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Hauch und Hermes
von Thomas Wagner | 12.12.2009

Der Götterbote Hermes muss einen besonderen Atem haben, einen, der spielend die Grenze zwischen der Sphäre des Symbolischen und des Realen überwindet. Was er übermittelt, verändert die Wirklichkeit. Zumindest hat Tokujin Yoshioka für das Maison Hermès in Tokio in diesen Tagen eine Schaufenster-Installation geschaffen, die eben das nahelegt.

An Prägnanz ist sie kaum zu übertreffen, stellt Tokujin Yoshioka doch nichts weiter als zwei bunte Seidentücher und zwei Video-Projektionen des Gesichts einer jungen Frau - mal frontal, mal im Halbprofil - in die erleuchtete Konsumvitrine. Immer dann, wenn das Bild der in edles Schwarzweiß getauchten Lady die Lippen spitzt und sie ihren Atem ausströmen lässt, bewegen sich die Tücher.

„Pneuma" nannten die Griechen einst den Hauch, eine luftartige, ätherische Substanz, die im Menschen angeblich das Atmen und den Pulsschlag bewirkt. Heute ist dieses Pneuma offenbar eine Eigenschaft der Medien, denn es ist das Bild, das die wirklichen Dinge in Bewegung setzt. Man muss nur an die Macht der Werbung denken, die mit Hilfe von Bildern nicht nur Produkte anpreist, sondern damit mittelbar auch über das Wohl oder Wehe von Firmen und deren Angestellten entscheidet.

Während hierzulande vorweihnachtliche Schaufensterdekorationen als die immergleiche Beschwörung von Winter, Schnee und kindlicher, rot-weißer Nikolausromantik auftritt, lässt sich am Beispiel der Installation von Tokujin Yoshioka mit einem Blick feststellen, dass man auch dabei gestalterisch auf hohem Niveau agieren kann. Zumal das Bespielen der kleinen Schaufensterbühne - ähnlich wie die Verwendung von Gemälden für Modeaufnahmen - einer langen Tradition folgt, in der freie und angewandte Kunst gern gemeinsame Sache machen. So zeigte Harper's Bazaar schon in den vierziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts Models vor Gemälden von Fernand Léger und Piet Mondrian, und Ende der fünfziger Jahre standen Schaufensterpuppen in den Fenstern von Bonwit Teller in New York City vor Gemälden von Jasper Johns und Robert Rauschenberg. Tokujin Yoshioka indes braucht keine Gemälde mehr. Er hält sich allein an den Atem des Bildes, an einen Hauch um Nichts.