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Juuri oder Der Geist aus der Flasche
von Nancy Jehmlich | 28.04.2010

Etwas einen Namen zu geben, ist schwer. Ein Name legt fest, ein Name bindet für das Leben, und er weckt Assoziationen, die von Person zu Person unterschiedlich ausfallen. Also lieber einen möglichst neutralen Namen? Oder etwas Unbekanntes, etwas, womit hierzulande womöglich keiner viel anfangen kann? Die Designerin Sarah Böttger gab ihrer Arbeit erst ganz am Schluss den außergewöhnlichen Namen „Juuri". Juuri ist ein finnisches Wort und bedeutet so viel wie „Grundform", „Ursprung". Der Name spiegelt treffend die verschiedenen Ansätze der Arbeit wieder. Zum einen spielt der Name auf die schlichte, archaische Form des Entwurfs an, zum anderen verweist er auf den Ursprung der Arbeit. Denn Juuri besteht aus einer einfachen Form, die einer Flasche ähnelt. Aus dieser Form wurden verschiedene Teile herausgeschnitten, die mittels eines Gummirings farblich und formal unterschiedlich miteinander kombiniert werden können. So entstand ein klares, elegantes Behältnis aus Glas und Kunststoff.

In Finnland liegt gewissermaßen auch der Ursprung für den Entwurf, dem praktischen Teil der Diplomarbeit von Sarah Böttger an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach. „Als ich in Helsinki studiert habe, kam ich zum Glasblasen. Eigentlich wollt ich einen Keramikkurs belegen, aber der fand in diesem Semester nicht statt. Damals hatte ich sehr wenige Berührungen mit Glas", meint Sarah Böttger rückblickend. Wer Glas blasen will, braucht viel Geschick. Es war vor allem die Fingerfertigkeit, die Sarah Böttger bei diesem Handwerk reizte. Denn erst nach jahrelanger Übung, ähnlich wie bei einem Musiker, verinnerlicht das Gehirn die unterschiedlichen Bewegungen der Hände. Beim Glasblasen ist die linke Hand ständig in Bewegung während die rechte Hand die Form bestimmt. Außerdem muss bei diesem fließenden Material der Herstellungsprozess sehr schnell gehen. Glas verzeiht keine Fehler.

Mit der Glasmanufaktur der Familiendynastie Freiherr von Poschinger im bayrischen Wald fand Sarah Böttger schließlich eine der wenigen Glasbläsereien, in der jedes Glas einzeln mundgeblasen und von Hand geformt wird. Der handwerkliche Herstellungsprozess nimmt auch bei Böttgers Entwurf einen wichtigen Teil ein. Also wurden Form und Machbarkeit in stetiger Rücksprache mit der Glasmanufaktur entwickelt.

Der Behälterserie Juuri liegt der Wunsch zugrunde, Handwerk und Industrie in einem Produkt zu kombinieren. Darin spiegelt sich nicht zuletzt der handwerkliche Bezug der jungen Designerin wieder, die vor ihrem Studium als Schreinerin ausgebildet wurde. Ihres Erachtens fehlen industriell gefertigten Produkten oft die Zeichen des Entstehungsprozesses. Es geht ihr in ihren Entwürfen aber auch darum, mit den Produkten eine Geschichte zu erzählen: „Am Ende steht für mich immer ein Prozess, den ich zeigen möchte. Es ist mir jedoch wichtig, dass der Prozess durch die Präsentation des fertigen Produktes abgeschlossen wird, also dass man nicht einen Ausschnitt des Prozesses abbildet." Nach etlichen Untersuchungen, verschiedenen Formideen und Experimenten, entstand Juuri in all seinen unterschiedlichen Ausführungen schlussendlich aus ein und derselben Grundform, was den Herstellungsprozess enorm erleichterte, denn so wurde für die Glasbehälter nur eine Holzform benötigt.

Die Glasform wird an sechs verschiedenen Stellen horizontal geschnitten. Dabei ergeben sich drei Unterteile und drei beidseitig offene Oberteile. Die Schnitte liegen an unbedenklichen Stellen, zum Beispiel nicht im Radius, was den Vorteil hat, dass der Gummiring, der die beiden Glasteile verbindet, immer gleich bleibt.
Auch bei der Entwicklung der Gummiteile aus flexiblen Kunststoff wurde viel experimentiert, bis das richtige Mischungsverhältnis gefunden und das Gummiteil beweglich und dicht zugleich war. „Dahinter steckt viel Tüftelei, auch viele missglückte Versuche, bis mir das Produkt am Ende wirklich ausgewogen erschien", erinnert sich Sarah Böttger. Vor allem war es ihr wichtig, dass die Gummiteile in ihrer formalen Unterschiedlichkeit übersichtlich blieben. Und das sind sie: zwei unterschiedlich große Deckel und ein Gummiring.

Klein, groß, offen, geschlossen, lang, schmal, kompakt, kurz, einfarbig, vielfarbig - Juuri kann für verschiedene Dinge, an verschiedenen Orten, von jedem nach Belieben genutzt und kombiniert werden. So zeugen die Glasbehälter von einer Welt, in der wir flexibel, praktisch und gleichzeitig ästhetisch orientiert sind und multifunktional agieren. Die Zeit, in der die guten Glasvasen und das feiner Teeservice unbenutzt in der Glasvitrine aufbewahrt wurden, ist mit Juuri also vorbei.

www.sarahboettger.com

Glasmanufaktur der Familiendynastie Freiherr von Poschinger
Herstellungsprozess der Glasflaschen
Herstellungsprozess der Glasflaschen
Das fertige Produkt: Juuri von Sarah Böttger
Juuri von Sarah Böttger
Juuri von Sarah Böttger
verschiedene Studien, Alle Fotos: © Sarah Böttger Stapeln und Kombinieren - durch Improvisation ergeben sich unvorhersehbare Kombinationen
Schalung für den Gummiring
Herstellen der Holzform
Herstellungsprozess der Glasflaschen
Juuri von Sarah Böttger
Juuri von Sarah Böttger