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Wenn der Alltag zur Entdeckung wird
von Sandra Hofmeister | 24.08.2010

Die Route für den Rundgang wird per Mausklick festgelegt: Hinter dünnen farbigen Streifen, welche die Startseite in eine bunte Klaviatur verwandeln, verbergen sich Ausstellungsobjekte. Die einzelnen Stationen durch das virtuelle Universum kann jeder User nach eigenen Vorlieben bestimmen, mit seiner eigenen Auswahl der Exponate. Zur Wahl stehen die Luftpolsterfolie sowie die Dose, der Reißverschluss, der Lippenstift und viele andere alltägliche Gegenstände, die milliardenfach erprobt und weltweit verbreitet sind. Das Entree in die Online-Tour, die die Geschichten hinter diesen Objekten aufdeckt, beginnt mit Geräuschen: Die Flamme raschelt beim Anzünden des Streichholzes, der Kessel pfeift, bevor der Teebeutel aufgegossen wird und das dumpfe Floppen beim Öffnen einer Flasche gehört zum Korkenzieher.

„Heimliche Helden. Das Genie alltäglicher Dinge" lautet der Titel der Ausstellung - und neben einer gekonnten Inszenierung im Buckminster Fuller Dome auf dem Vitra Campus in Weil am Rhein sind die einfachen Helden des Alltags, denen sich die Schau widmet, im Internet auf www.hidden-heroes.net zu entdecken. Dabei nutzte die Hamburger Agentur Grimm Gallun Holtappels, die das Portal entwickelte, den dreidimensionalen Raum und alle Möglichkeiten des Internets für die spielerische Präsentation von Filmen, Geräuschen, historischen Dokumenten und zeitgenössischen Anwendungsbeispielen. Beiträge der User, die die Geschichten der insgesamt 41 Alltagshelden kommentieren können, ergänzen das Sammelsurium zu einer wachsenden, lebendigen Plattform. Das gelungene, mit Flash generierte Online-Arrangement zeigt ein buntes Kaleidoskop an Informationen und insgesamt mehr Material als vor Ort in Weil an Rhein. Es flankiert die Ausstellung als ergänzende virtuelle Schau und würde ein sensationelles i-Pad-App abgeben - es ist jedoch auch ohne Smartphone einen Besuch im Internet wert.

Unter den vielen Alltagshelfern, die Jochen Eisenbrand für die Ausstellung zusammengetragen hat, befinden sich auch die Büroklammer und der Karabiner, das Klebeband und der Barcode. Als Kriterium für die Auswahl setzte der Kurator zielgerichtete Maßstäbe: Die Idee sollte einfach und nachvollziehbar sein, die Dinge milliardenfach produziert und für sich sprechen, den Alltag prägen und die Dinge sollten seit ihrer Erfindung unverändert geblieben sein. Viele ausgestellte „Helden" sind allein durch ihren Gebrauchswert weltweit bekannt und oft manche von ihnen schon seit über hundert Jahren milliardenfach erprobt. Dass sie außerdem in den verschiedensten Bereichen neue Standards gesetzt haben, der Druckknopf für die Mode, der Überseecontainer für den Warenaustausch oder die Büroklammer und der Aktenordner für das Archivieren, scheint heute selbstverständlich und ist doch ein Stück Designgeschichte, deren Wurzeln und Anekdoten die Ausstellung aufdeckt. Unter den vielfältigen Exponaten befinden sich historische Patente und Zeichnungen, Industriefilme und Werbeposter sowie Abbildungen mancher Werke zeitgenössischer Designer und Künstler, die sich von dem ein oder anderen heimlichen Helden inspirieren ließen.

Dieter Thiels Ausstellungsdesign im Buckminster Fuller Dome sieht für jeden Helden eine passende, innen farbig ausgeschlagene Holzbox vor, in der die Geschichten der Helden wie in einem Schaukasten inszeniert sind. So öffnen sich in der Aufreihung der Helden im Buckminster Fuller Dome wahre Überraschungsszenarien - etwa die des amerikanischen Ingenieurs Jules Poupitch, der um 1960 einen praktischen Dosenhalter aus Kunststoff entwickelte, der heute in abgewandelter Form von Hi-Cone auch für Flaschen produziert und weltweit verkauft wird. Oder die des Schweizer Unternehmers Albert-Pierre Raymond, der 1886 den ersten in Serie hergestellten Druckknopf patentieren ließ und damit deutlich weniger Erfolg hatte als Hans Prym, der 1903 den ersten S-Feder-Druckknopf erfand und dessen Unternehmen heute noch familiengeführt etwa fünfzehn Millionen Druckknöpfe pro Tag produziert. Die Geschichte hinter den Erfindungen, den technologischen Entwicklungen, wie etwa die erste Büroklammer aus Kunststoff, und die Auswirkungen der einzelnen Gegenstände auf den Alltag vermittelt lebendig viel Wissenswertes und lässt dabei noch viel Platz für weitere Entdeckungen.

„Design ist unsichtbar" meinte Lucius Burckhardt schon vor dreißig Jahren. „Super Normal" lautete der Leitsatz, mit dem Jasper Morrison und Naoto Fukasawa vor einigen Jahren für Furore gesorgt haben. Mit der „Essenz der Dinge" und den „Heimlichen Helden" besinnt sich das Vitra Design Museum auf das Einfache und allseits Erprobte, abseits der schrillen Gesten der Gestaltung. Beide Ausstellungen sind noch bis zum 19. September in Weil am Rhein zu sehen.

Heimliche Helden. Das Genie alltäglicher Dinge
Vom 20. August bis 19. September 2010
Eine Ausstellung des Vitra Design Museums in Kooperation mit Hi-Cone
Buckminster Fuller Dome, Vitra Campus, Weil am Rhein
www.design-museum.de

www.hidden-heroes.net

Ausstellungsansicht im Buckminster Fuller Dome
online "begehbare" Plattform der Ausstellung Hidden Heroes mit Zusatzmaterial
Ausstellungsansicht "Heimliche Helden. Das Genie alltäglicher Dinge" Das erste Gummiband erfunden von Charles Goodyear 1845 Fotos: Thomas Mayer für Hi-Cone
Unterschiedliche Arten von Dübeln und wie sie hinter der Wand aussehen.
Einmachgläser erfunden von Dr. Rudolf Rempel 1892 vorn: Kunstwerk von Falk von Traubenberg, der Dias in Einmachgläser füllt.
Multipack Carrier der Firma Hi-Cone. Mit minimalem Einsatz von Material werden Gebinde von Dosen, PET- und Glasflaschen sicher zusammengehalten.