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Menschen sollen sich in meinen Gebäuden wohlfühlen
20.11.2010
John Pawson, London; Foto: Orla Connolly

John Pawson wird gerne als „Vater des Minimalismus" in der britischen Architektur beschrieben. Seit er 1986 mit der Gestaltung des Londoner Apartments seiner damaligen Freundin, der Kunsthändlerin Hester van Royen, gleichsam vollendet die Szene betrat, hat Pawson sich diesen Titel redlich verdient mit seinen rigoros aufgeräumten, von Licht durchfluteten Räumen, in denen Alltagsgeräte wie Lichtschalter, Türgriffe und Bücher hinter strahlend weißen Verschalungen verschwinden. Sein Stil ist geprägt von linearer Strenge, von einer Konzentration auf die konsequente Verbannung von nichtessentiellen Gegenständen und jedem Dekor.

Die derzeit laufende Retrospektive im Londoner Design Museum, die dem Werk des Einundsechzigjährigen gewidmet ist, wirkt allerdings alles andere als minimalistisch. Im obersten Stockwerk des Hauses am Südufer der Themse ringen Modelle, Grundrisszeichnungen, Fotos und Videos um die Aufmerksamkeit des Besuchers. Auf einem dreizehn Meter langen Tisch aus Douglasienholz vom dänischen Unternehmen Dinesen sind Bücher und Dokumente aufgereiht - hier eine Ausgabe seines 1996 erschienenen ästhetischen Manifestes, dem Bestseller „Minimum", dort ein Brief Karl Lagerfelds, in dem er Pawson erklärt, er könne aus persönlichen Gründen runde Räume nicht ertragen. Diese Kleinteiligkeit überrascht zunächst. Es wird jedoch schnell deutlich, dass in diesem Fall der Wunsch Arbeitsprozesse nachvollziehbar zu machen, den Sieg über das Ideal edler Leere davongetragen hat. Besonderes Augenmerk ist den Prozessen gewidmet, die zum Bau des Zisterzienserklosters im tschechischen Nový Dvůr führten. Die dortige Ordensgemeinschaft war auf der Suche nach einem geeigneten Architekten für ihr neues Kloster auf Bilder von Pawsons Calvin-Klein-Flagship-Store in New York gestoßen und hatte offenbar in der Enthaltsamkeit jener Formen, gleichsam in ihrer architektonischen Transzendenz, viel vom Geist des Heiligen Benedikt entdeckt.

Dass eine bisweilen ans sakrale grenzende Stimmung auch Pawsons säkularer Architektur eingeschrieben ist, macht ein Raum deutlich, den John Pawson eigens für die Ausstellung entworfen und ins Zentrum der Schau gesetzt hat: Unter einem Tonnengewölbe erheben sich beiderseits des Eingangs hohe weiße Wände; die Dielen bestehen aus Douglasienholz von Dinesen, die schon seit Jahren mit John Pawson zusammenarbeiten, ebenso wie die beiden langen, aus einem Stück geschnittenen Bänke, die den Raum flankieren. Es ist ein Raum ohne weiteren Zweck als den, reinen Raum begreiflich zu machen.

Alexander Menden: Herr Pawson, warum halten Sie gerade jetzt den Zeitpunkt für eine solch umfassende Retrospektive ihrer Arbeit für gekommen?

John Pawson: Ehrlich gesagt hätte ich auf das Angebot einer Werkschau vor zehn Jahren viel enthusiastischer reagiert. Ich hätte es als Chance begriffen, zu zeigen was ich tue, vor allem aber, was ich noch vorhabe. Als mein Freund Deyan Sudjic mich Ende vergangenen Jahres fragte, ob ich diese Schau einrichten wolle, waren meine Gefühle zwiespältiger. Architekturausstellungen sind sehr schwierig, denn erstens zeigt man ja nicht die eigentliche Arbeit, sondern Modelle, Pläne und so weiter. Ich hatte schon scherzhaft vorgeschlagen, die Besucher für den Eintrittspreis einfach mit einem Billigflieger zu dem Kloster in Tschechien zu fliegen, das wäre aufschlussreicher für sie. Zweitens sollten auch Menschen, die meinen Stil nicht mögen, etwas Interessantes erfahren können - wie der Designprozess vonstatten geht, und dass ich nicht allein arbeite, sondern jedes Projekt eine Teamarbeit von Hunderten von Menschen ist.

Sie unterscheiden zwischen schlichtem „Bauen" und „Architektur". Können Sie diese Unterscheidung erläutern?

Pawson: Ich meine damit, dass man es wahrer Architektur anmerkt, dass jemand sich vorher lange Zeit mit dem Konzept befasst hat, und dass man das spürt, wenn man einen Raum betritt - in Architektur fühlt man sich wohl. Genauso will ich bauen: Menschen sollen sich in meinen Gebäuden wohlfühlen. Ich muss mit dem Begriff „Architekt" übrigens vorsichtig sein, denn ich bin in England offiziell gar nicht als qualifizierter Architekt anerkannt. Diese Berufsbezeichnung ist geschützt und ich habe mich nie als Architekt registriert. Das ist letztlich eine Frage der Semantik.

Zusätzlich zu dem von Ihnen erwähnten Wohlfühlfaktor geht es Ihnen darum, Räume zu schaffen, in denen „bestimmte Handlungen natürlich erscheinen". Bedeutet das, dass sie Räume immer auf eine Reihe von Handlungen hin gestalten, die in ihnen ausgeführt werden sollen?

Pawson: Ganz genau. Wenn ich mit meinen Kollegen im Büro über ein Projekt spreche, erinnere ich sie immer wieder daran, dass sie sich in bestimmte Situationen versetzen müssen: Wie würde es sich anfühlen sich in diesem Raum die Zähne zu putzen, diese Tür zu öffnen, und so weiter. Manche Leute denken, dass ich etwas entwerfe, und dann Menschen zwinge sich diesem Design anzupassen. Ich baue aber im Gegenteil ganz auf den Menschen hin, der ein Gebäude bewohnen und benutzen wird.

Aber benötigt man nicht Disziplin, um die Reinheit dieser Räume und ihrer freien Flächen aufrecht zu erhalten und genießen zu können? Unordnung, herumliegende Bücher und Kleider würden den Räumen doch viel von ihrer Wirkung rauben?

Pawson: Ich glaube, man braucht Disziplin, um solche Räume in Auftrag zu geben und das Bauprojekt bis zum Schluss durchzuführen. Es ist sicher auch nicht einfach die Räume zu möblieren oder zu schmücken. Aber in ihnen zu wohnen finde ich ziemlich einfach. Ich selbst bin fürchterlich undiszipliniert, deshalb liebe ich ja geordnete Räume so sehr. Natürlich fühle ich mich am wohlsten, wenn ich zum Beispiel mein eigenes Haus genau in den aufgeräumten Zustand versetzen kann, in dem ich es mir ursprünglich vorgestellt habe. Wenn ich das zwischendurch erreiche, genieße ich es, auch wenn der Augenblick ein paar Minuten später wieder vorbei ist. Das ist völlig in Ordnung. Die Fotos illustrieren einen momentanen, aber letztlich fiktionalen Idealzustand.

Das Erreichen von Idealzuständen scheint ein stetes Thema in Ihrem Leben zu sein. Stimmt es, dass Sie buddhistischer Mönch werden wollten?

Pawson: Anfang der Siebzigerjahre lief es nicht gut für mich. Mein Vater hatte mir gerade nahegelegt nicht weiter für seine Kleiderfirma zu arbeiten. In derselben Woche trennte sich die Frau, die ich heiraten wollte, von mir. Ich hatte gerade im Fernsehen eine Sendung über ein buddhistisches Kloster in Japan gesehen und dachte völlig naiv: Ich fahre dorthin und in einem Jahr werde ich einen Zustand völliger Klarheit erreicht haben. Ein japanischer Freund, dessen Vater ein Mönch war, fuhr mich zu einem Kloster im Norden Japans und sagte: „Ich warte hier im Dorf auf dich, und wenn du es dir morgen früh anders überlegt hast, fahre ich dich wieder zurück." Natürlich hatte ich schon nach einer Nacht, die ich mit Fußbodenschrubben und einer Schüssel Reis verbringen musste, genug.

In gewisser Weise sind Sie dem monastischen Leben dennoch verbunden geblieben. Immerhin haben Sie das Zisterzienserkloster in Nový Dvůr entworfen und auch eine Zeit bei den Mönchen dort gewohnt.

Pawson: Ich hatte schon vorher eine recht genaue Vorstellung davon, wie die Kirche aussehen sollte - indirektes Licht, keine Fenster, kein Kreuz in der Apsis, sondern eine Leerstelle, über die man meditieren konnte. Die übrigen Entwürfe haben dann in drei Jahren unglaublich intensiver Gespräche Gestalt angenommen. Die Mönche wollten, dass ich etwas über die praktische Seite ihres Lebens lerne, zum Beispiel über die Tatsache, dass sie das Kloster nie verlassen. Als sie mich zum ersten Mal kontaktierten und sagten, „Wir haben deinen Calvin-Klein-Flagship-Store in New York gesehen. Kannst du ein Kloster für uns entwerfen?", dachte ich, sie wären tatsächlich in New York gewesen. Das war natürlich völlig unmöglich, sie hatten den Laden in einem Buch gesehen.

Der Sakralraum in Nový Dvůr ähnelt sicher nicht zufällig der strengen Romanik des mittelalterlichen Klosters Le Thoronet in der Provence.

Pawson: Wenn ich ein einziges Lieblingsgebäude benennen müsste, wäre es wohl Le Thoronet. Die dortigen Proportionen, das Licht haben mich sehr geprägt. Genau diese Aspekte waren es auch, von denen die Mönche sich bei dem Calvin-Klein-Shop angesprochen fühlten. Es ist absolut kein Widerspruch, wenn man einen Architekten, der einen Laden „designt" hat, einlädt ein Kloster zu bauen. Entscheidend ist, dass der betreffende Architekt weiß, was dem jeweiligen Gebäude angemessen ist.

Großen Einfluss hatte auch der japanische Architekt und Designer Shiro Kuramata auf Sie. Was haben Sie von ihm gelernt?

Pawson: Ich habe lange gezögert Architektur zu studieren. Stattdessen hing ich viel in seinem Tokioter Büro herum. Er brachte mich dazu mich systematischer mit Architektur zu befassen. Bis dahin habe ich meine Beschäftigung mit dem Werk von Mies van der Rohe oder Palladio als Hobby gesehen. Als ich Kuramatas Arbeit zum ersten Mal sah, erkannte ich, dass es jemanden gab, der umsetzte, was für mich nur als Idee existierte. Wir wurden Freunde. Einmal besuchte er mich in London, ich hatte ein Problem mit ein paar Entwürfen. Er nahm sie und begann sofort sie zu bearbeiten. Vier Stunden später arbeitete er noch immer daran und ich nickte kurz ein. Er war unglaublich wütend, er rammte mir seinen Ellenbogen zwischen die Schulterblätter und sagte: „Gestalten ist eine ernsthafte Angelegenheit!". Diese Ethik habe ich zu übernehmen versucht.

Sie werden gerne als „Vater des Minimalismus" bezeichnet. Ein weiteres ihrer Vorbilder, Donald Judd, hat diesen Begriff immer zurückgewiesen. Akzeptieren Sie ihn?

Pawson: Ich besitze weder Judds Energie noch seine Eloquenz. Er konnte, was er tat, sehr gut beschreiben. „Minimalismus" mag ein irreführender Begriff sein, aber er ist nicht leicht durch einen besseren zu ersetzen. Ich habe 1996 ein ganzes Buch über das Konzept herausgebracht: „Minimum". Für ein Designbuch war es sehr erfolgreich, aber ich glaube, es ist komplett missverstanden worden. Die Leute haben vor allem schöne Bilder erwartet. Schubladendenken ist immer gefährlich, obwohl ich glaube, dass speziell Architekten gerne in eine „Bewegung" eingeordnet werden. Tony Fretton, Adam Caruso, Peter St. John, Jonathan Sergison, Stephen Bates und David Adjaye trafen sich zum Beispiel früher immer Sonntags und lasen sich gegenseitig aus ihren Aufsätzen vor - Peter Cook nannte sie „Die Flüsterer". Sie teilten eine bestimmte Philosophie und unterstützten einander. So eine Gruppe hatte ich nie.

Sie stellen jetzt im alten Design Museum London aus, dessen neues Heim Sie im Gebäude des Commonwealth Institute gestalten werden. Welche Art von Architektur ist einem Museum angemessen?

Pawson: In diesem Fall muss ich mit einem bereits existierenden Gebäude in Kensington arbeiten. Das ist eine Kiste, fünfzig mal fünfzig Meter, mit einem berühmten Spitzdach. Gemeinsam mit Deyan Sudjic habe ich die Aufgabe Design aufregend zu präsentieren. Das ist eine ähnliche Herausforderung wie bei Architektur - immerhin zeigt man keine Picassos, sondern häufig Alltagsgegenstände. Die Dauerausstellung wird im obersten Stockwerk untergebracht sein, mit einem großartigen Blick über Kensington. Zusätzlich wird es drei unterschiedlich große Galerieräume für Wechselausstellungen geben. Hoffentlich ein weiterer Ort, an dem man sich wohlfühlen kann.

John Pawson Plain Space
Vom 22. September 2010 bis zum 30. Januar 2011
Design Museum London

www.plainspace.co.uk
http://designmuseum.org

John Pawson, London; Foto: Orla Connolly
Zisterzienserkloster von John Pawson im tschechischen Nový Dvůr; Foto: Hisao Suzuki
Zisterzienserkloster in Nový Dvůr; Foto: Eva Haunerová
Ausstellungsansicht "John Pawson Plain Space"; Foto: Gilbert McCarragher
Ausstellungsansicht "John Pawson Plain Space"; Foto: Gilbert McCarragher
Ausstellungsansicht "John Pawson - Plain Space"; Foto: Gilbert McCarragher
Ausstellungsansicht "John Pawson Plain Space"; Foto: Luke Hayes
Abbaye du Thoronet in der Provence; Foto: Allie Caulfield
Abbaye du Thoronet in der Provence