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Vom Dach des Centro Cultural Sao Paulo nimmt man Stadt anders wahr. Die mobile Küche ist ein Bestandteil des österreichischen Biennale-Beitrags "Rurban City: Design your free local menu!".
Foto © Rurban City
São Paulo: Stadt nutzen, Stadt machen
von Isabel Martinez Abascal
29.11.2013

An einem sonnigen Morgen im CCSP, dem „Centro Cultural São Paulo“. Das Kulturzentrum dient als Ausgangspunkt für die Besucher der X. São Paulo Architektur Biennale. Man spaziert hier entlang der Rampen, die die Ausstellungsbereiche miteinander verbinden und unter dem gemeinsamen Motto: “Ways of acting” einen Überblick über die verschiedenen Ausstellungen der Biennale bieten. Irgendwann gelangt der Besucher auf das mit Gras bewachsene Dach des CCSP. Von hier aus hat er einen atemberaubenden Blick auf die brasilianische Metropole. Und dieser Blick auf die Stadt steht metaphorisch für den Themenschwerpunkt der Biennale: „City: Ways of making, ways of using”. Denn wer die Biennale besuchen möchte, muss das gesamte Stadtgebiet São Paulos „benutzen“; die zahlreichen Ausstellungsorte und Veranstaltungen sich eingewebt in den urbanen Raum, verbunden durch Straßen und Metrolinien.

Nur ein paar Metrostationen vom CCSP entfernt gelangt der Biennale-Besucher zum „Museo de Arte de São Paulo” (MASP), Lina Bo Bardis markantem, fast schwebenden Bau aus Glas und Beton. Hier werden auf transparentes Vinyl gedruckte Fotos des brasilianischen Architekten Vilanova Artigas zusammen mit Installationen des brasilianischen Künstlers Hélio Oitica gezeigt. Nicht weit vom MASP entfernt betritt der Besucher eine Wohnung, von der er direkt auf die bekannte Hochstraße –von den Einheimischen „Minhocão” oder auch „großer Wurm” genannt– blicken kann. In dieser Wohnung zeigt der Künstler Andrés Sandoval einen Katalog mit 140 Hauswänden, die diese Hochstraße säumen. Die nächste Metrofahrt bringt unseren Besucher zu einem Vortrag des amerikanischen Künstlers Chip Lord in der ehemaligen Fassfabrik „SESC Pompeia”. Hier findet am Abend eine Chat-Music-Show mit dem Architekten Paulo Mendes da Rocha und dem Musiker und Autor Zé Miguel Wisnik statt.

„Stadt”, aber wie?

Das Leitmotiv der Biennale ist die Qualität des öffentlichen Raumes in Brasilien. Dabei spielen auch die aktuellen politischen Diskussionen zum öffentlichen Nahverkehr und die Beteiligung der Bürger an Planungsprozessen eine Rolle. Deswegen fügt jeder Biennale-Standort dem Themenschwerpunkt einen weiteren Untertitel hinzu: „Ways of collaborating” in der SESC Pompeia bringt die Arbeit von Kollektiven aus der ganzen Welt zusammen. „Ways of flowing” im Praça Vitor Civita befasst sich mit dem Problem der Wasserversorgung in Städten. „Ways of being modern” zeigt historische Fotos vom Bau Brasílias zusammen mit aktuellen Langzeitbelichtungen von Michael Wesely im „Centro Universitário Maria Antônia”. Und das ist bei weitem nicht alles.

Die Biennale als Teiber für aktuelle Planungsprozesse

Denn die Biennale beschränkt sich nicht nur auf die Präsentation von beispielhaften Projekten, sondern möchte selber auch Initialzünder für zukünftige Stadtentwicklungen sein. Die hierfür ausgewählten Projekte kann der Besucher auf Stadtrundgängen erwandern – und bei einer Gesamtlänge von 50 Kilometern ungewöhnliche Orte in Brasiliens größter Stadt entdecken. Die Macher der zehnten São Paulo Architekturbiennale ersetzen das übliche Biennale-Panorama aus Architekturprojekten auch durch Installationen im Stadtraum und öffentliche Debatten. So wird beispielsweise auf dem Friedhof Araça die Installation „Penetrável Genet” gezeigt: Über einen Kopfhörer hört der Besucher ein Klangstück während er über den Friedhof wandert, bis er schließlich zum „Beinhaus“ gelangt, in dem die Überreste jener Menschen ruhen, die während der Diktatur verschwanden. Hier verbindet sich das Klangstück mit einer Video- und Lichtinstallation und es entsteht der Eindruck einer metaphorischen Denunziation. Einmal wöchentlich diskutieren im heimeligen Café-Theater „Casa de Francisca“ Musiker und Architekten über Stadt – bis zu später Stunde die Debatten in den Rhythmus einer Jamsession übergehen.

Triviale Orte und gerenderte Städte

Die Architekturbiennale versucht verschiedene Interessensgruppen einer Stadt mit einzubinden. Sie möchte dem Bürger zum diskutieren und gestalten ermutigen und zum teilhaben und verändern anregen. Beispielsweise durch Ausstellungen wie „Actions: What You can do with the City” vom „Canadian Centre for Architecture” (CCA) und „The Banality of Good: Six Decades of New Towns, Architects, Money and Politics”, kuratiert von den „Crimson Architectural Historians” aus den Niederlanden. „Rio Now” ist eine Gegenüberstellung der 1965 von Sergio Bernardes für das Jahr 2000 entworfenen visionären Projekte und der umfassenden Maßnahmen, die Rio de Janeiro für die Vorbereitung auf die Weltmeisterschaft 2014 und die Olympischen Spiele in 2016 vorgesehen hat. „Detroit: deadlock?” erzählt vom Niedergang der ikonischen Autostadt und den dortigen Bürgerinitiativen wie beispielsweise die kommunalen Gärten, die als Experimentierfeld und Überlebensstrategie für Detroiter Stadtbewohner dienen.
„China: the renderized world” bringt die nahezu verlassene Geisterstadt von Ordos Kangbashi in der Inneren Mongolei und das rasant wachsende Shenzhen zusammen, wo bald die ‘Shenzhen Bi-city Biennale of Urbanism/Architecture’ eröffnen wird. Die Gastgeberstadt ist zudem selbst Thema verschiedener Ausstellungen: „São Paulo: Open Project” ist eine Ausstellung, die die Stadtentwicklungspolitik der kommunalen Behörden in Bezug setzt zu „With which laws the verticalization is made in São Paulo?”, einer Präsentation, die die Neutralität von städtebaulichen Planungsvorschriften in Frage stellt.

Die Kunst einer Architekturbiennale

Das enorme Spektrum der ausgestellten Arbeiten im MASP bekräftigt die Ausweitung des Architekturdiskurses auf den Bereich der Kunst und umgekehrt. So findet man Wohnhäuser, die zu öffentlichen Räumen werden und Gebäude, die als Knotenpunkt in der Verkehrsinfrastruktur dienen. Einige Kunstinstallationen schaffen eine kollektive „Häuslichkeit“ mitten auf einem Platz, andere simulieren einen fast romantischen Spaziergang durch eine Favela. Man trifft beim Durchstreifen der Stadt auf Ready-Mades und auf Kunstwerke für die nicht etwa der urbane Raum sondern der Konsumkreislauf als Plattform dient. Man findet Glasmodelle für einheimische Insekten und Theaterkulissen aus dem Bauschutt von abgerissenen Wohnblocks. Die Trennung von Biennale-Programm und urbaner Realität verschwimmt – und schafft neue Perspektiven auf den gebauten Raum.

www.xbienaldearquitetura.org.br

Die “Basisstation” der 10. Architektur Biennale in Sao Paulo: Die Ausstellung “Ways of Acting” im Centro Cultural Sao Paulo bietet einen Überblick zu allen Ausstellungen und Veranstaltungen. Foto © Isabel Martínez Abascal
Centro Cultural Sao Paulo. Foto © Thomas Locke Hobbs
Installation von Héctor Zamora im Centro Cultural Sao Paulo. Foto @ Isabel Martínez Abascal
Brasilia im Baupozess. Michael Wesely’s Bilder im Centro Universitário Maria Antônia. Foto © Michael Wesely
Diskussion zwischen Musikern und Architekten in der Casa de Francisca. Foto © Pablo Saborido
Einer der versteckten Orte, zu denen die Biennale führt: Casa de Francisca. Foto © X Bienal de São Paulo
Eine Wohnsiedlung in Ordos. Valentina Tong’s Arbeiten in der Ausstellung “China: the renderized world”. Foto © Valentina Tong
Öffentlicher Platz in Ordos. Foto © Valentina Tong
Die Hochstrasse “Minhocão”. Foto @ Flickr / gaf.arq
Mostra de Cinema: Filmvorführung unter Lina Bo Bardi’s beeindruckendem Bau “Museo de Arte de São Paulo” (MASP). Foto © Claudio Pedroso Agência FOTO
Foto © Leandro Moraes
mmen von dem Künstlers Andrés Sandoval. Foto © Leandro Moraes 
Die Ausstellung “The asphalt and the sand” im MASP. Foto @ Isabel Martínez Abascal
Arbeiten von Lina Bo Bardi in der Ausstellung “The asphalt and the sand” im MASP. Foto @ Isabel Martínez Abascal