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Von der Kiste zum Drops und zurück
von Bertsch Georg-Christof | 17.09.2009

Wieso gehört es fast zum Kultigsten überhaupt, einen alten Renault 4 zu steuern? „Simply the coolest car design ever" schwärmt mir der New Yorker Architekt Pranab Chakraborty vor. Und wieso hebt das Lifestyle Magazine Wallpaper in seinem Special „100 years of Audi" gerade den hölzernen A 80 von 1977 auf die Startseite? Klar: es sind eckige kantige, kistige Autos.

Die Stromlinie, der Strömungswiderstandskoeffizient, auch der cw-Wert, oder umgangssprachlicher das heutige Drops- und Muskel-Design erscheint diesen avancierten Zeitgenossen billig und präpotent zugleich. Die Doktrin, „Fahrzeuge zu entwerfen, die im Stehen so aussehen als würden sie fahren, hat wohl keine Zukunft mehr. Dabei war das bis vor kurzem das Non-Plus-Ultra im Cardesign." so der Designer Darius Zieba. Dabei schien der Übergang von den Kisten der frühen Dreißigerjahre, wie dem rechtwinkligen Opel P4 zum revolutionären stomlinienförmigen Chrysler Airflow irreversibel.

Die Stromlinienform, das windschnittige Outfit war den Automobilentwerfern seitdem ins Stammbuch geschrieben. Warum also sind eckige, kantige, kistige Autos wie der Fiat Panda von 1980 (Werbespruch: „Die tolle Kiste") heute wieder so angesagt? Und wieso sagt selbst in der jüngsten VW-Polokampagne eine weibliche Off-Stimme: „Ich mag Ecken und Kanten. Bloß keinen Schnickschnack.", und das, obwohl der neue Polo gar nicht so sehr eckig ist?

Die Lösung der Frage liegt in der symbolischen Funktion der Form. Nochmals Zieba: „Bei einem Autohersteller hatten wir einmal ein windschnittiges Design für einen PKW entwickelt. Der Teamleiter kam und sagte: um ehrlich zu sein, das ist nicht besser als ein LKW. Im virtuellen Windkanal konnte er es auch sofort beweisen. Der LKW mit seinem langen Kasten schnitt sogar relativ besser ab. Das mit der Aerodynamik ist ohnehin etwas kompliziert. Schauen wir zum Beispiel den Porsche 911 an und den Fiat Panda aus demselben Jahr. Beide haben einen cw-Wert von 0.38. Der Luftwiderstand vergrößert sich exponentiell, daher würde der Panda bei Tempo 200 natürlich schlechter abschneiden als der Porsche. Aber zu Fahrzeugen die ohnehin keinen Geschwindigkeitsrekord aufstellen wollen, wie eben Stadtautos kann man grundsätzlich sagen, dass eine eckige Fahrzeugform der Aerodynamik nicht widerspricht."

Die Stromlinienform war schon in den Dreißigern, als sie entstand nicht wirklich Effizienz steigernd, sondern viel mehr ein Symbol für Geschwindigkeit, für maskuline, ungezügelte Bewegung. Das waren die Attribute der damaligen mobilen Zukunft, in einem gestalterischen Umfeld, in dem Karosserie-Stylisten wie Raymond Loewy, Norman Bel Geddes und Henry Dreyfuss als Maß aller Dinge galten. Bei ihnen sah selbst ein Staubsauger so aus als rauschte er mit 300 Kilometer pro Stunde übers Parkett. Benzin kostete im Leitland des Automobilen dagegen: fast nix. Es ging schlicht nicht um Effizienz, sondern um eine große Geste. Mitten in der Autokrise von 2009 und mit dem CO2-Menetekel vor Augen, dreht es sich nicht mehr um Speed. Der Symbolwert „schnell, rasant" verliert an Sexappeal. Wenn es wirklich um Energieersparnis im großen Stil ginge, hülfe auch das bisschen streamlining nichts. Dann ginge es um intelligentere Ausnutzung des Kraftverkehrs, vollständig andere Motorisierung, Drosselung der Geschwindigkeit unter das Maß, bei dem der cw-Wert relevant wird.

Bezeichnend ist daher auch, dass der „green design trabi" Electric Trabant NT von Nils Poschwatta - eigentlich eine drollige Schrulle - sehr kistig daher kommt. Kiste gleich Grün, scheint er uns zuflöten zu wollen. Der Überdruss vieler Gestalter am Dropsdesign hängt aber neben dem Zeichen für „nicht schnell" auch mit dem ausgereizten Formenvokabular des cw-Werte-Dogmas zusammen. Ein Passat CC sieht zwar wirklich so aus als würde er im Stehen fahren, aber er ist beim besten Willen nicht sexy. Er zeigt keine Spannung. Alles, woran sich das Auge festhalten könnte, ist weggeschmirgelt. So charaktervoll wie der „Mann ohne Eigenschaften" in Robert Musils Roman.
Das Zusammentreffen dieser charakterlichen Konturlosigkeit mit einer noch immer ratlosen Autoindustrie kommt nicht von ungefähr. Deshalb holen Oldtimer-Fans nun auch die hässlichen Entlein der Kübelwagen (VW 181) stolz aus dem Keller. Oliver Kamin, ein euphorischer Kübelwagensammler beschreibt seine Faszination: „Es ist weniger die Begeisterung am Militarismus. Vielmehr ist es die spartanische und funktionale Ausgestaltung eines solchen Fahrzeuges." Was er mit funktional meint, und was den Autodesignern Fragezeichen auf die Stirn malt ist: Zugänglichkeit, Simplizität, weniger Funktionen, nur das Nötigste. Genau hier hat sich das Autodesign, parallel zum cw-Wahn am meisten verrannt: tausend Hebel, Knöpfe, Schalter, Drehräder mit 1.000.000 Funktionsoptionen dahinter. Dasselbe Dilemma wie es die Handyhersteller vor dem iPhone hatten. Das neue Autodesign hingegen sagt uns mit seinen Ecken symbolisch: „Ich bin einfach." Es sagt, wie in der Polo-Werbung, „kein Schnickschnack". Es sagt, ich bin zugänglich und eben sinnvoll. Das ist die Botschaft der eckigen Autos: „Wir sind genügsam, wir haben nur das, was zum Fahren benötigt wird. Zu mehr ist ein Auto schlussendlich nicht da. Bitte kein Las-Vegas-Illusionismus mehr: Wenn es steht, steht es. Wenn es fährt, dann fährt es. Sehr emotional drückt das die Bloggerin Martina Kink aus: „Ich will ein Auto, das noch aussieht wie ein Auto, so wie Kinder das malen. Kurz, ein eckiges. Mir ist das unsympathisch, wenn Autos aussehen wie Kuscheltiere."

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Photo © Dimitrios Tsatsas, Stylepark
Photo © Dimitrios Tsatsas, Stylepark
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