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Vom Reiz des Ungebauten
von Daniel von Bernstorff | 01.10.2012

Er war zweifelsohne einer der ganz großen Baumeister des 20. Jahrhunderts. Dabei kann Louis Kahn durchaus als ein Antipode seiner vom Minimalismus geprägten Zeit gelten, der Monumentalität und Masse in die Architektur zurückgebracht hat. Gleichzeitig wurde Kahn immer wieder als „erster Postmoderner“ bezeichnet, wohl auch einer der Gründe, weshalb seine Bauten – etwa das Kimbell Art Museum, das Salk Institute for Biological Studies oder der Regierungskomplex in Dhaka – noch heute kontrovers diskutiert werden. Doch die wenigen gebauten Projekte werden der Bedeutung von Louis Kahn nur unzureichend gerecht. Das große Verdienst der Retrospektive ist es daher, erstmals einen umfassenden Blick auf das gesamte Werk des amerikanischen Architekten zu werfen. So sind es gerade die vielen Modelle und Skizzen nicht realisierter Projekte, wunderbare Reisezeichnungen (die Kahn während seiner ausgedehnten Touren durch Europa, den Nordosten der Vereinigten Staaten und Kanada anfertigte), sowie zahlreiche historische und neu produzierte Fotografien, Zeichnungen und Filme, die den Besucher in ihren Bann ziehen und dem Bild des Protagonisten bislang weniger beachtete Konturen hinzufügen. Louis Kahn als Reisender, Kritiker, Lehrender und Lernender – die Ausstellung lenkt den Blick immer wieder weg vom Monumentalen und hin zum Privaten und Intimen. Nicht die große Inszenierung, eher die kleine Form steht im Mittelpunkt.

Gerade die nicht realisierten Projekte wie das Pocono Arts Centre, das Parasol House – dessen Hauptbestandteil ein industriell vorfabriziertes Dachelement bildet –, der Levy Memorial Playground oder das City Tower Project in Philadelphia, der Heimatstadt von Louis Kahn, offenbaren seine visionäre Kraft. In diesem Sinne beispielhaft ist auch der „Franklin D. Roosevelt Four Freedoms Park“ auf Roosevelt Island in New York, der nun, fast vierzig Jahre nachdem Kahn die ersten Entwürfe gemacht hat, bis Ende 2012 posthum realisiert wird. Auch die von Kahn realisierten Privathäuser – alle in der Region um Philadelphia – zeigen ihn als Meister der kleinen Form, der die Elemente Licht, Raum und Natur stimmig miteinander zu kombinieren versteht.

Auf diese Weise entsteht ein frischer, erweiterter Blick auf einen der großen Baumeister des 20.Jahrhunderts, eine ungemein spannende und detailreiche Würdigung seines Werks, für die die Zeit mehr als reif war.

Rotterdam bietet mit seiner ebenso spektakulären wie mutigen Architektur zudem den idealen Rahmen für die Retrospektive. Ein Muss für jeden Architektur-Interessierten. Und wer es nicht nach Rotterdam schafft, dem sei der Weg ins Vitra Design Museum empfohlen. Auch hier gibt es neben dem Museum vieles zu Entdecken. Aber das ist eine andere Geschichte...

Louis Kahn – The Power of Architecture
Bis 6. Januar 2013: Netherlands Architecture Institute Rotterdam, Niederlande
23. Februar 2013 bis 11. August 2013: Vitra Design Museum, Weil am Rhein, Deutschland

Louis Kahn in dem von ihm erbauten Kimbell Art Museum in Fort Worth, Texas (1972), Foto © Robert Wharton
Louis Kahn in dem von ihm erbauten Kimbell Art Museum in Fort Worth, Texas (1972), Foto © Robert Wharton
Innenhof des Salk Institute for Biological Studies im kalifornischen San Diego, Foto © Salk Institute for Biological Studies
Die Ausstellung in Rotterdam bietet einen umfassenden Blick auf das Gesamtwerk des amerikanischen Architekten, Foto © Architektur Institut NAI
Louis Kahn und Jonas Salk mit einem Modell des City Towers (1958), Foto © Sue Ann Kahn
Regierungskomplex in Dhaka, Foto © Raymond Meier
Ein Modell Kahns, das im Rahmen der Ausstellung „The Power of Architecture“ gezeigt wird, Foto © Carel van Hees
Beleuchtetes Salk Institute in nächtlicher Atmosphäre, Foto © Salk Institute for Biological Studies
Architekturmodell des nicht realisierten City Tower Projects in Philadelphia, Foto © Architektur Institut NAI
Modellskizze von Louis Kahn, Foto © Marc Männgen, Stylepark
Das Kimbell Art Kunstmuseum in Texas wurde 1972 eröffnet, Foto © Robert LaPrelle