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Vom Militärgebiet zum Märchenland: Im Stadtwald von Montabaur holte sich die Natur zurück, was ihr durch den Bau einer Bunkeranlage genommen wurde. Foto © Julia Berlin
Es war einmal ein Bunker ...
von Sophia Walk
12.03.2014

Es war einmal ein Munitionsbunker der NATO. Viele Jahre fristete er ein Dasein im Verborgenen. Wie 14 andere Bunker verharrte er im Stadtwald bei Montabaur zwischen Köln und Frankfurt unter seinesgleichen. Die Bunker verbrachten ihre Tage in stiller Abgeschiedenheit. Keiner wollte sie mehr haben und so holte sich die Natur zurück, was ihr durch den Bau der Anlage genommen worden war. Umgeben von einem grünen Auenland und ihrer Funktion ledig geworden, lebten die vergessenen Bunker glücklich bis ans Ende ihrer Tage.

Märchen dieser Art könnten viele geschrieben werden. Bunker und Hangars, die einst für militärische Zwecke errichtet wurden, umgibt heute eine Aura, die an Märchenlandschaften oder sogar an Science-Fiction-Comics erinnern. Ehemalige Militärgebiete befinden sich an besonderen Orten, meist in dünnbesiedelten Gebieten, sodass der Umgang mit dieser Bausubstanz heute zu einer neuen Aufgabe für Architekten und Künstler wird.

Bunker und Hangars als neue Aufgabe für das Bauen im Bestand

Bunker und Hangars gehören zu einer Bautypologie, deren Architektur fast ausschließlich durch ihren Zweck bestimmt ist. Sind die Truppen, denen sie zu Diensten waren, abgezogen, hat sich ihr militärischer Zweck erledigt. Wie Architekten und Künstler mit solchen Gebäuden umgehen, lässt sich beispielsweise an dem neu genutzten Bunker „b-05“ in Montabaur, dem landschaftlichen Eingriff am „Bunker 599“ bei Utrecht, sowie an der ebenfalls in der Nähe von Utrecht gelegenen mobilen Forschungsstation „Secret Operation 610“ ablesen.

Wird von der Architektur heute häufig verlangt, dass sie auf ihren Kontext eingeht, so war dies im Falle des Baus von Militäranlagen wie Bunkern oder Hangars keinesfalls erwünscht. Im Inneren solcher Gebäude sollte man von der Außenwelt völlig abgeschnitten sein, innen und außen sollten miteinander in keinerlei Verbindung stehen.

Im Wald, da steht ein Bunker

Im Jahr 2005 entdeckten der Architekt und Designer Jan Nebgen und seine Frau Leisa Brubaker das ehemalige NATO-Munitionslager in einem Waldgebiet bei Montabaur. Sie gaben der Bunkeranlage aufgrund des Fundjahres den Namen „b-05“ und transformierten die ehemalige Militäranlage in Ausstellungsräume für Kunst und Kultur. So wurden im b-05 bereits Werke von zeitgenössischen Künstlern wie Matthew Barney, Jannis Kounellis, Thomas Demand und dem Filmregisseur Werner Herzog gezeigt. Mit dem b-05 soll international agierenden Künstlern, Architekten und Designern eine im Herzen Europas gelegene Plattform geboten werden – mittels Räumen für Ausstellungen, Interventionen und als Ort, um sich zu interdisziplinär austauschen zu können. Dies soll in den kommenden Jahren ausgebaut werden. Architekt Jan Nebgen erklärt, dass das Vorgefundene genutzt werden und nicht nur als Kulisse dienen sollte. So basiert das Projekt b-05 nach wie vor auf der ursprünglichen Bausubstanz. Eine völlig kaputte LKW-Halle wurde von Grund auf saniert und beherbergt heute das Café des b-05 mit großer Außenterrasse. Bei der Weiterentwicklung des Areals geht es den Verantwortlichen darum, dass sich die Gebäude in die Landschaft und die Natur integrieren und sich langfristig nicht in den Vordergrund spielen.

Ein zerteilter Bunker verändert die Wahrnehmung der Landschaft

Das Projekt „Bunker 599“ in der Nähe des niederländischen Culembourg, südlich von Utrecht, hat nichts von einer märchenhaften Umnutzung. Hier geht es um eine landschaftsplanerische Intervention. Der niederländische Künstler Erick de Lyon entwarf 2010 zusammen mit den Landschaftsarchitekten von Rietveld Architecture Art Affordance (RAAAF) ein Konzept für eine Zerteilung von Bunker 599. Der massive Betonkörper wurde in der Mitte durchgeschnitten, gleichsam seziert, sodass man nun durch ihn hindurchschreiten kann. Die Spalte wird betont durch einen Weg, der diese ausfüllt und, vom Deich kommend, durch den Bunker hindurchführt, bevor er als Steg in einem künstlichen See endet. Bunker 599 ist einer von 600 bestehenden Bunkern der „Neuen Holländischen Wasserlinie“, die von 1815 bis 1940, als der Bunker 599 gebaut wurde, entlang dieser militärischen Verteidigungslinie genutzt wurden. Mit dem Projekt „Bunker 599“ wollen Atelier de Lyon und die Landschaftsarchitekten von RAAAF das Potential dieser militärischen Landschaft zu Tage fördern und die Bauten für die Öffentlichkeit zugänglich machen. Sie wollen nach eigener Aussage mit diesem Eingriff einen neuen Blick auf geschichtsträchtige Bauten und Landschaften wie diese ermöglichen. Im Vergleich zu den anderen, noch unangetasteten Bunkern in unmittelbarer Nähe zum Bunker 599, lässt sich dieser Entwurfsgedanke von RAAAF an dem umgestalteten Bunker ablesen. Durch den baulichen Eingriff an dem Bunker ändert sich die Wahrnehmung dieses ehemaligen militärisch genutzten Gebietes.

Wie eine Kreatur aus einem Science Fiction Comic

In Soesterberg, im Nordosten von Utrecht, wähnt man sich ebenfalls in einem Science Fiction Comic: Auf dem Gelände einer Luftwaffenbasis aus der Zeit des Kalten Krieges kriecht ein schwarzes Monstrum, einer Raupe gleich, in erschreckender Langsamkeit über die einstige Start- und Landebahn. Die fünf Meter hohe schwarze Kreatur soll in ihrer stählernen Brutalität an die Schrecken des Kalten Krieges erinnern. Gleichzeitig wirkt sie in der Landschaft aber auch grazil, wie sie, mittels Raupenketten angetrieben, über die endlos scheinende Landebahn schleicht. Als Kunstinstallation von Rietveld Landschaftsarchitekten und Studio Frank Havermans entworfen, dient das Objekt vor allem als mobile Forschungsstation mit Platz für zehn Personen. Derzeit forschen hier Studenten der Technischen Universität Delft zum Thema einer nachhaltigen Luftfahrt. In dem ehemaligen Flugzeughangar der Anlage kommt das Gefährt unter, so bleibt dessen ursprüngliche Nutzung erhalten.

Für militärische Zwecke errichtete Anlagen und Gebäude verweisen nicht nur auf vergangene historische Ereignisse und speichern Geschichte. Sie bieten auch Möglichkeiten, neue, andere Geschichten zu erzählen. Geschichten, die so verschieden sind wie die Orte selbst und von mehr und anderem handeln als von Krieg und Zerstörung. Mal erinnern sie an Märchen wie im Fall von Bunker b-05. Mal verändern sie die Landschaft und deren Wahrnehmung wie bei Bunker 599. Und mal werden sie zur Kulisse eines Spiels mit dem Geist des Ortes wie auf der Luftwaffenbasis bei Soesterberg. Ist das Militär abgezogen und hat die für ihre Zwecke errichteten Bauten verlassen, so ist die Geschichte noch längst nicht zu Ende.

www.b-05.org
www.raaaf.nl
frankhavermans.wordpress.com

Der einstige Zweck des Bunkers sollte auch nach der Umnutzung ablesbar bleiben. Foto © Julia Berlin
Wo einst Munition der NATO lagerte, finden heute Ausstellungen statt. Foto © Julia Berlin
Vom Deich aus führt ein schmaler Weg durch den „Bunker 599“ und wird zu einem Steg im angrenzenden künstlich angelegten See. Foto © Allard Bovenberg
An der Stelle, an der der Bunker zerschnitten wurde, sind bei genauerem Hinsehen die Spuren zu erkennen, die das Schneidewerkzeug hinterlassen hat. Foto © Allard Bovenberg
Der Eingriff an Bunker 599 wirkt zunächst brutal, sorgt aber im gleichen Zuge für eine andere Wahrnehmung dieser ehemals militärisch genutzten Landschaft.
Foto © Allard Bovenberg
Wie einem Science-Fiction-Comic entflohen wirkt die mobile Forschungsstation „Secret Operation 610“ der Landschaftsarchitekten Rietveld Architecture Art Affordances mit Studio Frank Havermans, im niederländischen Soesterberg. Foto © Michiel de Cleene
Einer Spinne gleich kriecht die Forschungsstation „Secret Operation 610“ über die Startbahn des ehemaligen Militärflughafens. Foto © Michiel de Cleene
Zehn Forscher finden Platz in „Secret Operation 610“. Hier wird, dem Genius loci entsprechend, beispielsweise zu einer nachhaltigen Luftfahrt geforscht. Foto © Michiel de Cleene
Die Forschungsstation Secret Operation wirkt fast grazil, wie sie aus dem Hangar der ehemaligen Luftwaffenbasis schleicht. Foto © Michiel de Cleene