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Sinn und Sinnlichkeit im vernetzten Heim
von Franziska Eidner | 11.09.2013
Nicht das technisch machbare, sondern das menschlich sinnvolle bestimmen die neuen Smart-Home-Anwendungen. Foto © Openarch
Lange Zeit schienen die Anwendungen von technologisch hochgerüsteten Häusern mit Kühlschränken, die über das abgelaufene Mindesthaltbarkeitsdatum ihres Inhalts informieren, automatischer Lichtsteuerung und elektronischen Stimmungsmachern – sogenannten „Mood Managern“, die mittels Licht, Sound und Bildprojektionen Atmosphäre per Knopfdruck erzeugen sollen – bestenfalls ein Nischenprodukt für technikbegeisterte und finanziell potente Futuristen zu sein. Laut einer Studie des Berliner „Instituts für Innovation und Technik“ (iit), machen Smart Homes derzeit nicht einmal 1 Prozent aller Neubauten in Deutschland aus. Aber das Institut, zu dessen Gesellschaftern der „Verband der Elektrotechnik“ zählt, sieht Wachstumspotenziale in naher Zukunft: Der aktuelle Jahresumsatz für fertige Smart-Home-Systeme in Höhe von etwa 700 Millionen US-Dollar (2012) soll in nur fünf Jahren auf 2,7 Milliarden US-Dollar steigen.

Raus aus der Nische?

Dieser Optimismus begründet sich zum einen durch die rasante Etablierung von Smartphones und Tablets, einer verbesserten Internetanbindung – 82 Prozent aller Haushalte in Deutschland nutzen Breitband – und der Weiterentwicklung funkbasierter Lösungen, die Smart-Home-Anwendungen nicht nur für Neubauten interessant und erschwinglicher machen. Zum anderen lassen die Folgen von Bevölkerungs- und Klimawandel Gebäudeautomation und Heimvernetzung in neuem Licht erscheinen. Strom sparen und im Alter möglichst lange selbstbestimmt leben will eigentlich jeder. Nicht das technisch Machbare, sondern das menschlich Sinnvolle bestimmt daher vermehrt die Vermarktungsstrategien im Smart-Home-Bereich. Energiemanagement statt Home-Entertainment, Komfort als Garant für mehr Lebensqualität im Alter?

Schaut man sich auf dem Smart-Home-Markt um, dann sind es vor allem kleine, einfache Lösungen, die derzeit auf sich aufmerksam machen. Und während es in der Vergangenheit vor allem um Funktionalität ging, spielt zunehmend das Design eine wichtige Rolle. Dabei werden die Anwendungen immer flexibler, lernfähiger und stellen sich auf individuelles Nutzerverhalten ein.
Das „Domestic Operating System“ von „Openarch“-Agenturgründer Ion Cuervas-Mons vernetzt seit 2011 seine komplette Wohnung. Foto © Openarch
Intelligente Energiesparer

Beispielhaft sind neue, selbstlernende Systeme, mit denen sich der hauseigene Energieverbrauch regulieren lässt. In Deutschland kommt im Herbst „En:Key“ auf den Markt – ein Energiesparsystem, das durch integrierte Solarzellen ohne Stromanschluss oder Batterie auskommt und die Raumtemperatur auf das Nutzerverhalten abstimmt. Ein Sensor erkennt und „lernt“, wie ein Raum genutzt wird, erstellt daraus eine optimierte Heizkurve und gibt via Funktechnologie automatisch die ideale Temperatureinstellung an die Ventilregler weiter.

Noch komprimierter und schicker ist das intelligente Thermostat „Nest“, das seit Oktober 2011 in den Vereinigten Staaten erhältlich ist. Auch hier lernt ein Sensor über Wochen, welche Temperaturen der Nutzer wann bevorzugt. Über eine App lässt sich Nest auch via Smartphone aus der Ferne regulieren. Durch die simple aber einprägsame Visualisierung auf der Benutzeroberfläche, die an Apple-Produkte erinnert, lernt zudem auch der Nest-Nutzer intuitiv, mit welchen Einstellungen er wie viel Energie sparen kann.
„Nest“: hier lernt ein Sensor über Wochen, welche Temperaturen der Nutzer wann bevorzugt. Foto © Nest
Stromsparen für die „Digital Natives“

Der Energieverbrauch eines Haushalts hängt bis zu 50 Prozent von seinen Nutzern ab. Dabei ermöglichen simple Geräte in Verbindung mit mobilen Endgeräten und smarten Apps, sich nicht erst mit der jährlichen Heiz- und Stromkostenanrechnung mit dem eigenen Verbrauch kritisch auseinanderzusetzen, sondern in Echtzeit zu erfahren, was die Standby-Funktion des Fernsehers gerade kostet. Die spanische Designagentur „Think Big Factory“ hat mit „Splug“ eine Art intelligente Steckdose entwickelt. Mittels „Near Field Communication“ übermittelt sie dem Smartphone, was die angeschlossenen Geräte aktuell verbrauchen, schaltet bei Bedarf Geräte aus und verändert zudem je nach Verbrauchsmodus seine Farbe.
Intelligente Steckdose: „Splug“ überträgt den Stromverbrauich in Echtzeit aufs Handy – und lässt sich darüber regeln. Foto © Thing Big Factory
Labor für das digitale Haus

„Splug“ ist die erste marktreife Anwendung, die „Think Big Factory“ aus seinem Smart-Home-Experiment „Openarch“ generiert hat. In seiner eigenen Wohnung im nordspanischen Hondarribia ließ Agenturgründer Ion Cuervas-Mons ein eigens entwickeltes „Domestic Operating System“ installieren, das das 70 Quadratmeter große Apartment seit 2011 komplett vernetzt und zum Spielplatz für verschiedene interaktive Funktionen macht. Die Wände, Fußböden und Möbel von „Openarch“ dienen als Projektions- und Kommunikationsoberflächen, die via Gestensteuerung aktiviert werden können. Auch Haushaltsgeräte, Raumelemente oder die Beleuchtung lassen sich per Handbewegung oder aus der Ferne mittels Smartphone steuern. Den größten Mehrwert sehen die Entwickler von Openarch aber weniger im Komfort, sondern in der Interaktion und Erweiterung der persönlichen Nutzerfahrung. Smarte Technologien für ein sinnlicheres Wohnen und Konsumieren? Jüngstes Baby der Spanier ist der „Smart Tasting Prototype“ – bei dem man sich während des Essens zum Beispiel über dessen Zubereitungsprozess informieren kann.

Schönes neues Heim

Während „Smart Tasting“ eher als singuläres Experiment zu verstehen ist, zielen andere „sinnliche“ Smart-Home-Produkte auf den Massenmarkt ab. Seit letztem Herbst ist in Deutschland beispielsweise das smarte Lichtsystem „Hue“ von Philips auf dem Markt. Der Elektrokonzern gehört zu den Pionieren intelligenter Wohnkonzepte. Bereits 2003 eröffnete er in Eindhoven sein „HomeLab“, um Geräte-Prototypen und Anwendungen zu testen. Mit „Hue“ hat Philips nun das erste Lichtsystem entwickelt, das von einem Smartphone gesteuert wird. Im „Starterkit“ befinden sich drei LED-Lampen und eine „Smartbridge“ – eine Art Steuergerät, das ans heimische Internetnetzwerk angeschlossen wird. Dazu gibt es verschiedene Apps, mit denen sich jede Lampe individuell ansteuern lässt und man bis zu 16 Millionen verschiedene Farbtöne erzeugen kann. So sollen sich beispielsweise Licht- und Farbstimmungen von Fotos ins eigene Wohnzimmer übertragen lassen. Der Konzern wirbt damit, sich morgens mit einem eigenen, künstlichen Sonnenaufgang wecken zu lassen.

Intuitiver als ein iPhone

Mit Produkten wie Nest, Slug oder Hue scheinen allmählich Heiterkeit und Leichtigkeit ins Smart Home einzuziehen. Noch einen Schritt weiter will das Produkt „Serenity“ gehen. Die Steuerungssoftware ist zwar noch nicht marktreif, wurde aber bereits mit einem „Red Dot“ und mit dem „Braun Prize“ ausgezeichnet. Die Displays erscheinen weniger als technische Funktionsgeräte, sondern vielmehr als kunstvolle Wohnaccessoires. Serenity ist ein Produkt der amerikanischen Designagentur „Artefact“ und beschränkt sich nicht nur auf einzelne Anwendungen. Von Musik, über Licht bis Temperatur und Energieverbrauch – Serenity kann alles steuern. Dabei übersetzt es Messwerte zum Energieverbrauch und Steuerungsfunktionen visuell ansprechend und intuitiv bedienbar. Eine Pflanze etwa erblüht und verwelkt auf dem Display – je nachdem, ob gerade Energie gespart oder verschwendet wird. Die Menüführung basiert nicht auf Buttons oder Listen, sondern auf simplen Sätzen: „Das Licht im Schlafzimmer ist hell.“ Ausgehend von diesem Satz, kann der Benutzer verschiedenste Funktionen ansteuern: Über das Wort „hell“ kann er die Lichtstärke regeln, klickt er auf „Schlafzimmer“, kann er dieselben Einstellungen unkompliziert auf einen anderen Raum übertragen und über „Licht“ andere Geräte ansteuern.
Von Musik, über Licht bis Temperatur und Energieverbrauch – Serenity kann alles steuern. Foto © Artefact
Hacker in der Heizungsanlage

Das schöne neue vernetzte Heim mag dennoch nicht jedem behagen. Noch mehr Datenströme die durch unser Schlafzimmer fliegen und die möglicherweise auch von anderen missbraucht werden könnten? Im Rahmen der „Blackhat-Konferenz“ gelang es beispielsweise vor Kurzem verschiedenen Hackern in den Vereinigten Staaten, sich von extern in die Systeme der Häuser völlig Fremder einzuloggen und in deren Licht- oder Heizungssteuerung einzudringen. Das lag wohl vor allem an der Nachlässigkeit der Hausbesitzer bezüglich ihres Passwortschutzes. Aber dennoch stimmt das natürlich nachdenklich. Andererseits haben wir uns mittlerweile auch daran gewöhnt, sensible Bankgeschäfte über das Internet abzuwickeln und Transaktionsnummer über das Handy zu empfangen.
Für Smart-Home Verweigerer

Für elektrosensitive Menschen ist das zunehmend kabellose Smart Home ganz sicher eine Bedrohung. Zumindest können sie ihr Zuhause aber bald gegen die Strahlung benachbarter W-LAN-Netze schützen. Das französische „Zentrum für Papiertechnik“ (CTP) und das „Institute of Technology“ in Grenoble haben gemeinsam eine Tapete entwickelt, deren geometrische Muster aus leitender Tinte und Silberpartikeln bestehen und damit die Wände undurchlässig für bestimmte Funkstrahlungen machen. Der finnische Papierhersteller Ahlstrom will das Anti-WiFi-Metapapier noch in diesem Jahr auf den Markt bringen.