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Forschung im grünen Bereich
von Nora Sobich | 06.10.2008

Nicht überall, wo heute Öko drauf steht, ist auch schon Öko drin. Der Designer Tom Dixon, der gleich zu Beginn seiner Karriere den Fokus auf den Gebrauch und die Entwicklung nachhaltiger Produkte setzte, gab jüngst das Geschirrset „Ecoware" heraus. Hergestellt werden die schlichten Tassen und Teller aus, wie es heißt, biologisch abbaubarem Material, das aus den Fasern von Bambus gewonnen wird, einem der am schnellsten nachwachsenden natürlichen Rohstoffe. Als Bindemittel, wie sich jetzt allerdings das Gerücht verbreitet, soll dem Biomaterial ein Polyamid beigesetzt sein, das eben nicht für seine Kompostierbarkeit bekannt ist.

Die kreative Atmosphäre, in der derzeit an innovativen Öko-Materialien geforscht wird, erinnert an die frühe Entwicklungsphase von Kunststoff. Wie kein anderes Material hat dies das Design des 20. Jahrhunderts geprägt, aber gleichzeitig auch die Umwelt geschädigt. So wie damals vor gut einem dreiviertel Jahrhundert die Zusammensetzungen und Anwendungsmöglichkeiten der noch nagelneuen Kunststoffe zum Teil im alchimistischen „Trial and Error"-Verfahren erprobt wurden, herrscht nun zu Beginn des 21. Jahrhunderts bei Öko-Materialien eine nicht weniger enthusiastisch experimentelle Stimmung.

Der grüne Anspruch ist heute ohne Frage einer der entscheidendsten Parameter bei der Entwicklung neuer Materialien. Immer mehr Forschungsinstitute, Gestalter und mittelständische Unternehmen arbeiten auf Hochtouren an Werkstoffen, die entweder biologisch abbaubar sind oder sich recyceln lassen. Immer mehr Alternativen zu herkömmlichen Werkstoffen werden gefunden und mit den neuen Materialen auch neue Anwendungsbereiche. Viele der biologisch abbaubaren Materialien sind stoffliche Neuschöpfungen aus dem Verarbeitungsabfall von natürlichen Rohstoffen. Und viele recycelte Materialien lassen sich meist wiederum selbst recyceln, ohne dass man damit jedoch ein Perpetuum Mobile erfunden hätte. Entscheidend dafür, dass Materialien als grün eingestuft werden, ist nicht zuletzt eine öko-effiziente Produktionsweise, zu der eine Reduzierung von Verschnitt und langen Transportwegen gehört. Auch die unternehmensinterne Energiebilanz spielt eine Rolle und wie sich der Herstellungsaufwand zur Qualität und Lebensdauer des Materials verhält. Die Anpreisung als „Öko" beziehungsweise „Eco" macht im Grunde erst mit einer dezidierten „Weil"-Begründung Sinn.

Bei den recycelten Materialien fällt nicht nur die Vielfalt der wiederverarbeiteten Stoffe auf, sondern auch die wachsenden Verwendungsmöglichkeiten. Viele dieser neuen Materialien stellen bereits ausgereifte funktionale Alternativen zu Kunststoffen oder Holz dar. Aus altem Papier produziert die deutsche Firma Well im Pressverfahren ohne Bindemittel ein flexibel biegsames Material namens „Wellboard", das in der Möbelfertigung oder als Tresen- und Wandverkleidung im Laden- und Messebau verwendet wird. Das spanische Unternehmen Lasentiu wurde 2001 mit dem Vorsatz gegründet, Kunststoffe aus getrennter Abfallentsorgung zu verwerten. Der von Lasentiu im Recyclingverfahren entwickelte Holzersatz „Syntrewood" ist ein kleberfreies und nicht-toxisches Material, das zu 85 bis 90 Prozent Polyolefine enthält. Wie Holz kann „Syntrewood" geschnitten, gebohrt und auch geleimt werden kann. Es ist wasserresistent und deutlich kostengünstiger als sein natürliches Vorbild. Gedacht ist „Syntrewood" vor allem für den Bau der Innenteile von Stühlen.

Ohne die typische Recyclingoptik setzen sich recycelte Materialien auch zunehmend im Dekorationsbereich durch. Das Unternehmen Vitrohue fertigt leuchtend rote, grüne oder blaue Schmucksteinchen aus getrommeltem Recycling-Glas, die zur Verzierung von Gärten oder im Interieur als lichtdurchlässige Mosaiken eingesetzt werden können. Auf Abfälle aus Produktionsprozessen, ebenfalls ein Recyclingbereich, ist das brasilianische Unternehmen Ekobe spezialisiert. Dieses verwendet die bei der Verarbeitung von Kokosnüssen entstehenden Reste für seine wahrhaft großartigen Naturfliesen, die als Wandpaneele oder Bodenbelag entwickelt wurden. Mit ihrer erdigen Farbe und ihrer lebendigen, an getrocknete Feigen erinnernden Struktur sind diese avantgardistischen Eco-Fliesen, die sich nicht nur auf Werbefotos bestens mit Ikonen der Klassischen Moderne wie dem „Barcelona Chair" vertragen, ein gutes Beispiel dafür, welche einnehmende Ästhetik in recycelten Materialien stecken kann.

Zu den Boommärkten nachhaltiger Materialien gehört vor allem der Markt der Bio-Kunststoffe, dessen Produktion inzwischen jährlich weltweit um zwanzig Prozent wächst. Was zunächst wie ein Widerspruch in sich klingt, ist in diesem Fall nachhaltig, weil diese neuen Bio-Kunststoffe entweder biologisch abbaubar oder biobasiert sind. Für die Materialforscher stellt sich allerdings das Problem, dass eine bessere biologische Abbaubarkeit mit schlechterer Werkstoffqualität bezahlt werden muß. Die Balance zu finden, ist noch die Kunst. Von dem Unternehmen BASF werden bereits zwei ausgereifte biologisch abbaubare und zum Teil biobasierte Kunststoffe angeboten: „Ecovio" und „Ecoflex", die beide 2007 mit dem „iF material award" ausgezeichnet wurden. Der elastische sowie wasser- und reißfeste Werkstoff „Ecoflex" wird auf petrochemischer Basis hergestellt und eignet sich für die Produktion von Verpackungen. „Ecovico" besteht zur einen Hälfte aus „Ecoflex" und zur anderen aus einer aus Mais gewonnenen Polymilchsäure. Dieses kann unter anderen für die Beschichtungen von Verpackungen oder atmungsaktiven Folien im Hygienebereich eingesetzt werden.

Ein nicht weniger wegweisendes Bio-Ersatzmaterial stammt von dem deutschen Unternehmen Tecnaro. Dessen thermoplastischen Werkstoff „Arboform", auch „flüssiges Holz" genannt, haben die Firmengründer von Tecnaro am Fraunhofer-Institut für Chemische Technologien entwickelt. „Arboform" ist vollständig biologisch abbaubar, lässt sich wie Kunststoff gießen und ist vorwiegend für Anwendungen in spritzgegossenen Formteilen gedacht. Das Eco-Material wird zum einen aus dem organischen Lignin hergestellt, einem Abfallprodukt der Papierverarbeitung, das aus pflanzlichen Zellwänden stammt, zum anderen aus Naturfasern wie Flachs, Hanf oder Sisal. Es kann zur Herstellung für die Gehäuse von Lautsprechern oder ähnlichem verwendet werden, aber auch für kleinste Motorenteile, da „Arboform" weitaus belastbarer und fester ist als Holz.

Biologisch abbaubar sind inzwischen auch viele Textilien. Einen kompostierbaren Bezugsmöbelstoff entwickelte Climatex Lifecycle aus der natürlichen Bastfaser „Ramie" für die Schweizer Rohner Textil AG. Ein so genanntes Rindentuch stellt die deutsche Firma Barkcloth aus der Baumrinde des Mutuba-Feigenbaums her. Die Frage der Transportwege stellt sich aber nicht nur für Barkcloth mit den aus Uganda stammenden Baumrinden, sondern auch für Bambus, das derzeit wie kein anderer natürlicher Rohstoff für Nachhaltigkeit steht, aber vornehmlich im fernen China wächst.

Für natürliche Rohstoffe, die zunächst per se ein ökologisches Versprechen zu beinhalten scheinen, gilt ebenfalls der grüne Qualifizierungsaspekt einer nachhaltigen Erzeugung und Verarbeitung. Moso, der europäische Marktführer für Bambusprodukte, praktiziert bei der Verarbeitung dieser schnell verholzenden Gräser ökologische Vorsorge, indem die zur Fertigung notwendige Energie vorwiegend aus der Verbrennung von Bambusspänen und anderen Abfällen gewonnen wird. Auch bei der Beforstung und Verarbeitung europäischer Hölzer wird ein umweltbewußter Umgang mit natürlichen Ressourcen zunehmend selbstverständlicher. Doch ganz konsequent lässt sich ein solcher Anspruch der Nachhaltigkeit noch nicht durchsetzen. Bei IKEA, dem internationalen Grundausstatter für Wohnbedarf, der sich ein umfassendes ökologisches Firmenkonzept schon früh auf die Fahnen geschrieben hat, gab es in diesem Sommer Engpässe bei den Lieferungen von Bio-Hölzern aus nachhaltigem Anbau. „Die Zertifizierung der Wälder lief langsamer ab, als erwartet, vor allem in China und Russland", hieß es dazu bei IKEA. Um Leerstände in den Verkaufsflächen zu vermeiden, fanden dann auch die bösen Hölzer Eingang in die Regale. Ausnahmen und Unsicherheiten gehören zu Innovationsprozessen dazu. Nur über die bereits eingeschlagene Richtung, da besteht kein Zweifel.

www.materialworks.com

Syntrewood von Lasentiu
Syntrewood von Lasentiu
Vitrohue
Ekobe mit Barcelona Chair
Barkcloth von Barktex
Moso Bambus
Ecoware von Tom Dixon
Wellboard von Well
Wellboard von Well
Paper lab, The Design Annual 2007
Barkcloth
Barkcloth von Barktex
Moso Bambus