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Konkret, beständig, Zwicky
von Michael Kasiske
06.12.2013

Bereits auf dem Weg vom Flughafen in die Stadt zeigt sich Zürich als prosperierende Stadt. Überall sind Büro- und Wohnhäuser in Bau oder soeben fertig gestellt. Fällt der Blick in eine der neuen großzügig verglasten Wohnungen, scheint man einen Vorgeschmack auf die „Neue Räume 13“ zu bekommen. Die siebte Ausgabe der internationalen Designmesse findet erneut in den ABB-Event-Hallen im Zürcher Quartier Oerlikon statt, unmittelbar neben dem bekannten MFO-Park. Das mit wilden Wein berankte, riesige Stahlgerüst begrüßt die Besucher mit leuchtendem Herbstlaub.

In der Halle sind die Farben artifiziell und eindeutig, die Formen ebenso. Man denkt an „Konkrete Kunst“, die in der Schweiz bis heute aktuell ist. „das ziel der konkreten kunst ist es, gegenstände für den geistigen gebrauch zu entwickeln,“ so Max Bill 1949, „ähnlich wie der mensch sich gegenstände schafft für den materiellen gebrauch.“ Die Feststellung des berühmten Zürcher Architekten und Künstlers könnte als Motto der „Neue Räume 13“ gelten, nicht nur weil von den über hundert Ausstellern etwa die Hälfte in der Schweiz ansässig sind, sondern auch weil Bills zum ersten Mal in schweizerischem Rot gezeigter „Ulmer Hocker“ von Wb form eine signifikante Ausstrahlung entfaltet.

Im Zentrum der Halle stellen sich 15 Hersteller unter dem Label „swiss made“ vor. Anhand ihrer Produkte gelingt es ihnen beeindruckend beiläufig Innovation und Qualität zu repräsentieren. Dafür sind die Eidgenossen weit über die Grenzen ihres Landes hinaus bekannt. Und manche Produkte haben bereits den Status eines Klassikers wie das minimalistische „Bett 1“ von Lehni, das klar strukturierte „Kienzle“ Regal von Embru, das skulpturale Scherenbett von Thut oder das formschöne, mit dem „Schweizer Designpreis 2013“ ausgezeichnetes „Etage“ Regal von Röthlisberger. Als Neuheit zeigt IGN Design eine Weiterentwicklung seiner Reihe „Case“, Staukästen, die an Überseekoffer vergangener Zeiten erinnern.

Zur Schweizer Sachlichkeit gibt es ausreichend Alternativen, beispielsweise waren aus Italien die renommierten Marken Alias, Foscarini, Artemide und Moroso vertreten, die eine verspielte Eleganz ausstrahlen und dennoch das Niveau ausgezeichneter Qualität halten können. Das gilt ebenso für die deutschen Hersteller Thonet, Interlübke und Classicon, wie auch die aus Skandinavien vertretenen Produzenten Fritz Hansen, Jørgensen und Louis Poulsen.

Dass Neuheiten freilich nicht im Vordergrund stehen, hat neben dem Hang der Schweizer zu Beständigem einen weiteren Grund, den der Architekt Stefan Zwicky, Initiator und Kurator in einer Person, erläutert: Die Messe richtet sich nur zu einem kleineren Teil an Besucher aus den Fachbranchen Möbelhandel, Architektur und Design. Das Zielpublikum sind die Endverbraucher, also jene, die es sich in den neu errichteten Wohnbauten heimisch machen wollen.

Um die erste Begierde nach einem neuen Gegenstand zu befriedigen, ist im Eingangsbereich ein Stand mit ausgewählten Accessoires aufgebaut. Von Lampenfassungen über Fächerordner und Handtücher bis hin zu reichte das Sortiment. Im Anschluss daran befindet sich das Forum, in dem jeden Abend Diskussionen zu Designthemen anberaumt sind. Schon am Eröffnungsabend geben sich die Architekten und Designer Zürichs hier ein Stelldichein.

Durch die Präsentation auf – verglichen mit den großen Fachmessen – kleinen und überschaubar gestalteten Ständen gleicht die Halle einem Markt der Innenraumgestaltung. Der vorgegebene Standard für die Gestaltung sieht einen dreiseitig nicht vollkommen geschlossenen Raum vor und bieteteher Anregungen zum Einzurichten als ein Konzept des Wohnens von Morgen vorzuführen. Dazu passt das Angebot der Vereinigung Schweizer Innenarchitekten VSI.ASAI, fünfzig Beratungsstunden kostenfrei den Besuchern anzubieten, die bei Bauprojekten oder Einrichtungswünschen unverbindlich professionelle Hilfe in Anspruch nehmen möchten.

Nicht weit vom Eingang liegen die Kojen der „Young Labels“. Mit einnehmender Selbstverständlichkeit verkörpern die Nachwuchsdesigner den Typ des Entrepreneur, jene Unternehmer, die ihre Ideen in Eigenregie und meist auch auf eigene Rechnung produzieren und vertreiben. Zum Beispiel „Minimöbl“ von den Designern Eva Schäfer und Thomas Braithwaite: Ihre für das Kinderzimmer konzipierte Möbelserie besitzt eine Wandelbarkeit vom Kinderbett bis zum Esstisch. Oder das in München ansässige Label Raumfieber der beiden Designer Gregor Faubel und Dietmar Sauer, die mit einfachen, zum Teil historisch inspirierten Formen ein breites Möbel- und Lichtspektrum abdecken.

Wie schon in der Vergangenheit sind einige Geschäfte in der Zürcher Innenstadt „Botschafter“ für die Messe in Oerlikon. Mit einer amüsanten Schaufensterdekoration wartet das „Tabak Lädeli“ in der Storchengasse auf: Um den mit braunen Leder bezogenen Sessel „Schwan“ von Arne Jacobsen gruppieren sich kleine Modelle anderer Möbelstücke von Fritz Hansen, in denen Zigarren und Pfeifen geradezu lasziv Platz genommen haben. Für jeden Nicht-Zürcher ist das Einrichtungshaus „Neumarkt 17“ ein Muss. Ausgehend von einem Altstadthaus hat der Architekt Fritz Schwarz über einen Zeitraum von 20 Jahren ein Labyrinth geschaffen, das sich durch die verwinkelte Struktur des Bestandes und durch neu hinzugefügte, über einem Wasserbecken schwebende Gitterrostebenen windet. Hier kann man die Freude am Entdecken sich stets verändernder räumlicher Situationen wiedergewinnen.

Die absoluten Neuheitsfetischisten werden auf den „Neue Räume 13“ nicht auf ihre Kosten kommen. Doch auch die am Bewährten Orientierten müssen offen für neue Qualitäten sein. Die Messe deckt zum einen die Anforderungen an eine nationale Leistungsschau ab, flankiert von „Freunden“ aus den Nachbarländern; zum anderen bieten die „Neuen Räume“ den Zürchern eine mit architektonischen Blick getroffene Auswahl alltagstauglicher Gegenstände für das individuelle Wohnumfeld. Damit kann Zürich seinem Ruf als eine der teuersten Städte der Welt auch auf der gestalterischen Ebene adäquat genügen.

www.neueraeume.ch