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Randbezirk mit Innenstadtatmosphäre
IM GESPRÄCH:

Stephen Bates


01.12.2014
„Backstein birgt ein großartiges Potenzial“, sagt Stephen Bates vom Londoner Architekturbüro Sergison Bates. Foto © Sergison Bates

Die Gebäude der beiden Londoner Architekten Jonathan Sergison und Stephen Bates versprühen den gleichen bodenständigen Charme wie das alte Townhouse im Clerkenwell Viertel, in dem sich ihr Büro befindet. Neben seiner Tätigkeit als Architekt lehrt Bates an der TU München, wo er gemeinsam mit Bruno Krucker den Lehrstuhl für Städtebau und Wohnungswesen innehat. Sergison Bates haben zahlreiche Auszeichnungen erhalten, etwa den „Worldwide Brick Award 2013“ für einen Kindergarten in Huise-Zingem, einem kleinen Ort in Belgien. Sophia Walk hat mit dem britischen Architekten über Fragen der Verdichtung in der Stadtplanung gesprochen und darüber wie wichtig es ist sich seine Hände mit Backsteinen schmutzig zu machen.


Sophia Walk: Bricks werden traditionell in England für alle möglichen Gebäude eingesetzt. Sind Backsteine auch deshalb ein markantes Merkmal vieler Ihrer Projekte?

Stephen Bates: London ist auf Lehmboden gebaut. Wir sind mit der Einsicht groß geworden, dass der Backstein eigentlich die Substanz der Stadt bildet, aus der wir kommen. Diese Verbindung zu den sehr einfachen Dingen gefällt uns. Nicht nur, weil der Backstein aus Lehm besteht und die Größe einer Hand hat, sondern auch, weil er bautechnisch so ungeheuer vielseitig einsetzbar ist. Seltsamerweise finden ihn viele Leute langweilig. Als junge Architekten fühlten wir uns von den Kunstbewegungen der 1960er Jahre inspiriert – etwa von den Arbeiten von Gordon Matta-Clark und Dan Graham. Beide haben sich der scheinbar langweiligsten Dinge angenommen und sie verwandelt. Für uns birgt Backstein ein großartiges Potenzial. Die hässlichsten Gebäude der Welt sind zum Teil aus Backsteinen gebaut worden, es gibt aber auch wirklich herausragende Projekte aus Backstein.

Hoch entwickelte belgische Backsteinkultur: Pflegeheim mit 88 Einheiten von Sergison Bates in Huise-Zingem, 2011 fertiggestellt. Foto © Sergison Bates

Backsteine eignen sich also für jede Form von Architektur?

Stephen Bates: Nein, Backstein funktioniert nicht überall. Belgien hat zum Beispiel eine sehr hoch entwickelte Ziegelsteinkultur. In der Schweiz oder in Österreich findet man das Material eher exotisch und teuer, wenn es freiliegend verwendet wird. Die meisten Gebäude in Österreich bestehen natürlich aus Ziegeln, sind aber verputzt. Ich war kürzlich in New York und fand es wirklich faszinierend, dass der Großteil der Stadt tatsächlich aus Backstein gebaut wurde. Sogar Gebäude mit 30 Geschossen! Wir finden Ziegelsteine sehr interessant, aber wir sind uns auch bewusst, dass es in gewisser Weise ein provokatives Material ist. Außerdem erfordert viel Kreativität, um das Material zum Sprechen zu bringen. Wenn man einen Backstein in der Hand hält, fühlt sich das an wie ein Stück Lehm. Es ist ein fantastisches Material, aber man muss wissen, wie man damit umgeht. Man kriegt staubige Finger davon, aber schließlich geht es beim Bau von Gebäuden in erster Linie um das Material, oder?

Provokatives Material: Sanierung und Erweiterung der im 19. Jahrhundert gebauten Bibliothek im belgischen Blankenberge. Foto © Sergison Bates

Vor ein paar Tagen haben Sie in einer Vorlesung in München über das „Dilemma der Verdichtung“ gesprochen. Weshlab stellt Verdichtung ein Dilemma dar, wenn Architekten doch lernen, verdichtet zu bauen?

Stephen Bates: Ich glaube, es geht um das widersprüchliche Gefühl, ein Architekt zu sein und die Verantwortung anzuerkennen, dass wir mit Verdichtung arbeiten müssen. Wenn wir die Verdichtung nicht vorantreiben, wird die Welt nicht nachhaltig sein. Das heißt, wir müssen uns dieser Aufgabe stellen. Wir alle finden es romantisch, durch die schmalen Gassen europäischer Städte zu laufen, das ist einfach wunderbar. In einem Hotel in Wien, in dem ich einmal untergekommen bin, war ich von Fenstern umgeben und hatte so das Gefühl, mich in einer Stadt zu bewegen. Außerdem geht mit Verdichtung auch eine dezidiert grüne und ökologische Agenda einher. Gemeinhin werden mit Verdichtung geringes Einkommen, niedrige Kosten, Hässlichkeit, Unbehaglichkeit und jede Menge Probleme verbunden. In der öffentlichen Wahrnehmung wird Verdichtung zumeist negativ gesehen. Bis auf jene Leute, die es gerne mögen, Wand an Wand mit anderen zu leben. Hochhäuser werden mit großen Balkons, Gärten und Autos assoziiert. Wenn man sich die öffentliche Wahrnehmung zu Herzen nimmt – und das muss man als Architekt –, dann erkennt man, dass es ein negativer Trend ist. Das ist das Dilemma. Wenn ich Sie zum Beispiel fragen würde, ob Sie in einer verdichtet gebauten Wohnsiedlung leben möchten, wie würden Sie antworten? Möchten Sie das? Oder wäre Ihnen ein Apartment lieber, bei dem es zwischen Ihnen und Ihrem Nachbar viel Platz gibt? Das Dilemma ist daher: Wie können wir auf großzügige und komfortable Weise verdichtet bauen?

Solide und substanziell: Siedlung mit 44 Apartments am Rand des Finsbury Parks im Norden Londons. Foto © Sergison Bates

Wie gehen Sie mit diesem Dilemma um?

Stephen Bates: Zunächst versuche ich zu vermitteln, dass es bei Verdichtung vor allem um Wahrnehmung geht. Für gewöhnlich wird das Maß der Verdichtung in Zahlen ausgedrückt. Tatsache aber ist, dass sich diese Zahlen von einem Land zum anderen unterscheiden. Also zeige ich durch eine Reihe von Projekten, dass eine Bebauung, die nach englischen Maßstäben als gedrängt empfunden wird, an einem anderen Ort völlig anders gesehen wird. Daher plädiere ich für eine dichte Bebauung, aber mit großzügig bemessenen Räumen. Genau so ist man im 19. Jahrhundert an vielen Orten vorgegangen. In Paris oder Berlin sind die aus dem 19. Jahrhundert stammenden Stadtteile ausgesprochen dicht gebaut, die Innenräume der Wohnungen jedoch sind wesentlich großzügiger geschnitten als bei modernen Bauten. Ein anderer Aspekt ist die räumliche Nähe. In fast jeder Stadt – das gilt zumindest für Europa – gibt es durch einen wachsenden Bedarf an Wohnraum einen verstärkten Druck, eine höhere Verdichtung zu erreichen.

Erholung in großzügigen Zwischenräumen: Wohnsiedlung im Wiener Nordbahnhofbezirk mit 100 Wohnungen, Café und Bibliothek sowie Gemeinschafträumen – eine Zusammenarbeit von Sergison Bates mit Werner Neuwirth und von Ballmoos Krucker Architekten. Foto © Sergison Bates

Wer ist dafür verantwortlich? Die Städte selbst?

Stephen Bates: Eine Stadt muss neuen Baugrund ausweisen. Für gewöhnlich befindet der sich an der Peripherie des alten Stadtkerns. Das hat in den vergangenen 20 Jahren dazu geführt, dass man vor allem infrastrukturell genutzte Flächen ins Auge gefasst hat, zum Beispiel ehemalige Bahnlinien. Mittlerweile haben die Städte erkannt, dass sie mit dem Verkauf von Grundstücken, die der Kommune gehören, viel Geld einnehmen können. In Wien zum Beispiel ist das ein Trend. Das heißt, die Planer entwickeln Bauprojekte für ehemals infrastrukturelles Gelände und stützen ihre Berechnungen dabei auf sehr hohe Verdichtungsquoten, um möglichst viele Leute unterzubringen und möglichst viel Profit zu machen. Die Folgen sind extrem große Gebäude, die von riesigen unbebauten Landflächen umgeben sind. Mit anderen Worten: Was stattfindet, ist eine „urban entleerte“ oder eine „vorstädtische“ Form der Entwicklung. Die Idee in einer dicht gebauten Stadt nah beieinander zu leben, geht bei diesen großen Bauprojekten verloren. Ob in Barcelona, Wien oder London, es ist überall das Gleiche: In einer vorstädtischen Landschaft werden große Wohnblocks hochgezogen. In meiner Vorlesung plädiere ich für eine Abkehr von dieser Vorgehensweise und stelle die Frage: Wie können wir am Stadtrand eine Innenstadtatmosphäre kreieren?

Dicht und trotzdem komfortabel: Wohnhaus mit Kinderkrippe in Genf, 2006 fertiggestellt. Foto © Sergison Bates

Wie lösen Sie das Problem in Ihren eigenen Projekten?

Stephen Bates: Wir haben vor kurzem im Nordbahnhofbezirk in Wien ein urbanes Wohnungsbauprojekt mit Gemeinschaftsflächen fertiggestellt. In diesem Viertel entstehen im Moment viele neue Projekte. Wir haben die Gebäude so dicht arrangiert wie möglich, damit wir dazwischen großzügige Erholungsräume schaffen konnten. Es geht für uns um die Frage: Ist es möglich, einen Teil der innerstädtischen Energie auf diese Randbezirke zu übertragen? Das muss uns gelingen, ansonsten entstehen diese banalen Vorstadtorte mit viel Raum, von dem keiner weiß, was er damit anfangen soll. Als Architekt, der sich für die Stadt interessiert, kann man nicht einfach „schade“ sagen und sich in sein Vororthäuschen mit Garten zurückziehen, wo die Welt okay ist. Der Architekturstudent muss das wissen und lernen, entsprechend zu handeln. Das ist das Verdichtungsdilemma.

www.sergisonbates.co.uk
www.lsw.ar.tum.de