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Ein Stil-Leben

Positano, an einem Nachmittag im Spätsommer: Ein sanfter Wind weht, der Blick von der Restaurant-Terrasse ist postkartenschön. Cesare Cunaccia zerteilt eine Melone und die Erinnerungen. „Seit ich denken kann, hat guter Stil für mich immer bedeutet, sich selbst treu zu bleiben.“ Cunaccia legt Messer und Gabel beiseite und denkt einen Augenblick nach. „Jedenfalls waren alle meine Wohnungen das exakte Abbild meiner Lebenssituation, meiner Vorlieben und Interessen.“ Sei einfach du selbst – das sagt sich so leicht, wenn man eine solche Instanz in Sachen Ästhetik ist. Ein gutes Vierteljahrhundert war Cesare Cunaccia die rechte Hand von Franca Sozzani, Chefredakteurin von „Vogue Italia“, der Bibel der internationalen Fashion-Community. Um ein Haus oder ein Apartment gelungen einzurichten, müsse man versuchen, den Dingen ihre Poesie zu lassen. „Es gibt zwei Arten von Sammlern: solche, die spekulieren, um damit Geld zu verdienen. Und solche, die imstande sind, die verborgene Seele der Gegenstände wahrzunehmen“, sagt der studierte Architekt.

In seiner Eigenschaft als Stilexperte verschlug es den Sohn einer noblen italienisch-deutsch-französisch-österreichischen Familie aus dem Trentino sogar kurz zur italienischen Version von „Big Brother“ – mit dem zu erwartenden, katastrophalen Resultat. Cesare Cunaccia als Juror im Trash-TV: Das war ungefähr so, als würde Claus Kleber Reportagen aus dem „Dschungelcamp“ senden. Bei einem Mann mit seinem Horizont ist es nicht verwunderlich, dass ein Gespräch, in dem es eigentlich um seine Mailänder Wohnung gehen sollte, schnell zum Allgemeinen und Grundsätzlichen führt. Um ein Haus oder ein Apartment gelungen einzurichten, müsse man versuchen, den Dingen ihre Poesie zu lassen. „Es gibt zwei Arten von Sammlern: solche, die spekulieren, um damit Geld zu verdienen. Und solche, die imstande sind, die verborgene Seele der Gegenstände wahrzunehmen“, sagt der studierte Architekt. Das spekulative Sammeln könne man lernen, rückhaltlose Sammlerpassion nicht: „Die hat man oder man hat sie nicht.“

Er selbst war als junger Mann eine Zeitlang regelrecht besessen von einer der berühmtesten Skulpturen der abendländischen Kunst, der Figur des Herkules Farnese. „Ich fing an, alle Reproduktionen zu kaufen, derer ich habhaft werden konnte, in Elfenbein, aus Marmor, groß und klein.“ Es war wohl eine Art coming of age, eine Phase, in der sich seine „verrückte barocke Art“ Bahn brach. „Ich fühlte mich wie ein Flaneur in einem Museum – ich schlenderte durch mein Leben und hörte, wie mich die Objekte riefen.“ Dass er ausgerechnet dem Herkules Farnese verfiel, war natürlich kein Zufall. Als im 16. Jahrhundert Teile von römischen Kopien des griechischen Originals ausgegraben wurden, war das schon für die Zeitgenossen eine unglaubliche Sensation. Der nachdenkliche Halbgott Herkules, der sich lässig auf seine Keule stützt und hinter seinem Rücken die drei Äpfel der Hesperiden versteckt, verkörperte in idealer Weise die unangestrengte Leichtigkeit, die man seit der Renaissance im Italienischen mit dem Wort „Sprezzatura“ umschreibt.

Diese Lässigkeit ist eine universelle Kategorie. Und natürlich gilt sie für einen gebildeten Augenmenschen wie Cesare Cunaccia auch in seiner eigenen Wohnung. „Man braucht eine Ordnung, die nicht nach Ordnung aussieht“, ist er überzeugt, „damit das Sammelsurium aus Familienerbstücken, Glückskäufen, Geschenken und Trouvaillen, das sich mit der Zeit in einem Haus anhäuft, nicht im kompletten Chaos endet.“ Sprezzatura eben. Schon früh in seiner Laufbahn als Stilexperte hat der germanophile Cunaccia („Wagners ,Tristan und Isolde‘ ist Perfektion“) erkannt, dass bestimmte Kunstgegenstände, aus welcher Zeit und Weltgegend sie auch stammen mögen, vom selben Geist geprägt sind. Und auch, dass sich Geschmack mit den Jahren ändert. In seinem Mailänder Apartment ist deshalb alles im Fluss und hat doch seinen festen Platz: japanische Keramik und Glaskunst aus Venedig, indische Teppiche und alte französische Stoffe, ein Schrank aus dem 19. Jahrhundert und Beistelltische aus transparentem Plexiglas, Altmeister-Gemälde und Modefotos aus dem Paris der Fünfziger.

„Ob man gerne in einer Wohnung lebt“, sagt Cesare Cunaccia, „hängt auch davon ab, ob man es schafft, die richtige Balance aus Kontrolle und Kontrollverlust zu finden.“ Und gilt das nicht auch für das Leben an sich? Noch am selben Nachmittag in Positano schmiedet Cesare Cunaccia Zukunftspläne. Sollte er vielleicht einen neuen, großen Schritt tun und ganz ins Interior-Fach wechseln? Die Idee gefällt ihm sichtlich, schließlich hat er alles, was man dafür braucht: Geschmack und Sprezzatura.

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