickeln sie eine eigenständige ästhetische Lösung für jede Herausforderung. Um den nächsten Ismus, um den nächsten Stil kann es dabei wahrhaftig nicht gehen, wenn es OK sein soll. Mit ihrem Panorama eröffnen sie uns den Einblick, den 360-Grad-Rundumblick und Ausblick auf ihre Sicht der Dinge. Es ist gewiss keine anschmiegsame, geschmeidige und gefällig-gefügige Welt der Dinge. Das Universum, das sie vor uns ausbreiten, befindet sich in der Schwebe. Es kommt ihnen nur darauf an, was wir damit machen. Es gibt diese Designer. Machen Sie mal eine Liste, welcher lebende Designer dazu zählt. Ganz oben, on top, auf Platz 1 steht Konstantin Grcic.


René Spitz lehrt und forscht an der RFH Rheinische Fachhochschule Köln als Professor für Designtheorie, Internationales Design und Kommunikation. 2015 kuratierte er die Ausstellung „System Design. Über 100 Jahre Chaos im Alltag“ im Museum für Angewandte Kunst Köln. www.renespitz.de


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