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Schrebergartenhütte à la Le Corbusier
von Bokern Anneke | 04.04.2009

„Am 30. Dezember 1951 zeichnete ich, an einer Tischecke in einem kleinen Café an der Côte d'Azur, als Geburtstagsgeschenk für meine Frau den Plan für eine kleine Hütte, die ich im folgenden Jahr auf einem von Wellen umspülten Felsen baute. Die Zeichnung kostete mich eine Dreiviertelstunde." Angesichts dieses Zitats von Le Corbusier dürfte es nicht nur vielen Frauen, die auch gerne mal eine wildromantische Hütte am Mittelmeer als Geburtstagsgeschenk bekommen würden, sondern auch den meisten Architekten ganz warm ums Herz werden. Eine Dreiviertelstunde für einen kompletten Entwurf? Aufs Papier geworfen in einem Café, vermutlich noch mit einem Glas Pastis in der Hand, während einem die südfranzösische Sonne auf den Bauch scheint? Von so einem Schaffensprozess kann man nur träumen. Was den Neid oder die Bewunderung der Architektenschaft noch fördern dürfte, ist, dass Corbus Hütte kein Luftschlösschen blieb, sondern, wie er selber sagt, im folgenden Jahr gebaut wurde. Sie stand im östlich von Monaco gelegenen Küstenstädtchen Cap Martin und war von außen betrachtet völlig unprätenziös: eine simple, sogar eher grobschlächtige Blockhütte ohne architektonische Ambitionen. Im Inneren verbarg sich jedoch ein Meisterwerk der Mikroarchitektur. Davon kann man sich zurzeit im Foyer des RIBA in London überzeugen, wo eine vom italienischen Möbelhersteller Cassina initiierte Rekonstruktion des „cabanon" zu besichtigen ist. Man betritt die Schrebergartenhütte à la Corbu durch einen schmalen Korridor, dessen linke Wand ein farbenfrohes Gemälde von des Meisters Hand ziert. Eine Tür führt in einen kleinen Raum mit gelb gestrichenem Holzdielenboden und farbigen Panelen an der Decke, in den sämtliche Möbel eingebaut sind. Im rundum hölzernen, kaum vierzehn Quadratmeter großen Raum fühlt man sich geborgen wie in einer Nussschale und ist ständig versucht, über die samtigen Oberflächen der Möbel zu streicheln. Manche Einrichtungsdetails übernahm Le Corbusier aus früheren Projekten, wie zum Beispiel die asymmetrischen Schiebegriffe an den Schranktüren und die Sitzkisten, die es auch in den „Unités d'Habitation" gab. Im Großen und Ganzen ist das Interieur jedoch komplett maßgeschneidert. Wer sich unter dem cabanon nun jedoch ein romantisches Liebesnest vorstellt, täuscht sich gewaltig. Den meisten Platz nahmen Schreibtisch und Bücherregale ein, während die Schlafgelegenheit wenig luxuriös ausfiel: eine nur achtzig Zentimeter breite Holzbank, an deren Kopfende sich auch noch die Toilette befand - vom Raum nur durch einen Stoffvorhang getrennt. Ob Corbus Frau Yvonne Jeanneret sich darüber gefreut hat? Derart asketische Elemente werden aber, wie so oft bei Le Corbusier, durch poetische Ideen und perfekte Proportionen aufgewogen. Letztere basierten auf dem Modulor, aber auch auf Corbus Studien zu den Klosterzellen von Zisterziensermönchen - und in der Tat erinnert der Raum ein wenig an alte Gemälde vom „Heiligen Hieronymus im Gehäuse". Was das cabanon von solchen introvertierten Studierzellen unterscheidet, sind jedoch seine zahlreichen Fenster. Zwei große Fenster gaben den Blick auf Felsenküste und Meer frei, und einige schmale, hohe Windluken und Oberlichter mit Schiebeläden sorgten für zusätzliche Ventilation. Selbst hinter dem auffaltbaren Toilettenspiegel neben dem kleinen Waschbecken versteckte sich noch ein Fenster. Virtuos ist auch der Umgang mit Stauraum, der sich wirklich in jeder Ecke des Hüttchens versteckt. Und wenn die Ausführung des Holzinterieurs nur halb so liebevoll war wie die der Cassina-Rekonstruktion, konnte Yvonne Jeanneret über das fehlende Himmelbett und die eigenwillige Platzierung der Toilette vielleicht hinwegsehen. Was man im cabanon übrigens vergeblich sucht, ist eine Küche. Kurz bevor Le Corbusier den Plan für seine Hütte machte, hatte ein Restaurantbesitzer den berühmten Künstlerarchitekten gebeten, die Fassade seines Restaurants Étoile de Mer in Cap Martin mit einem Gemälde zu verschönern. Als Dankeschön erlaubte er Corbu, auf einer Ecke seines Grundstücks seine Wochenendhütte zu errichten. Das Restaurant lag also um die Ecke, und für das leibliche Wohl der cabanon-Bewohner war gesorgt. Corbu hielt sich häufig in seiner Hütte auf, in der einige seiner berühmtesten Entwürfe entstanden, wie zum Beispiel die Ministeriumsbauten in Chandigarh. Auch seine letzte Nacht verbrachte er im cabanon. Am 27. August 1965 ging er im Mittelmeer nahe Cap Martin schwimmen, erlitt einen Herzanfall und ertrank.


Le Corbusier's Cabanon 1952/2006 - The Interior 1:1, Royal Institute of British Architects, 66 Portland Place, London, bis 28.4.2009
www.architecture.com

All photos © Andrea Ferrari