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imm cologne 2008 Abgewohnte Rituale
von Markus Frenzl | 10.01.2008

Jedes Jahr, wenn die Weihnachtsgans verdaut, Silvester überstanden und vielleicht sogar ein paar Tage Skiurlaub überlebt wurden, zieht der Designmensch - der ganzen Feiertagsüppigkeit überdrüssig und kurz vor dem Eintritt in die Dauerlethargie - zur Möbelmesse und dem Passagenprogramm nach Köln. Dort beginnt er das Designjahr im Kreise von Kollegen bei Cocktailempfängen, Präsentationen, Hallenrundgängen und Pressekonferenzen. Man geht zu Pesch und in die Spichernhöfe, schaut auf der Messe in die Designhalle und zu den Talents, besucht die fröhlichen Partys der Wohnmagazine und holt sich dabei die ersten Augenringe des Jahres. Danach liest man in den Zeitungen, dass es kaum Neuheiten zu entdecken gab, dass schon wieder ein paar der großen Hersteller weggeblieben sind, dass Köln im Vergleich zu Mailand stetig an Bedeutung verlöre, dass auf allem Swarowski-Kristalle klebten und die aktuelle Trendfarbe Weiß sei. All das war auch dieses Jahr so.

Neu war 2008, dass die Kölnmesse, die seit einiger Zeit um die Relevanz der Veranstaltung fürchten muss, mit neuen Konzepten gegensteuern wollte und sich für die Design-Halle 11 von Ben van Berkel einen "urbanen Masterplan" entwerfen ließ, der im Vorfeld fulminant angekündigt wurde und Großes erwarten ließ. Der urbane Masterplan bestand aus einem grauenvollen, bunt gemusterten Teppich, der die Gänge und Treppen der Hallenebenen durchzog und sich hier und da auch auf den Wänden fortsetzte. Sein flirrendes Muster und seine aufdringliche Farbigkeit schafften das Kunststück, sich mit der Gestaltung jedes einzelnen Herstellerstands zu beißen und so vermutlich die Unplanbarkeit des Urbanen zu visualisieren. - Selten bestand soviel Einigkeit darüber, dass ein Konzept völlig misslungen ist.

Doch auch das Passagenprogramm, einst die rebellische Off-Veranstaltung in Konkurrenz zur Messe und über Jahre einer der Hauptgründe für den Köln-Besuch, ist in die Jahre gekommen und bietet nur noch wenige Überraschungen. Viele Hersteller nehmen nur noch mit ihren permanenten Ausstellungsräumen am Passagenprogramm teil. Die Präsentation in der Design Post etwa bot einen guten Überblick über das Programm einiger der renommiertesten Hersteller im Designbereich - den man so auch in den ambitionierten Einrichtungshäusern jeder deutschen Großstadt erhalten könnte. Wo aber die großen Hersteller das Bild eines Off-Programms dominieren und die Exponate im Showroom die gleichen sind wie vor oder nach der Messe, werden Prosecco und Häppchen notgedrungen zur Hauptattraktion. Teilnehmer wie die Möbelkette Habitat machten sich erst gar nicht die Mühe, ein spezielles Engagement für die Passagen vorzutäuschen und beschränkten es auf das Aufhängen der Passagen-Fahne vor dem Laden. So könnte auch das Passagenprogramm wieder eine wachrüttelnde Gegenveranstaltung gebrauchen, bei der nicht das Label der Veranstaltung, sondern deren Inhalte im Vordergrund stehen und strenge Auswahlkriterien für Qualität sorgen.

Natürlich gab es auf der Messe und bei den Passagen einzelne Perlen zu entdecken: Die gelungene Inszenierung deutschen Designs des Rats für Formgebung in riesigen Werkbundkisten etwa, typisch deutsch nach verbindenden Aspekten sortiert und doch ein beeindruckendes, warenkundliches Sammelsurium dessen, was zeitgenössisches Design aus Deutschland heute bedeutet. Die Ausstellung des Schalterherstellers Merten in den Spichernhöfen, bei der das Unternehmen ganz zugunsten studentischer Arbeiten der HfG Karlsruhe zum Thema Strom und Schalter zurücktrat und so seine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Thematik demonstrierte. Die kleine, aber feine Hocker-Ausstellung bei Markanto und natürlich auch die ein oder andere gelungene Neuheit auf der Messe. Dort bot vor allem die Talents-Schau mit den studentischen Arbeiten einen erfrischenden Kontrast zu all dem Vertrauten bei den meisten Herstellern. Doch für eine Veranstaltung, die noch immer in Trend und Innovation ihre wichtigsten Triebfedern sieht und mit schöner Regelmäßigkeit im Vorfeld das Bahnbrechende, Neue und Überraschende ankündigt, musste Köln insgesamt enttäuschen.

Vielleicht sollte man in Köln akzeptieren, dass der Status des Standortes, an dem die Neuheiten präsentiert werden, längst an Mailand verloren ist. Gerade im Möbeldesign mit seinen - im Vergleich etwa zur Mode - längeren Zyklen ist doch der in den Medien übliche Fokus auf die Innovation eine unnötige Beschränkung und ein der Presse auf dem Silberteller präsentiertes Manko.

Wie die wiederentdeckten Möbelklassiker der Sechziger und Siebziger, die Neuentdeckung der dunklen Hölzer oder die unsägliche Retrowelle gezeigt haben, geht es oft nur um veränderte Kontexte, um die überraschende Inszenierung von Produkten und Unternehmenskulturen, um die Kommunikation von Designgeschichte, Geschichten und Inhalten, um neues Interesse zu wecken. Wo jedoch immer wieder verzweifelt Anschluss an die Konkurrenzmesse gesucht, die Neuigkeit zum Maßstab gemacht und das Bild einer Schau der Innovationen, Trends und Superlative aufrecht erhalten wird, darf man sich über Kritik seitens der Hersteller und Designjournalisten nicht wundern.

Den eigentlichen Sinn Kölns hat in diesem Jahr keiner so gut erkannt und so gelungen umgesetzt wie die Macher des "Magazins": Bei deren Party stand ein simples, leckereres Pellkartoffelessen im Vordergrund, bei dem sich alte und neue Bekannte treffen ließen und das nebenbei auf einem vom Unternehmen produzierten Tisch und dazu passenden Bänken stattfand. - Köln ist zu einem obligatorischen Branchentreff, einem lieb gewonnenen und gewohnten Jahresanfangsritual geworden, zu dem sogar das Lamento über die vergebliche Suche nach den Neuheiten gehört. Inhalte, die sinnstiftend und branchenverbindend wirken könnten, spielen dabei jedoch eher eine untergeordnete Rolle. Messe und Passagen bieten den Besuchern aus der Designszene - um es mit dem new-economy-artigen Slogan des belgischen Möbelherstellers Extremis auszudrücken - lediglich noch die nötigen "tools for togetherness".

Doch weil die Kölner so gut zu feiern verstehen und es einfach schön ist, die Kollegen zum Auftakt des Designjahres zu treffen und neue Kontakte zu knüpfen, sind wir natürlich auch im nächsten Januar dabei, suchen fieberhaft nach Neuheiten auf der Messe und Entdeckungen bei den Passagen und lamentieren fröhlich bei einem Kölsch, dass sie auch diesmal nicht zu finden sind. Hoffentlich fehlen dann nicht schon die Möbel, um das Kölschglas abzustellen.

Sonderschau: German Design
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