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In der Schublade muss es brennen
von Jochen Stöckmann
25.11.2014

Es war einmal ein Psychoanalytiker, der beklagte in seinem bitterbösen Pamphlet „Die Unwirtlichkeit der Städte“. Doch Alexander Mitscherlich fand 1965 – in der regenbogenfarbenen Edition Suhrkamp – zwar viele Leser, aber kaum Gehör. Es kam einfach keine Bewegung in die grauen Betonwüsten der Nachkriegsarchitektur. Bis zwei Jahre später in einem Wiener Gründerzeitbau die Fenster aufgingen: Herausgefahren wurde im Stundentakt in luftiger Höhe der „Ballon für Zwei“, eine pneumatische Hülle, die transparente, kugelförmige Wohnzelle als Grundmodul für eine Stadt der Zukunft. Hinter solchen Interventionen im Straßenraum steckte Ende der Sechziger unter Garantie Haus-Rucker-Co., ein Architekten-Kollektiv aus Wien. Laurids Ortner und Günter Zamp Kelp waren Schüler von Karl Schwanzer, der seine Studenten anhielt, über unkonventionelles Bauen nachzudenken. Mit dem Künstler Klaus Pinter, Dritter im Ver-„Rucker“-Bunde, nahmen die oft nur spontan skizzierten Ideen Gestalt an, verwandelten sich halluzinierte Zukunfts(t)räume in bildhafte Skulpturen.

Mind Expander und Popkultur

Titel wie „Richtungsgeber“, „Urbantoy“ oder „Roomscraper“ signalisieren heute noch die freche Ironie, mit der sich damals junge Künstler-Architekten den Zumutungen profaner Bauaufgaben verweigerten. Der Fron am Reißbrett zogen sie die Arbeit an einer radikal erneuerten Wahrnehmung vor, den revolutionären Kampf um ein neues Bewusstsein. Als Waffe der Kritik kam für Haus-Rucker weder Buch noch Bleistift in Frage, nichts Ideelles. Also schuf das „trio inventivo“ den „Mind Expander“. Doch was mit Farbstift auf Papier noch an ebenso moderne wie mythisch inspirierte Figurationen eines Bildhauers vom Schlage Walter Pichlers erinnerte, wurde 1968 ganz brachial realisiert. In der Haus-Rucker-Retrospektive im Berliner „Haus am Waldsee“ hat die mit Acryl, Polyester und Glasfaser, also mit allen Mitteln der aufblühenden Popkultur veredelte Frisierhaube trotz Metallic-Effekt Patina angesetzt. Und die zusammengebastelte Bewusstseinserweiterungsapparatur wölbt sich über einer Art Sitzbadewanne, ähnlich dem Kommandantensessel der „Raumpatrouille Orion“.

Utopie im Hinterzimmer

Auferstanden aus längst angestaubter Zukunft sollen solche „Inkunabeln“ im bislang wenig beachteten Archiv von Günter Zamp Kelp nebst Plänen, Zeichnungen und Fotodokumenten veranschaulichen, was die Kuratoren in unreflektierter Entdeckerfreude als „Architektur-Utopie reloaded“ bewerten – und hoffnungslos überschätzen. Die „Entstehung des Neuen“ sichtbar zu machen, wie Katja Blomberg als Leiterin des Hauses verspricht, bedarf es subtilerer Fallenbilder.

Etwa kulturhistorischer Momentaufnahmen, die der Architektursoziologe Lucius Burckhardt in den Sechzigern festgehalten hat: „Jeder Architekt hatte damals eine Utopie in seiner Schublade. Besuchte man ihn, so zeigte er einem zuerst die Pläne, an welchen er für sein tägliches Brot zu arbeiten hatte, dann zuckte er entschuldigend die Achseln, und schließlich ging man zusammen ins Hinterzimmer, wo er einen in die Geheimnisse der neuen Raumstadt einweihte: Sie war natürlich flexibel, die Menschen wohnten in transportablen Raumzellen, Reisen erfolgten nach dem Prinzip der Rohrpost, die Menschen versammelten sich und schwebten wieder in ihre Zellen zurück.“

Die Oase in der Seifenblase

In den Hinterzimmern der Architekturbüros wäre so mancher „missing link“ für eine Genealogie der Avantgarden aufzuspüren. Aber diese Nahtstellen zwischen weitgesteckten Utopien und kleinkariertem Bau-Geschäft hatte die Haus-Rucker-Combo nie im Sinn, zumindest in den jungen, wilden Jahren nicht: Ihre „Oase No 7“, eine überdimensionale Seifenblase vor der Fassade des Kasseler Fridericianum, verströmte allein zweckloses Wohlgefallen. Und betreten durfte diese Miniaturvision unter Zwergpalmen nur ein exklusiver Kreis von Journalisten – durch einen Notausgang im Museum. Nicht einmal Nebenwirkungen wird „Utopie“ in dieser Dosierung auf das Alltagsleben gehabt haben.

Aber all das begab sich 1972 auf der documenta 5. Und deren Leiter Harald Szeemann wäre – wie zuvor der Wiener Architektur-Impressario Günther Feuerstein – für nachhaltige Utopien eine Idealbesetzung gewesen. Doch derart strategisch dachten die Haus-Rucker gar nicht. Das Quintett – mittlerweile erweitert um den Ortner-Bruder Manfred – pröbelte sich mit dem taktischen Geschick des „trial and error“ durch die Kunstwelt. „BIG Piano“, ein Turm mit 60 verschieden tönenden Stufen und der von künstlichen Wolken umwaberten Spitze, war 1977 für die nächste documenta nicht ohne weiteres zu finanzieren. Also kam eine Stahlkonstruktion zum Zuge, der „Rahmenbau“ als optische Fassung von Karlspark und Fulda-Aue. Für Zamp Kelp eine ganz pragmatische Entscheidung: „Wenn eine Installation nicht funktionierte, baute man sie wieder ab. Und wurde eine Intervention angenommen, wie zum Beispiel der Rahmenbau in Kassel, blieb sie eben stehen.“

Hüpfburg als Publikumsrenner

Einen Hauch von Utopie allerdings bewahrten sich die Architekten. Neben der „Belebung der Gesellschaft“ durfte der „partizipative“ Aspekt nie fehlen. Zwei „Vorher-Nachher“-Fotos beweisen: Auf das „Giant Billard“, einen Vorläufer der Hüpfburg mit drei mannshohen Kugeln, strömten die Massen – nach dem Probelauf eines einsamen Vorturners. Als Publikumsrenner wurde die Idee vermarktet, die Stadt Toronto war ebenso Kunde wie der New Yorker Tanzclub „The Electric Circus“. Im Grunde aber waren weder „die Gesellschaft“ noch potent(iell)e Bauherren die Adressaten, sondern Sammler: Verkauft wurden Graphikeditionen, Leporello-Skizzen im Format der damals gängigen LP-Cover, dazu einige Objekte, die heute Design-Museen adeln.

Selbst diesen damaligen Stand der Dinge spiegelt die Ausstellung nicht einmal in Ansätzen wider: Viele Exponate stammen fast alle Exponate von Günter Zamp Kelp. Und der mag manches ausleihen, behält aber als Ko-Kurator und charmanter Erzähler mit vielfach erprobtem Anekdotenschatz stets die Deutungshoheit. So reduzieren sich die Kreuz- und Querzüge postmoderner Architektur- und Stadtbaugeschichte auf einen schlichten Stammbaum, an dessen nur wenig verzweigten Enden das „Küchenmonument“ von Raumlabor und die von stählernen Spinnennetzen bekränzten Luftblasen Tomás Saracenos als jüngste Ausläufer mit Haus-Rucker-DNA stehen.

Dieser eindimensionalen Bildhaftigkeit geht auch der dritte Kurator, der Zukunftsforscher Ludwig Engel, auf den Leim. Sein Credo lautet: „Da eure Objekte so ikonographisch gebaut und gestaltet wurden, vermitteln sie uns heute immer noch den Geist dieser Zeit.“ Nur, welchen „Geist“ verkörpern augenfällige Motive wie etwa die pneumatische Hülle? Anfangs wird diese „Megastruktur einer Glühbirne“ eingesetzt als Wohnzelle, aus deren massenhafter organisatorischer Anordnung neue Formen der Gemeinschaft erwachsen sollen. Nach ’68 schlägt diese Technikeuphorie dann um in eine düstere Dystopie: Nun dient dieselbe architektonische Grundform als Sphärenreservat zum Schutz vor der drohenden Umweltverschmutzung.

Schlichter Stammbaum

Selbst gravierende Bedeutungsverschiebungen verblassen allerdings angesichts der tatsächlichen, in der Ausstellung mit keinem Wort erwähnten, geschweige denn analysierten (Fehl)-„Entwicklung“ von Haus-Rucker-Co: Aus der Gruppe, die sich 1968 mit übergestülpten „environment transformers“, mit helmartigen „Blickzerstäubern“ als Pop-Band in Szene setzte, gingen mit den Brüdern Ortner kreuzbrave „Stararchitekten“ hervor. Ihr Büro Ortner & Ortner verschreibt sich im Firmenschild der feinen „Baukunst“, hat aber auch wuchtige Betonwüsten im Angebot, Shopping Malls und Einkaufscenter vom „Forum Duisburg“ bis zum „Boulevard Berlin“. Übrigens auch jenes „Alexa“ am Alexanderplatz, das eine Berliner Architekturkritikerin eben erst an vorderster Stelle in ihren spektakulär aufgemachten „Abriss-Atlas“ aufgenommen hat – als „Symptom für Investorenarchitektur“.

Eine „heute wieder aktuelle Atmosphäre nachhaltiger Gestaltung im Raumfahrtstil der 1960er-Jahre“ erkennt dieselbe Autorin in den jetzt ausgestellten Arbeiten der Haus-Rucker. Hier die Horrorgeschichte, dort das moderne Märchen – da bleiben am Ende alle Ursachen für die sehr gegenwärtigen Rohrkrepierer dieser „Architekturutopie reloaded“ ungeklärt. Aber vielleicht haben sie genau das gewollt, all die Wiener Architekturutopisten wie Haus-Rucker-Co und Coop Himmelblau mit ihrer Parole „Architektur muss brennen“. Und unsere Piefkes sind wieder mal darauf reingefallen.

www.hausamwaldsee.de
www.zamp-kelp.de
www.ortner-ortner.de

Architekturutopie reloaded - Haus-Rucker-Co
Haus am Waldsee, Berlin
bis 22. Februar 2015
Der Katalog, hrsg. von Katja Blomberg,
Verlag Walther König, 76 S., Texte in Deutsch und Englisch,
erscheint am 6. Dezember und kostet 24 Euro

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