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Eine neue industrielle Revolution?
von Antje Southern | 09.08.2013
Ein Fingerzeig auf Großbritanniens einstige globale Vorherrschaft im Bereich Design und Innovation und gleichzeitig ein Symbol für die neue digitale Ära: die Neon-Installation im Eingangsbereich der Ausstellung. Foto © Design Museum

Diese Ausstellung dürfte für 71 Prozent der Briten, die nach einer Umfrage wenig bis gar nichts über 3D-Druckverfahren wissen, sehr aufschlussreich sein: „The Future is here“ beschäftigt sich mit den Folgen neuer digitaler Technologien und zielt zugleich darauf, die Wahrnehmung der Öffentlichkeit im Hinblick auf zukünftige Möglichkeiten zu verändern. Das Ergebnis ist eine interaktive und umfassende Ausstellung, die für Konsumenten und Designer gleichermaßen kuratiert wurde und einen Überblick über die innovativsten Verfahren, Produkte und Technologien bietet. Deyan Sudjic, der Direktor des Design Museums entwickelte die Ausstellungsidee 2011während einer “Meeting of the Minds”-Debatte im Britischen Museum, in der deutlich wurde, dass junge vielversprechende und in Großbritannien arbeitende Designtalente mit den Herstellern neuer digitaler Technologien nicht optimal zusammenarbeiten. Langfristig könnte eine solche Teamarbeit neue Geschäftsmöglichkeiten eröffnen und das Wirtschaftswachstum anregen.

Es überrascht daher nicht, dass die Ausstellung vom „Technology Strategy Board“ (TSB) gefördert wird, einer öffentlichen Einrichtung, die an die Regierung berichtet und den Einsatz innovativer technologischer Lösungen in britischen Unternehmen forcieren soll. Kit Malthouse, er ist als Londoner Bürgermeister verantwortlich für die Ressorts „Business“ und „Enterprise“, hat in seiner Eröffnungsrede die Rolle der neuen digitalen Technologien in der britischen verarbeitenden Industrie mit der im Hinblick auf Design und Innovation historischen Weltmarktführerschaft Großbritanniens während der viktorianischen Industrierevolution verglichen. Der Kurator verkündete daher ganz unerschrocken eine „neue industrielle Revolution“, die für traditionelle Herstellungsprozesse Alternativen in Form von innovativen digitalen Technologien eröffne und möglicherweise ähnliche bedeutende Auswirkungen auf unsere Lebensweise habe, wie sie die Erfindung der Dampfmaschine und der Eisenbahn im 19. Jahrhundert nach sich zog.

Entsprechend findet sich am Eingang der Ausstellung eine von Bruce Naumann inspirierte Leuchtschrift, die zwischen „The Future is here“ und „The Future was here“ wechselt und die Darstellungen der bedeutenden Erfindungen erhellt, die die Ereignisse und Auswirkungen der industriellen Revolution im viktorianischen Zeitalter veranschaulichen. Dieser kurze geschichtliche Abriss, der 1989 mit dem „Beginn des Internetzeitalters“ endet, ist von gelasertem Acrylglas eingefasst, das einen Hintergrund zeigt, der sich von der ländlichen Szenerie zur Stadtlandschaft mit Schornsteinen und Fabriken verwandelt. Die wesentlichen Faktoren des Industriezeitalters wie Automatisierung, Standardisierung, Skaleneffekte herkömmlicher Produktionsprozesse sowie die sozialen, politischen und ökologischen Konsequenzen, sind die zentralen Themen, die das Grundgerüst der Ausstellungskonzeption bilden.

Experimente mit 3D-Druck

Die digitale Fabrikationseinheit der Ausstellung ist mit verschiedenen Maschinen in Desktopgröße ausgestattet, die für unterschiedliche Aufgaben eingesetzt werden können und die der Besucher erkunden kann. Ein 3D-Drucker kann so programmiert werden, dass er auf der Basis eines digitalen Entwurfs aus verschiedenen Materialien ein beliebiges dreidimensionales Objekt produzieren kann. Dieses Verfahren macht spezielle Werkzeuge überflüssig und ist kostengünstig. Es stellt daher gewissermaßen die revolutionäre Grundlage dieser Technologie dar und nimmt eine Schlüsselposition in dieser Ausstellung ein.

Ron Arads kreative Designverfahren sind von der digitalen Ära geprägt. In seinem Studio wurden schon sehr früh computerisierte Herstellungsprozesse genutzt, um Einzelhandelsprodukte zu kreieren. Im Jahr 2000 stellte Ron Arad eine Serie von „Bouncing Vases“her, deren Design einer zufälligen computergenerierten Animation entsprang, die dann mit einem Lasersinterverfahren (SLS), einem anderem 3D-System, produziert wurde. Dieses Verfahren gewährleistet, dass jedes Objekt einzigartig ist und den anspruchsvollen Designsammler somit zufrieden stellen kann. Zehn Jahre später erforschte das Studio funktionale Merkmale, die nur mit einer 3D-Drucktechnologie hergestellt werden können.

Für „Pq Eyeware“ hat Ron Arad Sonnenbrillenrahmen kreiert, die aus Nylonpulver gefertigt sind. Sie verfügen über Scharniere, die wie die Rückenwirbel eines Tieres funktionieren. Durch den Verzicht auf eine herkömmliche Scharnierlösung mit Metallstiften und -zapfen können die Bügel nach innen, aber nicht nach außen gebogen werden, was eine gute Anpassung an die Kopfform ermöglicht.

Die Ausstellung stellt in der Tat eine ganze Reihe von Produkten vor, die in dieser Form nur durch den Einsatz von 3D-Designverfahren hergestellt werden können. Ein zentraler Aspekt der 3D-Drucktechnologie ist die mögliche individuelle Anpassung. Das „Project DNA Feathered Shoulder“ von Catherine Wales, das Teil einer Modekollektion von maßgeschneiderten Stücken ist, die für jede beliebige Körperform passend gedruckt werden können, veranschaulicht dies sehr gut.

Obwohl Technologien der digitalen Ära wie der 3D-Druck in den letzten zehn Jahren exponentiell gewachsen sind, haben sich doch viele der digitalen oder numerisch gesteuerten Verfahren allmählich aus den Fortschritten der vorherigen Jahrhunderte herausentwickelt. So basierte bereits die Funktionsweise des 1801 erfundenen Jacquard-Webstuhls auf mit Lochkarten verbundenen Schnüren, die maschinenlesbar waren. Dies war in der Tat die erste Maschine, die einer Reihe von Anweisungen folgen konnte. Der eigentliche Prozess bleibt gleich, obwohl digitale Strick- und Webmaschinen nicht länger mechanisch sondern elektronisch gesteuert werden.

Industriegeleitete Innovation

Während der Jacquard-Webstuhl dabei half, die Textilindustrie im 19. Jahrhundert zu revolutionieren, werden die heutigen, auf digitaler Technik basierenden Webmaschinen nicht nur in einem Bereich, sondern auf äußerst vielfältige Weise eingesetzt. So kann der ausgestellte digitale Webstuhl TC-2, der von „Tronud Engineering“ entwickelt wurde, zum Beispiel für „Rapid Prototyping“ eingesetzt werden und funktioniert wie ein dreidimensionaler Skizzenblock, der die Visualisierung von Ideen und Konzepten unterstützt. Überdies verfügt er über die Fähigkeit, individuelle Designs von High-End-Textilien zu produzieren. Um das neue Model „LFA super car“ zu bauen, hat „Lexus“ einen speziellen Webstuhl entwickelt, der Karbonfasern verarbeitet. Im Prinzip wird die 3D-Webtechnologie hier angewandt, um effizientere Autos herzustellen, indem ihr Materialvolumen reduziert, die Widerstandskraft der Konstruktion aber erhöht wird.

Die Ausstellung zeigt auf umfassende Weise wie die fortschrittliche Fertigungsindustrie, insbesondere im Automobil- und Luftfahrtsektor, mit ihrer Investitionsbereitschaft für die Entwicklung neuer Technologien maßgeblich waren. Der Triebwerkshersteller „Rolls Royce“ zum Beispiel hat mehr als 7,5 Milliarden Britische Pfund in die Förderung innovativer Ideen vom Konzept bis zur Produktionsreife gesteckt. Daraus entstanden sind zum Beispiel „Trent 1000“-Turbinenschaufeln aus Titan, die für das Dreamliner Projekt von Boeing entwickelt und gefertigt wurden.

Den Konsum bedienen

Die individuelle Anpassung als einer der wesentlichen Vorteile des computerisierten 3D-Drucks ist zugleich auch der rote Faden des Ausstellungskonzepts. Der kalifornische Autohersteller „Tesla Motors“ etwa kann mittels eines Produktionsprozesses, bei dem mehrere Roboterarme simultan verschiedene computerisierte Anweisungen ausführen, individuelle Automodelle anfertigen. In diesem Fall erlaubt es die Anwendung einer digitalen Produktionsweise dem Hersteller, individuellen Bedürfnissen nachzukommen und die standardisierte Form der vollautomatischen Massenproduktion, wie sie Henry Ford vor genau hundert Jahren eingeführt hat, zu ersetzen.

Ein kleiner Möbelhersteller aus dem Osten Londons nutzt auf ähnliche Weise digitale Werkzeuge, um die Abhängigkeit von standardisierten Industrieverfahren zu umgehen. „Unto This Last“ ist nach dem Mantra des Schriftstellers und Kunsthistorikers John Ruskin benannt, der für eine Rückkehr in die Werkstatt des Handwerkers vor Ort plädiert hatte. Hier werden alle Objekte nach Maß angefertigt und innerhalb eines Tages produziert. Möglich ist dies durch ein CNC-Fräsverfahren von Sperrholzplatten. Das Ziel, die Produktionszeit zu verkürzen und die Lieferkette zu vereinfachen, unterwirft die Ästhetik der Objekte jedoch den Beschränkungen der Produktionsmethode.

„The Future is here“ präsentiert zahlreiche Beispiele dafür, wie die Möglichkeiten der digitalen Produktion es Markenherstellern erlauben, dem Konsumenten personalisierte Produkte anzubieten. Die „mi-adidas”-Kollektion lädt den Kunden ein, seinen ganz individuellen Sportschuh zu kreieren. „Makies“ wiederum bietet eine Alternative zu serienmäßig hergestellten Spielzeugen, es ermöglicht dem Kunden ein eigenes digitales und bewegliches Puppenmodell zu entwerfen, das dann mittels 3D-Technologie gedruckt und verschickt wird.

Als weniger effekthascherisch erweist sich die digitalen Fabrikation im Fall von „Femurstool“. Das Design stammt von Assa Ashuach, gedruckt wird mit einer „2T SPE“-Maschine. Die Form des Stuhls entspricht nicht irgendeinem Mode- oder Geschmacksdiktat, vielmehr basiert sie auf einem Algorithmus, dem das Gewicht und die Proportionen der Person zugrundegelegt sind, für die der Stuhl angefertigt wird. Jede Modifikation des Gewichts verändert die Form des Stuhls. Dies ist ein vielversprechendes Beispiel eines tatsächlich individuell angepassten Designs, das durch digitale Technologien möglich wird und keine teuren Werkzeuge oder Massenfertigungseinrichtungen erfordert.

Den Planeten retten

Digitale Technologien sind offenbar auch deshalb so zukunftsträchtig, weil sie Lösungen für eine nachhaltige Produktion bieten und die Langlebigkeit der Produkte erhöhen. In einem Abschnitt der Ausstellung werden Produkte aus Serienfertigungen vorgestellt, bei denen bereits am Beginn des Designprozesses ihre „Entsorgung“ vorgesehen wird. Der Bürostuhl „Do Task“ von Orangebox wurde so konzipiert, dass er schnell wieder in seine Einzelteile zerlegt und zu einem neuen Produkt recycelt werden kann. Die Sneakers „InCycle“ von Pumabestehen aus ungiftigen, biologisch abbaubaren Materialien, die kompostiert und in ihre ursprünglichen Bestandteile zerlegt werden können, sobald sie abgetragen sind.

Trotz der Kurzlebigkeit sich schnell entwickelnder Technologien kehrt „Wandular“ dieses Prinzip um und macht die Produkte langlebiger. Das von „Sony“ entwickelte Konzept besteht aus einem vielfältig einsetzbaren digitalen „Core Device“, das modular aufgebaut ist und mit anderen Objekten verbunden wird, um deren Langlebigkeit zu gewährleisten. Der „Optimist Toaster”soll mit dem in das Aluminiumgehäuse eingravierten Geburtsdatum und einem Zähler, der die Gesamtzahl der getoasteten Toastscheiben anzeigt, eine emotionale Bindung zu dem Gerät herstellen. Das Gehäuse ist praktisch unzerbrechlich und die elektrische Einheit kann durch eine einfache Clip-Mechanik ausgetauscht werden. Sollte der Toaster seinen Charme verlieren, kann er eingeschmolzen und das Material wiederverwendet werden.

Eine dynamische neue Gesellschaft

Der letzte Abschnitt versucht die Auswirkungen der neuen Technologien auf das soziale Umfeld zu veranschaulichen. Soziale Netzwerke und Online-Zahlungssysteme haben bereits den Musik-, Film- und Verlagssektor verändert. Die aufkommenden Technologien ermöglichen es auf noch nie dagewesene Art und Weise, den Konsumenten in den Herstellungs- und Designprozess einzubeziehen. Über Computerterminals kann der uneingeweihte Besucher in der Ausstellung Open-Source-Plattformen wie „opendesk“ erkunden, über die Konstruktionspläne für Möbel oder gar Pläne für CNC-gefräste Häuser heruntergeladen werden können, die von „wikihouse“, einer Open Community von Designern, zur Verfügung gestellt werden. Solche Technologien verwischen die Grenzen zwischen Designer und Konsument. Eine Umfrage ergab jedoch, dass die Mehrzahl der britischen Konsumenten zögert, sich aktiv mit den Möglichkeiten zu befassen, die diese Technologien bieten.

Um den Prozess des „Crowdsourcing“ etwas zu entmystifizieren, hat der Online-Möbelhersteller „Made.com“ gemeinsam mit dem „Technology Strategy Board“ dazu eingeladen, Entwürfe für ein neues kompaktes Zweiersofa einzureichen. Aus einer Shortlist von sechzig 3D-gedruckten Sofamodellen wurde das in der Ausstellung präsentierte „Love Bird“-Sofa von der Öffentlichkeit über den Abstimmungsbutton auf Made.com. ausgewählt.

Lokale Initiativen der britischen Regierung wie „Assemble and Join“ leisten Pionierarbeit im Hinblick auf Produktionsmöglichkeiten für eine Mikro-Gemeinschaft. Im Rahmen dieses Projekts wird geteilter öffentlicher Raum rekonfiguriert, um Bedürfnissen besser gerecht zu werden.

Erst in den kommenden Jahrzehnten wird sich herausstellen, ob die neuen Technologien einen sozialen Wandel ausgelöst haben, der in seinem Ausmaß der industriellen Revolution der Vergangenheit gleichkommt. Man möchte annehmen, dass Karl Marx, der davon ausging, dass derjenige, der die Produktionsmittel kontrolliert auch die politische Macht hat, eine kollektive Dynamik, wie sie diese „neue industrielle Revolution“ mit sich bringt, begrüßt hätte.


The Future is here: A new industrial revolution
Design Museum, London, bis 29. Oktober
www.designmuseum.org
www.the-future-is-here.com

www.ronarad.co.uk
www.teslamotors.com
www.miadidas.com.au
www.assaashuach.com
www.made.com

je Southern
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