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Tradition schafft Zukunft
von Paula Pohle | 12.07.2016
Das Haus Palmyra in Nandgaon an der Küste des Arabischen Meeres wurde 2007 erbaut. Es ist eingebettet in einen Palmengarten mit Pool und großzügigen Innenhöfen am Hang. Das Bauwerk wirkt zurückhaltend und ist in die Landschaft eingebettet. Foto © Studio Mumbai

„Studio Mumbai“ – das ist eine Arbeitsgemeinschaft von Architekten und Handwerkern, die gemeinsam entwerfen, forschen und bauen, ein Betrieb aus rund 100 Mann, darunter Steinmetzte, Zimmerleute, Weber und Architekten, in dem Wissen und Erfahrungen indischen Handwerks und zeitgenössischer Architektur zusammenwirken. Traditionelle Holzbearbeitung findet hier ebenso statt wie Entwurfsarbeit am Laptop. Die Büros und Werkstätten von Studio Mumbai liegen im 30 Kilometer von Mumbai entfernt gelegenen Alibag. Hier, unweit einer der am dichtesten besiedelten Gebiete und städtischen Ballungsräume der Welt, scheint die ruhige Atmosphäre das konzentrierte Arbeiten zu begünstigen.

Das Deutsche Architekturmuseum (DAM) in Frankfurt am Main zeigt derzeit in der Ausstellung „Between the Sun and the Moon – Studio Mumbai“ Arbeiten des indischen Kollektivs. Im Erdgeschoss, wo die Schau eingerichtet wurde, lassen sich zwei Bereiche ausmachen: In einem umlaufenden Gang trifft der Besucher auf Videos und Bildschirmpräsentationen zu einzelnen Projekten sowie auf Fotografien und Begleittexte. Im Zentrum sind sodann zahlreiche Modelle aus verschiedenen Materialien anschaulich auf Tischen ausgelegt, während Farbpigmente, Bruchstücke von farbigen Kacheln und Materialproben gut sortiert in Regalen untergebracht wurden. So umkreist der Betrachter – durchaus andächtig und immer wieder staunend – all die großen und kleinen Objekte und vertieft sich auf diese Weise in das Archiv von Studio Mumbai. Er stößt auf handgefertigte Ziegel für Hohlblockmauern oder auf Negativformen aus Teer für Kupferdachteile. Aus alldem entsteht ein spannungsvolles Ensemble aus Formen und atmosphärischen Bildern. Jeder Ort, an dem die Bauten entstanden sind, wird mittels eines Umgebungsmodells vorgestellt. Jede noch so kleine Holzverbindung kommt im Detail zur Geltung. Was man auch betrachtet, man sieht ihm die Sorgfalt der Entwurfsüberlegungen und die besondere Wertschätzung an, mit der Materialien und Umwelt hier begegnet wird.

Das Archiv von Studio Mumbai: Das Sammelsurium von Modellen, Farbpigmenten, Bruchstücken von farbigen Kacheln und Materialproben ist in der Ausstellung gut sortiert in Lagerregalen zu sehen. Foto © Uwe Dettmar

Eine Zukunft, die Vergangenes integriert

Der Subkontinent Indien erfährt im rapiden Wachstum seiner Wirtschaft derzeit enorme Umstrukturierungen. Stadtplaner und Architekten müssen an vielen Orten schnell und kostengünstig bauen. In der Folge entsteht oft eine Architektur, die sich wenig um die klimatischen Bedingungen vor Ort und die gewachsenen kulturellen Traditionen des Landes schert und sich vornehmlich nach wirtschaftlichen Wachstumsprognosen und steigenden Bevölkerungszahlen richtet. Auch in Indien bestimmen Fassaden aus Glas und Aluminium sowie die universelle Formensprache international operierender Großkonzerne einen Großteil der baulichen Aktivitäten.

Hier setzt Studio Mumbai an. Man versucht, sich der Beschleunigung sämtlicher Lebensbereiche zu entziehen und antizyklisch eine Architektur zu entwickeln, die sich an den Rhythmen der Natur und den Bedürfnissen der Menschen Indiens ausrichtet. An die Stelle verwechselbarer globaler Bauten tritt die Suche nach einem Ausdruck der vielfältigen ureigenen Kulturen des Landes. Dabei wird immer wieder von Neuem versucht, die klimatischen Bedingungen Indiens, die von heftigen Monsunregen, großer Hitze und hoher Luftfeuchtigkeit geprägt sind, mit den aktuellen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Anforderungen zu vereinen und zu einer sensiblen zeitgenössischen Architektur zu verarbeiten.

Auf der Baustelle des neuen Ateliergebäudes in Saath Rasta bei Mumbai: Die Pläne bestehen aus Kreppband, das auf Bambusplatten aufgeklebt ist, ergänzt durch Konstruktionsdetails in Originalgröße. Bei Studio Mumbai findet Entwurfsarbeit auch noch vor Ort auf der Baustelle statt. Foto © Srijaya Anumolu

Orts- und Traditionsbezüge werden auch anderswo beachtet. Bei den Projekten von Studio Mumbai werden diese aber noch weiter intensiviert. In einem Forschungsprozess wird eine besonders tiefgreifende Auseinandersetzung mit dem Ort gesucht: Ideen entstehen nicht nur auf Papier oder am Bildschirm, sie werden anhand von 1:1-Modellen im Studio oder auf dem zu bebauenden Grundstück gleichsam unter realen Bedingungen erprobt. Entsprechend eng greifen Entwurfsphase und Bauprozess ineinander, wodurch die klassische Trennung von Planung und Ausführung aufgelöst wird.

In einer solchen Abkehr von der herkömmlichen Arbeitsweise eines Architekten versucht Bijoy Jain, der Gründer von Studio Mumbai, eine neue Architektursprache zu entwickeln, in der Errungenschaften und Vorzüge indischer Bautraditionen geachtet werden, um in eine zeitgenössische Architektur einfließen und sich unter den Bedingungen der Gegenwart weiterentwickeln zu können. Was auf diese Weise entsteht, ist nicht weniger als eine Symbiose aus Gestaltungsprinzipien der westlich geprägten Moderne mit Spezifika der handwerklichen indischen Tradition.

Materialität und Haptik als zentrale Themen des handwerklichen Arbeitsprozess: Auf Tischen sind Negativformen aus Teer für Kupferdachteile (im Vordergrund) und Modelle aus Holz und Bronze (im Hintergrund) auf Tischen ausgelegt. Foto © Uwe Dettmar

Im Mittelpunkt der Ausstellung stehen deswegen auch die großen Detail-Modelle, die Gussformen für Prototyen und die charakteristischen Materialproben aus gebranntem Ziegel, sowie Holz und Stein, die Studio Mumbai eigens für jedes seiner Bauwerke anfertigt. Es ist zuallererst diese Arbeitsweise, die das Studio von herkömmlichen Architekturbüros unterscheidet. Fernab der tatsächlichen Orte des Bauens dokumentieren die Modelle in der Ausstellung zuallererst den Arbeitsprozess und die entwickelte Architektur von Studio Mumbai. Im Kontext der ursprünglich vom „arc en rêve centre d’architecture Bordeaux“ konzipierten Schau erscheinen sie darüber hinaus aber auch als ein Ensemble in ihrer Machart beeindruckender Objekte. Es scheint, als seien große Teile des Büros für eine Weile in die Räume des Museums umgezogen, um die kreativen Prozesse des Kollektivs und deren sensiblen Umgang mit Materialien wie kostbare Ressourcen Indiens vorführen zu können.

Between the sun and the moon – Studio Mumbai
Die Wiederentdeckung des indischen Handwerks
Deutsches Architekturmuseum
Frankfurt am Main
bis 21. August 2016

www.dam-online.de

Ein Haus mit 9 Zimmern in Kankeshwar wurde mittels vorgefertigter Bauelementen aus Ziegelmauerverbund und Fensterrahmen aus Teakholz erbaut. Es fügt sich gut in die Umgebung ein und ist an die klimatischen Bedingungen Indiens angepasst. Foto © Mitul Desai
Offenes Bauen: Im Cooper Haus II in Chondi verbinden sich Gestaltungsprinzipien einer westlich geprägten Moderne mit indischer Tradition. Lokale Materialien und Handwerkskunst bilden die Basis für eine zeitgenössische Architektursprache. Foto © Mitul Desai