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In der japanischen Präfektur Aichi wurde im Jahr 1940 Karimoku gegründet, ein Hersteller hochwertiger Holzmöbel, der bis heute zu den wichtigsten des Landes zählt. In sieben Werkstätten werden die Produkte mithilfe hoher technischer Standards und nach strikten, ressourcenschonenden Vorgaben hergestellt. Beinah siebzig Jahre nach der Gründung des Unternehmens wurde 2009 unter der Leitung von Teruhiro Yanagihara, des Kreativchefs von Karimoku, ein neues Geschäftsmodell ins Leben gerufen. Wie schon der Name des Labels impliziert, will sich Karimoku New Standard daran versuchen, neue Standards im japanischen Möbeldesign zu etablieren und das alteingesessene Unternehmen auf diese Weise behutsam in ein neues Zeitalter führen.

Wie aber übersetzt man zum Teil Jahrhunderte alte Prinzipien des japanischen Möbelbaus ins Hier und Jetzt? Zunächst achtet Karimoku New Standard gewissenhaft darauf, dass die Werte und Grundprinzipien der Mutterfirma fortgeführt und die charakteristische Ästhetik des landesüblichen Designs nicht verloren geht. Drei Kollektionen hat das Label nach diesem Prinzip bereits hervorgebracht. Alle Produkte werden aus nachhaltig angebauten japanischen Harthölzern gefertigt, etwa aus Eichen-, Ahorn- und Kastanienholz. Bei der Produktion macht sich das junge Label die Expertise Karimokus zu Nutze und lässt die Möbel – nicht selten mithilfe komplexer landestypischer Holzverarbeitungstechniken – in den vorhandenen Werkstätten fertigen. Für seine Kollektionen kooperierte das japanische Label bislang mit etablierten, internationalen Designern wie Sylvain Willenz oder dem Designerduo Scholten & Baijings. Aber auch aufstrebende Talente wie der Brite Tomás Alonso, der ECAL-Schüler Lucien Gumy oder das schwedische Designkollektiv TAF haben hölzerne Objekte für das Label kreiert. Auch Designer aus den eigenen Reihen haben Produkte beigesteuert. Zum einen Yanagihara selbst, sowie Satoshi Seto und Takahiko Fujimori, die gemeinsam das Karimoku Design Team bilden.

Sämtliche Entwürfe folgen einem gemeinsamen Leitgedanken, der als „Everyday Life Konzept“ bezeichnet wird. Im Fokus stehen dabei Objekte des alltäglichen Gebrauchs, die sich problemlos in unterschiedliche Wohnräume eingliedern lassen und dadurch eine möglichst große Zielgruppe ansprechen sollen. Bevorzugt werden also Möbel, die nicht auf kurzlebige Effekte und modische Entwürfe vertrauen und somit unterschiedliche Lebensabschnitte – und die damit veränderten Anforderungen – an eine Einrichtung überdauern. Man setzt also auf langlebige Produkte, die sowohl hinsichtlich ihrer Qualität und Funktionalität, als auch in Bezug auf ihre Ästhetik zeitlos erscheinen sollen.

Auf der Grundlage dieser Vorgaben ist ein reich bestücktes Sortiment entstanden, das Tische, Stühle und Regale umfasst und durch praktische Wohn- und Arbeitsaccessoires wie Briefbeschwerer, Kleiderständer und Kartenhalter ergänzt wird. Das „typisch Japanische“ wird dabei nicht nur durch die Wahl des Materials und seiner Verarbeitung garantiert, sondern von unterschiedlichen Handschriften interpretiert. Auch charakteristische japanische Möbeltypologien werden neu interpretiert. Beispielhaft zu nennen sind hier der Stuhl „Torii“ und der Hocker „Torii-S“ des Karimoku Design Teams: Die an den Seiten nach oben gebogenen Sitzflächen und Armlehnen sind dem traditionellen „Shintō-Schrein“ nachempfunden, einem Sinnbild japanischen Designs. Auf dem Stuhl „Ren“ dagegen nimmt der Sitzende selbst landestypische Verhaltensweisen an, begibt man sich durch die anatomische Ausführung des Möbels doch automatisch in die aufrechte und elegante Sitzhaltung, die sich „Seiza“ nennt und in Japan eine lange Tradition genießt.

Bei anderen Produkten steht das Thema „Funktionalität“ im Vordergrund. So verwandelt etwa das modulare Regal „Pile“ von Teruhiro Yanagihara eine herkömmliche Europalette in ein ansehnliches Möbelstück. Gestapelt oder einzeln im Raum aufgestellt, dient es nach Belieben als Regal oder Beistelltisch. Auch bei der Farbauswahl hat man die Wahl. Beinahe alle Produkte sind in verschiedenen Varianten erhältlich, meist schlicht gehalten in Weiß oder Grau, aber auch naturbelassen und mit dezenten Mustern versehen. So sind die Produkte vielfältig einsetzbar und kombinierbar. Nur selten kommt die verspielte und farbenfrohe Seite japanischen Designs zum Vorschein. Der Stuhl „Homerun“ von Sylvain Willenz, der mit comic-artiger Silhouette und in einem kräftigen Gelb daherkommt, bildet eine Ausnahme.

2012 wurden die bisherigen Kollektionen durch neun Prototypen ergänzt, die in Europa Anfang kommenden Jahres erhältlich sein sollen. Die schon bestehende „Colour“-Range von Scholten & Baijings wurde durch einen Esstisch und praktische Behälter in verschiedenen Größen weiter ausgebaut. Der Hocker „Tones“ von Sylvain Willenz kommt mit drei verschiedenfarbigen Beinen daher und das Tischen „Soft Triangle“ von TAF, das sich nicht entscheiden konnte, ob es nun Kreis oder Dreieck werden will, gibt es in einer türkisfarbenen Ausführung. Auch ein neues funktionales Möbel ist dazugekommen. Der Tisch „A Frame Table“ von Tomás Alonso ist in zweifacher Ausführung erhältlich und kann mühelos zusammengefaltet und somit leicht transportiert werden. Damit reagiert Alonso auf gegenwärtige Wohngegebenheiten, die durch begrenzten Raum und häufige Umzüge geprägt sind.

Karimoku New Standard ist es ohne Zweifel gelungen, die Ästhetik japanischen Möbeldesigns in eine zeitgemäße Sprache zu übersetzen. Ein Alleinstellungsmerkmal konnte das Unternehmen damit aber nicht erwirken, verfolgen mittlerweile doch eine Vielzahl junger japanischer Labels ähnliche Konzepte. Ob das Konzept auf Dauer durch die Entwürfe vieler verschiedener Designer verwässert oder – im Gegenteil – geschärft werden wird, muss sich zeigen. Ansprechend sind die Möbel von Karimoku New Standards aber allemal.

www.karimoku-newstandard.jp

Japanisch für Jedermann
von Milenka Thomas
21.09.2012