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Die Codes des Unsichtbaren
von Markus Frenzl | 27.08.2009

Die Basics

Bringen wir erstmal die Basics hinter uns, mit denen ein Artikel über Margiela anzufangen hat: Martin Margiela ist ein Phantom. Der Belgier lässt sich nicht interviewen, es gibt kaum Fotos von ihm, durchs Netz geistert nur ein zwölf Jahre alter Schnappschuss. Er ist der rätselhafte Unsichtbare mit dem gewaltigen Einfluss auf die Modewelt. „Wer ist Martin Margiela?" ist die unentbehrliche Standardüberschrift in Berichten über den Modemacher. Man munkelt, er säße bei den Schauen oft unerkannt in der ersten Reihe. Seit Gründung seines Modehauses 1988 in Paris hat er sich komplett hinter sein Team und die Entwürfe gestellt. Kommuniziert wird in „wir"-Form, um den Teamprozess zu verdeutlichen. Keiner vermag zu beurteilen, ob das kalkulierte Mythenbildung ist oder Ausdruck einer scheuen Intellektuellen-Persönlichkeit. Und keiner weiß genau, ob Margiela selbst überhaupt noch in seinem Modehaus arbeitet oder sich längst zurückgezogen hat. - So, das hätten wir.

Die Haltung

Martin Margiela gilt als der große konzeptionelle Veränderer der Mode, als Philosoph, der mit forschend-ernsthafter Herangehensweise nichts dem Zufall überlässt und alles über den Haufen wirft, was in der glamourösen, nach lauter Präsenz heischenden Modewelt bis dato Gültigkeit hat. Er macht den Regelverstoß zum Prinzip: Seine Mode ist Anti-Mode, seine Läden Anti-Läden, sein Label Ausdruck eines Anti-Marketings. Seine Entwürfe stillen den Modehunger nach dem „Dernier Cri" nicht. Sie sind die Antithese zum Modischen und damit nicht nur Vorbild für die Welt der Mode, in der oft das zum Mainstream wurde, womit er Jahre vorher provoziert hatte. Margiela greift gesellschaftliche Entwicklungen auf, nimmt Entwicklungen und Haltungen vorweg, die sich auch im Möbel- oder Produktdesign der letzten Jahre finden lassen.

Das Schnittmuster

Dass ein Modemacher mit dem Regelverstoß und der Dekonstruktion in den letzten zwei Jahrzehnten stilprägend werden konnte, spiegelt eine der großen übergeordneten Tendenzen dieses Zeitraums: Waren die Achtziger noch geprägt vom Look des Erfolgreichen, von glatter Perfektion und fabrikfrischer Makellosigkeit, so lässt sich seitdem ein bewusster Bruch mit dem allzu Perfekten, Repräsentativen, Eindeutigen und Glatten konstatieren. Wie das „Neue Deutsche Design" in den Achtzigern gegen das Diktum der „Guten Form" im Möbeldesign anging, so verweigerte sich auch Margiela den Konventionen seiner Disziplin. Er brach mit dem protzenden Power-Dressing wie es Droog Design in den Neunzigern mit einem zum Lifestyle mutierten Produktdesign tat. Mit nach Außen gekehrten Nähten machte er die Konstruktion eines Kleidungsstückes sichtbar und stellte das Handwerk in den Vordergrund, das vom Möbeldesign erst vor ein paar Jahren wiederentdeckt wurde. Er machte den Herstellungsprozess sichtbar, genauso wie unzählige Produktdesigner in den letzten Jahren bewusst Spuren der Herstellung in ihre Entwürfe einbezogen. Mit Kleidungsstücken, deren Farbschicht mit der Zeit abblätterte, thematisierte er Nutzung und Gebrauch der Dinge, wie auch das Produktdesign seit den Neunzigern Patina wieder nutzt, um den Dingen Geschichte und Charakter zu geben. Margiela schuf Kleidung aus Tellerscherben wie es Ingo Maurer ein paar Jahre später für seine Leuchte „Porca Miseria!" tat. Er kombinierte Materialien, die bis dato als nicht kombinierbar galten, genauso wie es Hella Jongerius mit ihren Vasen macht. Er dekonstruierte seine Objekte und setzte sie neu zusammen, ebenso wie es heute Martino Gamper mit den Möbeln Gio Pontis tut. Margiela spielte mit den Ikonen der Modegeschichte, mit dem Trenchcoat, dem weißen Hemd, dem Smoking, genauso respektlos und gleichzeitig ehrfürchtig wie zahlreiche Gestalter mit Bauhaus-Möbeln oder Eames-Stühlen spielen. Er verwendete Versatz- und Fundstücke, setzte aus Handschuhen eine Weste zusammen, so wie die Campanas aus Plüschfiguren einen Sessel bauen. Für seine Trompe-l'œil-Kollektion von 1996 bedruckte er Kleidung mit den Fotos anderer Kleidungsstücke, ebenso wie Front auf der diesjährigen Mailänder Möbelmesse bei Moroso Sofas zeigte, deren Faltenwurf nur aufgedruckt ist.

Die Farbe

Die weiße Farbe, mit der Margiela seine Kleidung, aber auch Möbel, ja die ganze Einrichtung seiner Showrooms überzieht, lässt die Dinge ebenso verschwinden wie in den Fokus der Aufmerksamkeit rücken und spiegelt so die präsente Unsichtbarkeit des Designers selbst. Das Weiß nivelliert die laute Präsenz der Dinge, um den Blick auf das Wesentliche zu lenken, ebenso wie Margiela den Models Sonnenbrillen auf die Nasen setzt, um ihre Gesichter mit einem schwarzen Zensurbalken unkenntlich zu machen, oder ihnen Strumpfmasken über die Köpfe zieht, wo andere ihre Kollektion mit dem neuesten Topmodel aufhübschen. Die Farbe Weiß ist dabei kein beschönigendes Übertünchen, sondern ein Zeichen des Neuanfangs, das mit der Zeit bröckelt und Spuren der Vergangenheit sichtbar werden lässt. Mit weißer Farbe versucht er die Geschichte eines Ortes zu erhalten, etwa des Pariser Headquarters, das - passender könnte es kaum sein - früher ein Kloster war. Margiela tunkt seine Umgebung in Farbe wie es Konstantin Grcic mit vielen seiner Möbel am Ende des Entwurfsprozesses macht, um ihre Form zu betonen. Die weißen Hüllen, mit denen in den Margiela-Ausstellungen selbst die Beamer überzogen wurden, verweisen darauf, dass es allein auf ihren Inhalt ankommt, ebenso wie dies Apple vor einigen Jahren mit seinen iPods oder MacBooks tat, die als reine Datenspeicher durch ihr Weiß zur reinen Hülle, zur Projektionsfläche der Inhalte wurden.

Das Labor

Auch die Mitarbeiter des Hauses Margiela tragen weiße Arztkittel: Hier geht es nicht um die klischeehafte Geste des Couturiers, der mit einem Bleistiftstrich eine ganze Kollektion aufs Papier zaubert. Hier wird Kleidung ernsthaft erforscht und Identität exakt konstruiert. Mode wird entwickelt, destilliert, kondensiert und eingedampft. Objekte werden skaliert, um ihren Besonderheiten auf die Schliche zu kommen. Mode wird in ein Periodensystem zerlegt, systematisiert und nummeriert. Im Hause Margiela wird exakt dokumentiert, wie viel Zeit die Produktion eines Entwurfs eingenommen hat. Konzepte, Ideen, Fundstücke, Materialien werden in weiße Kisten verpackt und in weißen Ordnern abgeheftet wie sie in der Mailänder Inszenierung zu sehen waren. Margiela entwickelt Typologien, die sich als immer wiederkehrende Motive durch seine ganze Arbeit ziehen: Die Schneiderpuppe, das unfertige Kleidungsstück oder die ausgefransten Säume. Die Tabi-Stiefel, die ihren Träger wie einen Paarhufer daherkommen lassen. Oder das Glitzern des Silbers und der Discokugel, die nicht mit güldener Repräsentation, sondern mit dem unverblümten Glitter der Siebziger spielen, mit einem Glanz, in dem der Träger verschwindet und sich der Betrachter spiegelt. Die Welt des Martin Margiela ist ein konzentriertes Forschen nach den Ausdrucksformen unserer Zeit wie es bei Gestaltern wie Konstantin Grcic, Stefan Diez oder Jasper Morisson auch im Produktdesign wieder zu finden ist, die mit ihren Studios Keimzellen des Neuen bilden. Das Labor Margiela zelebriert Gestaltung als derart ernsthafte Angelegenheit, dass man es schon wieder als Parodie auf allzu viel Seriosität verstehen kann. Doch wo Design zum Synonym für Beliebigkeit und Belanglosigkeit geworden ist, vermag so viel Ernst Authentizität und Glaubhaftigkeit zu vermitteln. Es ist ein Ringen um das Richtige, ein Festhalten an der eigenen Überzeugung, das auch Gestalter wie Dieter Rams plötzlich wieder zu coolen Superstars hat werden lassen, nachdem sie vielen nur noch als altbacken gegolten hatten. Dennoch: Wäre Maison Martin Margiela ein deutsches Modehaus, wirkte es vermutlich verdammt verkrampft und unlocker.

Das Label

Für die verschiedenen Linien Margielas existiert ein eigenes Periodensystem: Ein Kreis markiert auf dem nur mit Zahlen von 1 bis 23 bedruckten Label, zu welcher Linie das jeweilige Stück gehört. Das Label wird mit vier Stichen auf die Innenseite des Kleidungsstückes aufgenäht: Von Außen ist so allein ein Faden-Kreuz sichtbar, das den Blick noch stärker auf sich zu lenken vermag als ein großes, laut schreiendes Logo. Die Label-Naht Margielas ist zu einem Microcode geworden, der es problemlos schafft, die Philosophie von Naomi Kleins „No Logo" vor sich herzutragen, gar für Konsumverweigerung zu stehen und doch gleichzeitig höchst prägnantes Markenzeichen zu sein. Das Fehlen des Labels, andernorts ein Makel, wird hier zum Ausdruck der Authentizität. Es ist das Muji-Prinzip, das aus der Markenlosigkeit eine besondere Achtung der Inhalte herleitet und dem Käufer erlaubt, sich als Kenner zu fühlen, der den Label-Hype nicht mitmacht, dem riesige Logos ein Gräuel und wahre Werte wichtig sind. Es ist eine Strategie des Understatements, die sich etwa auch bei Alfredo Häberlis Taschenserie „by my side" finden lässt, bei der das Logo nach Innen verlegt ist und farbige Nähte außen das Innenleben anzeigen.

Die Religion

Nur ein kleiner Inner Circle, eine Schar von Jüngern wie es ihn wohl um jeden Superstar gibt, kennt Margiela persönlich. Wer so geheimnisvoll ist, muss faszinierend, darf einfach kein Langweiler sein. Die Begehrlichkeit zu dem geheimbundartigen Kosmos der Marke Margiela zu gehören, ist noch größer als bei den Labels, die sich mit riesigen Logos der Masse gemein machen und den Anschein eines demokratischen Zugangs erwecken - für jeden, der sich einkaufen kann. Doch schon wer die Codes des Unsichtbaren dechiffrieren, die Schnitte lesen und die immer wiederkehrenden Motive erkennen kann, darf sich ein wenig aufgenommen fühlen in die eingeschworene Gemeinschaft, die sich in Staub und abblätternde Farbe kleidet und deren Religionszugehörigkeit sich an vier kleinen, weißen Stigmata ablesen lässt. Es ist die Religion des Authentischen, der Glaube all derer, die Mode nicht nur als Inszenierung der Identität, sondern auch des Intellekts und der Transzendenz begreifen. Und deren Symbole eine umso größere Begehrlichkeit wecken.

Das Fashion-Victim

Martin, kannst Du mich hören? Es ist mir egal, ob Du ein Phantom bist! Ich muss unbedingt den Discokugel-Sitzball aus Mailand haben!


www.maisonmartinmargiela.com

Porca Miseria von Ingo Maurer; © Ingo Maurer GmbH, Foto Tom Vack, München (links) Maison Martin Margiela (rechts)
Maison Martin Margiela Ausstellung in München
If Only Gio Knew… von Martino Gamper
Helm von Maison Martin Margiela für Ateliers Ruby; Foto © Dimitri Coste
Maison Martin Margiela (oben); Studio Campana, Produktion Multidăo Hocker; © Estudio Campana, Foto: Estudio Campana
Maison Martin Margiela Ausstellung in München
Maison Martin Margiela Installation in Paris; Foto © Dimitrios Tsatsas, Stylepark
Maison Martin Margiela Installation in Paris; Foto © Dimitrios Tsatsas, Stylepark
Maison Martin Margiela Ausstellung in München
Maison Martin Margiela Ausstellung in München
Maison Martin Margiela Ausstellung in München
Maison Martin Margiela Ausstellung in München
Maison Martin Margiela Ausstellung in München
Maison Martin Margiela Ausstellung in München
Maison Martin Margiela Ausstellung in Mailand; Foto Markus Frenzl
Maison Martin Margiela Ausstellung im Haus der Kunst, München
Maison Martin Margiela Ausstellung in München
Maison Martin Margiela Ausstellung in München
Maison Martin Margiela (oben); Tensta Konsthall von Front Design (unten)
Maison Martin Margiela (oben); Groove Bottles von Hella Jongerius (unten)
Maison Martin Margiela (oben); Draped Sofa von Front für Moroso (unten)
Maison Martin Margiela (oben); Soft Wood Sofa von Front für Moroso (unten)
Maison Martin Margiela Installation in Paris; Foto © Dimitrios Tsatsas, Stylepark
Maison Martin Margiela Installation in Paris; Foto © Dimitrios Tsatsas, Stylepark
Maison Martin Margiela Installation in Paris; Foto © Dimitrios Tsatsas, Stylepark
Maison Martin Margiela Ausstellung in München
Maison Martin Margiela Ausstellung in München
Maison Martin Margiela Ausstellung in München
Maison Martin Margiela Ausstellung in München
Maison Martin Margiela Ausstellung in München
Maison Martin Margiela Ausstellung in München