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Die Diplomatie der Farbe

Beirut brodelt. Die Metropole an der Levanteküste schillert und blutet zugleich: Alte osmanische Bauten prunken zwischen Kathedralen, Synagogen und Moscheen, Hochhäuser klettern in einen cyanblauen Himmel – und inmitten der gewachsenen Struktur klaffen jäh die Wunden von 15 Jahren Bürgerkrieg. „Diese Stadt ist voll von unbeschreiblicher Hässlichkeit und unsagbarer Schönheit. Hier zu leben, bedeutet einen täglichen Kampf. Doch wenn man Beirut liebt, gibt es einem auch viel zurück“, erzählt Maria Hibri leidenschaftlich.

Allen okzidentalen Vorurteilen von der unterdrückten orientalischen Frau zum Trotz geht bei dieser Designerin Familiensinn Hand in Hand mit weiblichem Schaffensdrang: Als 18-Jährige heiratete sie und bekam drei Kinder. Später handelte sie zwischen ihrer Geburtsstadt Beirut und New York mit Möbeln und Objekten, bis sie im Jahr 2000 mit einer Gleichgesinnten, Huda Baroudi, das Label Bokja Design gründete. Mit einer klar formulierten Aufgabenstellung: „Wir Libanesen sollten unser kulturelles Erbe mehr wertschätzen. Denn es ist ein wunderbares Erbe!“ Seither arbeitet das Team von Bokja daran, die Farb- und Formenüberlieferung des Mittelmeerstaats in eine heitere und dabei zeitgeistige Vintage-Ästhetik umzuwandeln – und so neben die bittere Kriegserfahrung ein kleines, dafür betont buntes Fanal zu setzen. Pure Zuversicht weht auch durch Marias Zuhause im Herzen Beiruts. Als sie sich vor fünf Jahren zum zweiten Mal trauen ließ, erschien ihr in ihrem Haus die Vergangenheit zu mächtig: „Es war Zeit für ein neues Leben. Nur konnte ich nicht in einen Neubau ohne Seele ziehen. Ich wohnte damals in einem ausgedienten britischen Konsulatsgebäude mit viel Fluidum – da musste ich erst eine Entsprechung dazu finden.“ Die liegt nun im Viertel Aschrafiyya, einer Art „SoHo“ der libanesischen Hauptstadt, in einer Oase von historischen Gebäuden. Dass sie überlebt haben, ist vor allem dem weitsichtigen Wirken einer Dame zu verdanken: der libanesisch-britischen Aristokratin, Mäzenin und Kulturförderin Lady Cochrane Sursock. Gemeinsam mit ihrer Familie tat sie einiges, um Beiruts historische Architektur zu erhalten, insbesondere aber die Häuser in der Umgebung ihrer Stadtresidenz, dem „Palais Sursock“.

Als Maria dann ihr zukünftiges Heim, einen libanesischen Prachtbau mit bis zu sechs Meter hohen Räumen und den typischen Arkadenfenstern, zum ersten Mal betrat, war sie sofort entflammt. Dafür nahm sie sogar in Kauf, das Objekt „nur“ zu mieten. Doch waren die 250 Quadratmeter auf zwei Ebenen auch so ganz anders als das verwinkelte englische Haus, in dem sie bislang gelebt hatte. „Es gab keine Ecken und Korridore mehr, in die ich mich verkriechen konnte. Ein Zimmer führt hier ins nächste, und alle sind sie, nach alter Tradition, um einen großen Zentralraum gruppiert, einer Art ‚Haus im Haus‘.“ Irritierend fand sie auch die Relikte der ersten Bewohnerin nach dem Bürgerkrieg, der Architektin und Designerin Annabel Karim Kassar: „Alles war in luminösem Orange und Apfelgrün gehalten. Ein kühner Geschmack, nur eben nicht meiner.“ Sie zollte Annabel dennoch Tribut, indem sie zum Beispiel die leuchtenden Fensterrahmen im Speisezimmer beibehielt.

Weit lieber als Pop-Art-Grell sind Maria Hibri aber die durchdringenden Farben Zentralasiens. Das Sofa ihrer Großmutter im Schlafzimmer etwa ließ sie mit rosarotem russischem Chintz überziehen, auch unter dem Einfluss von Alain de Bottons „Architecture of Happiness“. „Anfangs fühlte ich mich in den großen Räumen verloren – so, als ob ich darin schwimmen würde. Jetzt ist meine Großmutter bei mir, und sie trägt Pink. Das gibt mir Halt. Oh ja, Möbel können ganz sicher glücklich machen. Sie sind wie Lippenstift für eine Frau!“ Gleichzeitig musste sie in ihrem neuen Zuhause auch „Loslassen lernen“: „Ich kam mit meinen Sachen hierher wie mit meinem Gefolge. Eine Woche lang spielten wir dann alle möglichen Kombinationen durch. Was partout nicht hierher passte, musste draußen bleiben.“ Trotzdem glaubt die Muslimin, die nun mit einem Christen verheiratet ist und sich selbst als unpolitisch bezeichnet, unerschütterlich an das unkomplizierte Neben- und Miteinander von Gegensätzen: „Bei Bokja sprechen wir immer von der ‚Demokratisierung der Objekte‘. Wenn man zwei Stücke, die man mag, nebeneinanderstellt, mögen die sich auch irgendwann.“ Und so hat in ihrem Haus eine pinkfarbene Madonnenskulptur ebenso Platz wie der Esstisch eines niederländischen Designers oder ein Lenin-Gemälde aus Usbekistan. Alles fügt sich scheinbar naht- und mühelos zu einer vergnügten und nonchalanten neolibanesischen Innenwelt zusammen.

Den Humor bat Maria Hibri unter anderem in Form eines Fischs dazu, der nun statt einer Deckenlampe durchs Lesezimmer fliegt. Aus dem Marais in Paris fand er über Istanbul, wo Marias Mann als Diplomat arbeitet und wo sich der Zweitwohnsitz der Familie befindet, seinen Weg hierher. Ähnlich egalitär und überkonfessionell wurden auch im Garten höchst unterschiedliche Pflanzen wild durcheinandergestreut. Ganz nach Marias Geschmack: „Ich mag einfach keine Perfektion. Darum nennen wir uns bei Bokja auch die Chaos-Macher.“ Im Winter und im Frühjahr sitzt sie gerne auf dem Balkon, der diesen grünen Hort überblickt. Am liebsten aber ist ihr das Badezimmer. Es besitzt zwei große Fenster zum Innenhof, durch die die Sonne flutet. „Dort bin ich immer mit meinen Kindern, wenn sie zu Besuch sind.“ Das brodelnde Beirut, es kann auch ganz lauschig sein. Maria Hibris vielstimmige Interieurs jedenfalls zelebrieren eindeutig die leichtfüßige Seite des Daseins.

Das Video zu Maria Hibris Vintage-Palast
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Auf dem Sofa von einem New Yorker Flohmarkt liegt ein Kissen, das Hibri für ihr eigenes Label Bokja designt hat. Foto © Filippo Bamberghi

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