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Mit dem Rücken zur Aussicht
von Wefing Heinrich | 26.07.2009

Eigentlich lassen sich die Bauten des Schweizer Architekten Peter Zumthor nicht fotografieren. Sie haben etwas ganz Eigenes, das von einer Kamera kaum eingefangen werden kann, etwas, das sich im Grunde nicht einmal mit den Augen allein sehen lässt. Man muss die Präsenz dieser Häuser spüren, hören, riechen, fühlen, man muss sie, kurz gesagt - erleben.

Wer nicht den Duft des frisch geschlagenen Holzes geatmet hat, aus dem der Schweizer Pavillon auf der Expo 2000 in Hannover zusammengefügt war, der hat diesen temporären Ausstellungsbau nicht wirklich erfahren. Wer nicht gehört hat, wie das Wasser in Zumthors Thermalbad Vals in Graubünden rauscht und sprudelt und plätschert und manchmal leise tropft, der kann das Großartige dieser künstlichen Grotte nicht einmal erahnen. Und wer nicht in der Bruder-Klaus-Kapelle in Wachendorf in der Eifel gestanden und die intensive Dichte dieses ruppigen Raumes und seiner Materialien gespürt hat, der wird von Zumthors Architektur nichts verstehen.

Der Schweizer Fotograf Hans Danuser hat auf diese Schwierigkeit, Bilder von Zumthors Bauten zu machen, mit einer Bild-Strategie reagiert, die ebenso riskant wie konsequent ist. In einer kleinen, aber eindrucksvollen Serie verzichtet er völlig darauf, die Häuser zu dokumentieren. Er müht sich nicht um ihr Abbild, auch nicht darum, ihre eigenwillige Schönheit einzufangen, jedenfalls in einer Bilderbuch-haften Weise. So scheint auf keinem der Bilder die Sonne, es gibt keinen ewig blauen Himmel, auch keine malerischen Landschaften, in denen die Häuser stehen wie angerichtet. Besonders auffällig ist das bei den Fotos der Therme in Vals und der Kapelle „Sogn Benedetg" in Graubünden: die spektakulären Bergpanoramen, die sie umgeben, sind auf den Bildern geradezu programmatisch abwesend. Danuser hat, wie der Züricher Kunsthistoriker Philipp Ursprung schreibt, buchstäblich „mit dem Rücken zur Aussicht" fotografiert.

Danusers Schwarz-Weiss-Aufnahmen, die schon 1987 und 1988 auf nachdrücklichen Wunsch des Architekten selbst entstanden, sind vielmehr analytisch. Analytisch zunächst insofern, als sie Zumthors Bauten in Ausschnitte und Details zerlegen, um ihre Konstruktion, ihre Materialität, auch das Handwerkliche ihrer Fertigung zu ergründen. Analytisch aber vor allem in dem Sinne, dass sie nicht nur Oberflächen zeigen, sondern bei sehr genauem Betrachten etwas von Zumthors Denken, von seinen architektonischen Strategien offenlegen, das wiederkehrende Prinzip der Schichtung beispielsweise, die Reflexion über den Zusammenhang von Bauen und Zeit, und - das ganz besonders - die Bedeutung des Lichts im Werk des Architekten.

Schlagend deutlich wird das zum Beispiel, wenn Danuser Zumthors Therme in Vals ausgerechnet in einem Moment fotografiert, da alle Becken leer sind und die ständige Feuchtigkeit nur noch in Schlieren und winzigen Pfützen präsent ist. Das enthebt den Bau auf raffinierte Weise seiner Funktion, verfremdet ihn, und zugleich, und darauf kam es Danuser an, vermeidet es alle Spiegelungen auf dem Wasser. Hervor tritt der reine Raum mit seinen Steinlagen und den präzise vom Architekten kalkulierten Lichteffekten. Das ist alles andere als distanziert: Danusers Bilder sind weihe- und würdevoll, die Serie der Fotos des Thermalbades feiern ziemlich unverhohlen das Zauberische, Insichgekehrte, Bezwingende dieser feuchten Höhle.

Noch einen bemerkenswerten Schritt weiter geht der Fotograf, wenn er sich den Schutzbauten in Chur nähert, die Zumthor dort über römischen Ausgrabungen errichtet hat. Auf Danusers Bildern ist von dieser bergenden Hülle nichts zu sehen. Gezeigt werden nur die archäologischen Funde selbst, die Architektur hingegen wird ausgeblendet, oder genauer: sie ist nur indirekt anwesend in dem subtilen Licht- und Schatten-Spiel, das sie über das Ausgrabungsfeld legt. Danuser suche das Unsichtbare sichtbar zu machen, schreibt Philipp Ursprung, der sich seit langem intensiv mit Zumthors Werk befasst, in einem klugen, bisweilen sehr subjektiven Essay über die Fotos und ihre Wirkungsgeschichte.

Zwanzig Jahre alt sind die Bilder mittlerweile, aber sie haben nichts von ihrer Kraft verloren. Zuerst in mehreren Ausstellungen gezeigt und anschließend in den Zeitschriften „Du", „Ottagone" und „Domus" publiziert, sind sie jetzt in einem wunderbaren Band der neuen „edition hochparterre" bei Scheidegger und Spiess wieder veröffentlicht worden, ergänzt um ein Gespräch mit dem Fotografen und den Essay von Ursprung. Der Kunsthistoriker schreibt darin sichtlich beeindruckt, Danusers Bilder von Zumthors Bauten hätten die Konventionen der Architekturfotografie radikal verändert. Ob das tatsächlich stimmt, kann im Grunde dahinstehen. Denn sicher ist, dass sie Zumthors Architektur auf einzigartige Weise anschaulich machen, vielleicht auf die einzige Weise, die den Bauten angemessen ist.

„Zumthor sehen. Bilder von Hans Danuser"
Herausgegeben von Köbi Gantenbein
Edition Hochparterre bei Scheidegger & Spiess
Gebunden mit Schutzumschlag
88 Seiten, 35 Euro

www.scheidegger-spiess.ch