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Reinier de Graaf
Partner, OMA
Reinier de Graaf ist Partner von Office for Metropolitan Architecture (OMA). Er ist Leiter des Thinktanks AMO von OMA und zuständig für Projekte, die sich einem weiter gefassten architektonischen Diskurses jenseits von Gebäuden und Stadtplanung widmen. Zu den Projekten gehören: „The Image of Europe“ – im Mittelpunkt steht das ikonografische Defizit der EU; „D-40210“, eine Strategie zur Vermeidung weiterer Gentrifizierung europäischer Stadtzentren; „Eurocore“, hier geht es um die Umrisse der ersten grenzüberschreitenden Metropole Europas (sie erstreckt sich über Teile der Niederlande, Deutschlands und Belgiens; sowie „The State of Moscow“, ein Entwurf für ein transparenteres Verwaltungssystem für Moskau. Überdies ist Reinier de Graaf für das wachsende Auftragsvolumen im Bereich Energieplanung zuständig, dazu gehören auch „Zeekracht“ – ein strategischer Masterplan für die Nordsee; „Roadmap 2050“ – Eine praktische Anleitung für ein erfolgreiches, kohlenstoffarmes Europa, zusammen mit der European Climate Foundation; sowie „The Energy Report“ – ein globaler Plan für 100% erneuerbare Energie, gemeinsam mit dem WWF.

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18.04.2014 | Architekturkolumne
Der kreative Kampf in der Architektur

Letzte Woche war ich auf einer Konferenz zum Thema „Gemeinsamkeiten von kreativen Prozessen in der Architektur und anderen kreativen Disziplinen wie Kunst, Film und Musik…”. Ich finde es immer merkwürdig, wenn Kreativität mit Kunst gleichgesetzt wird oder zumindest mit Disziplinen mit einer künstlerischen Dimension. Kreativität – mit Fantasie etwas zu kreieren bzw. vielleicht kann man sie auch als Erfindungsgabe bezeichnen – sollte nicht als Monopol einer bestimmten Disziplin und sicherlich nicht der Kunst betrachtet werden. Schon die beiläufige Erwähnung der Architektur in Verbindung mit Kunst, Film und Musik in einem einzelnen Satz lässt doch sofort deutlich werden, dass diese Vorstellung von Kreativität einfach falsch ist. Die Architektur ist keine künstlerische, vielmehr eine vergleichsweise profane Disziplin, der zumeist funktionelle und nicht selten noch banalere Parameter zugrunde liegen. Sie ist nur insofern eine kreative Disziplin als sie es vermag, das angestrebte Ziel mit dem Möglichen auf eine einfallsreiche Weise zu verbinden. Im obigen Satz, in einer Aufzählung mit den ‚Künsten’, erscheint sie unweigerlich wie das fünfte Rad am Wagen.

Auch wenn es um Kooperation geht (das andere große Schlagwort auf der Konferenz) nimmt die Architektur eine besondere Position ein. Architekten kooperieren gewöhnlich mit Ingenieuren, philosophischer betrachtet arbeiten sie jedoch vor allem mit jenen zusammen, die ein Projekt initiieren: den Klienten. Die Architektur ist in erster Linie eine Umsetzung ihrer Vorstellung, daher muss sie sich weit über ihre Überzeugungen hinaus verpflichten (meistens wird das erst im Nachhinein erkannt). Insofern sind die Risiken in dieser Disziplin ganz andere als im Bereich Kunst, Film oder Musik. Durch die Anforderung, dass sie funktional zu sein hat, ist die Architektur ständig in Gefahr korrumpiert zu werden. Wenn der Begriff Kooperation ein „gemeinsames an einer Sache arbeiten” sowie auch eine „Zusammenarbeit mit dem Feind” bezeichnet, dann lässt sich wohl sagen, dass die Architektur in ihrer Geschichte im Sinne beider Bedeutungen agiert hat. In dieser Hinsicht ist ihre Verbindung mit den anderen Künsten nur wenig tröstlich. Die besten Beispiele einer Annäherung der Architektur an die Kunst sind zugleich die besten Beispiele dafür wie eine solche Verbindung dubiose Ideologien und Regime begünstigen kann. Das Anführen von Beispielen möchte ich uns hier lieber ersparen.

Kann die Schwäche der Architektur ihre größte Stärke sein? Welches Bild ergibt sich, wenn wir die Architektur als eine bewusste Form der Kooperation mit all dem betrachten was nicht Kunst ist und zwar in der Hoffnung, dass durch eben diese gegenläufige Bewegung, die die vermeintlichen kulturellen Eliten außen vor lässt, etwas entstünde, das schließlich als Kunst interpretiert werden könnte?

Vielleicht kann die Architektur nur durch die extreme Identifikation mit ihrem Sujet – fast schon wie eine Form des ‚Method-Acting’ – dieses ewige Dilemma durchbrechen: der Verpflichtung angesichts unvermeidlicher Vorgaben kritisch zu sein. Kann sie sich als eine extreme Fetischisierung von Inhalt über Form neu aufstellen, wenn die vorgeblich nur mit Form befasste Disziplin mit der Auflösung der Grenzen der eigenen Profession konfrontiert ist: eine Art ‚vom Leben lernen’, in dem die Architektur die Welt lehrt, was diese der Architektur vermittelt hat…?

Arena, Entwurf, Plattform, Rahmen, Schauplatz, Sphäre, Konstruktion, Fassade, Sockel, Fundament, Modell…sogar das Wort Architektur selbst wird neuerdings immer häufiger in seinem metaphorischen Sinne und nicht seiner tatsächlichen Bedeutung verwendet. Es ist doch paradox, dass just in dem Moment in dem die Architektur zum Spielball der Mächte wird, viele ihrer Begriffe benutzt werden, um Vorstellungen eben jener Mächte zu beschreiben.

Hat die Architektur all das kontaminiert wodurch sie selbst kontaminiert wurde? Vielleicht ist das das eigentliche Vermächtnis des kreativen Kampfes der Architektur.