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Wenn Holz nicht aus Holz ist
von Michiko Wemmje | 29.01.2014
a Fitz (von links nach rechts). Foto © Mathias Dürr

In der Tierwelt ist Mimikry keine Seltenheit. Eine Schwebfliege etwa tut so, als sei sie eine Honigbiene. Sie ahmt das Erscheinungsbild ihrer Konkurrentin nach, täuscht also Eigenschaften vor, die sie nicht besitzt. Etwas Ähnliches findet seit geraumer Zeit auch im Bereich von Bodenbelägen statt. So werden etwa Beläge aus Kunststoff angeboten, die nicht nur optisch kaum von echten Holzböden zu unterscheiden sind, sondern die sich durch unebene Oberflächenstrukturen auch so anfühlen wie Holz. Übertragen sich Empfinden, Charme und Behaglichkeit eines Naturbodens in einem solchen Fall tatsächlich auf das neue Produkt?

Es gibt eine Fülle von Produkten mit veränderter Funktion

Auf der Domotex war zu beobachten, dass sich Fragen danach, ob und unter welchen Voraussetzungen etwas als authentisch empfunden wird oder nicht, keineswegs allein darauf beschränken, ob es sich um bloße Imitationen handelt, ob beispielsweise ein Laminatboden ein Echtholzparkett imitiert. Das liegt vor allem daran, dass sich unter den Innovationen dieses Jahres eine Fülle von Produkten finden, die diverse Materialeigenschaften miteinander kombinieren, also darüber hinausgehen, lediglich eine Eigenschaft des Ausgangsmaterials nachzuahmen. So werden zum Beispiel Böden aus Naturschiefer durch einen Unterbau aus Kork oder Kunststoff elastisch und fußwarm und Vinylböden mit textiler Struktur können dank neuer Techniken mit beliebigen Mustern bedruckt werden. Selbst wasserfeste Teppiche, die man per Klicktechnik verlegen kann, Holz- oder Bambusmodule, die sich für Boden und Wand verwenden lassen und handgeknüpfte Teppiche, die aus gebrauchten Keilriemen oder Zeitungen gefertigt sind, bezeugen den Zuwachs an Funktionen.

Ist die Sehnsucht nach dem Authentischem besonders groß?

Wie weit die ästhetischen und funktionalen Grenzen eines bestimmten Materials erweitert werden können und welche Bedeutung anderseits als authentisch empfundenen Materialien zugeschrieben werden kann, darüber diskutierten im Rahmen der „Innovations@Domotex Talks“ der Architekt Lars Krückeberg (Graft Architekten, Berlin) mit seinen Fachkollegen Titus Bernhard (Titus Bernhard Architekten, Augsburg), Günter Katherl (Caramel Architekten, Wien) und Dirk Zweering (Kadawittfeldarchitektur, Aachen). Moderiert wurde die Debatte von der Architekturkritikerin Angelika Fitz.

In einer Welt der Digitalisierung, die von einem permanenten Wandel und laufenden Updates geprägt ist, scheint die Sehnsucht nach dem Natürlichen und Authentischen besonders groß zu sein. Muss es deshalb aber verkehrt sein, bestimmte Materialeigenschaften zu kopieren? Oder verstellt das sklavische Festhalten an der Authentizität des Materials nicht auch den Blick darauf, was beim Umdeuten und Erweitern entsteht?

Schnell waren sich die diskutierenden Architekten einig, dass sie das Echte einer Kopie zwar vorziehen, es im Kern aber nicht allein auf die Authentizität eines bestimmten Materials ankommt, sondern auf die Erfahrung, die man mit diesem macht. So führte etwa Dirk Zweering aus: „Das Authentische ist relativ – man muss die persönlichen Erfahrungswerte der Menschen mit einbeziehen. Die Frage lautet also: Mit welchen Materialien kann ich ein möglichst angenehmes Raumgefühl erzeugen?“. Die Gefühle, die jemand mit einem bestimmten Material verbindet, können recht verschieden sein, wobei kulturelle Differenzen eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen. Während beispielsweise Holz und Putz in unserem Kulturraum überwiegend positiv konnotiert seien, entwickelen andere Kulturen vollkommen abweichende Haltungen zu diesen Materialien. Die Erfahrung, die wir mit einem Material machen, werde somit wesentlich durch den kulturellen Kontext geprägt, in dem es vorkommt. Auch sei, ob man etwas als authentisch wahrnehme oder nicht, davon abhängig, ob und wie jemand die Eigenschaften des Materials erklärt würden.

Der Architekt darf das Ungewohnte denken

Günter Katherl argumentierte: „Wir Architekten bestimmen doch, was echt ist – es hängt davon ab, wie wir argumentieren.“ Und Lars Krückeberg fügte hinzu: „Wir regen uns über Laminat auf, weil es versucht, Holz zu sein.“ Seiner Meinung nach solle Material weitgehend unabhängig von Fragen der Authentizität gedacht und eingesetzt werden – je nach Bedarf und Situation. Es gebe, so Krückeberg, Situationen, in denen Laminat am besten geeignet, also das beste Produkt sei. Der Architekt solle auf den Menschen und seine individuellen Bedürfnisse reagieren. „Wenn für einen Katzenbesitzer ein Holzboden nicht in Frage kommt, warum nicht neu nachdenken – zum Beispiel über einen gesamten Wohnungsboden aus Streu?“, fragte Krückeberg – nicht ohne verschmitzt in den Raum zu schauen.

Etwas neu zu denken oder aus einer ungewohnten Perspektive zu betrachten, erfordert Mut – und bedeutet oftmals auch, dass man sich mit den Auftraggebern, Bauherren ebenso wie Herstellern, auseinandersetzen muss, die mit ihren Investitionen kein Risiko eingehen möchten. Die Anwesenden stimmen Krückeberg zu, als er die Verantwortung des Architekten bei der Geschmacksbildung anspricht: „Der Architekt ist derjenige, der das Ungewohnte denken darf und soll. Derjenige, der Haltungen ändert. Industrie und Bauherren wollen Geld verdienen. Die Aufgabe des Architekten ist es, das Bewusstsein zu schärfen und neue Denkweisen umzusetzen.“

Imitate sind strapazierfähiger, pflegeleichter und günstiger

Schaute man sich im Anschluss an die Diskussion an den Ständen auf der Domotex um, so fiel auf, dass es in der Praxis im wahrsten Sinne des Wortes bodenständiger, sprich: pragmatisch zugeht. Hier zählt vor allem Effektivität: Gefragt ist ein Bodenbelag, der gut aussieht und pflegeleicht, fußwarm, elastisch und nicht allzu teuer ist. Zwar wünsche sich die Mehrheit der Kunden einen echten Parkettboden, gleichwohl entscheiden sich am Ende mehr als 80 Prozent der Käufer für Alternativen wie Laminat oder andere Bodenbeläge mit Holzoptik, erklärt Dirk Steinmeier, Marketingleiter bei MeisterWerke, Rüthen. Gründe dafür gibt es viele: Die Imitate seien oft strapazierfähiger, pflegeleichter und vor allem preisgünstiger. „Die Kunden wollen immer weniger pflegen. Der Boden ist ja dasjenige Produkt im Haus, das am wenigsten oft ausgewechselt wird. Daher muss man besonders achtgeben, dass seine Eigenschaften zu den eigenen Bedürfnissen passen.“

Nach dem Talk und einem abermaligen Rundgang über die Domotex lässt sich in Sachen „Authentizität und Verfremdung“ festhalten: Der Sehnsucht nach natürlichen und authentischen Materialien steht der Wunsch nach pflegeleichten und effektiv handhabbaren Produkten gegenüber. Manchmal erfährt ein als authentisch empfundenes Naturmaterial auch erst dann eine Aufwertung, wenn es mit seinem Imitat verglichen werden kann. Ob echt oder unecht, authentisch oder nachgemacht, auf dem weiten Feld der Bodenbeläge ist das längst kein Entweder-Oder mehr.

Vinyl-Boden „Dream Klick“ zum Klickverlegen von Beauflor. Foto © Mathias Dürr
Aus neu mach alt: Vintage-Teppich bei Jan Kath. Foto © Martina Metzner
Jan Kath. Foto © Martina Metzner
Lars Krückeberg, Graft Architekten, beim Talk: „Wir regen uns über Laminat auf, weil es versucht Holz zu sein.“ Foto © Mathias Dürr
Concreate Modular stellt Sichtbeton-Paneele her, die man einfach verlegen kann. Foto © Martina Metzner
Concreate Modular kann auch neben Holzpanelle verlegt werden. Foto © Martina Metzner
Sieht aus wie Tafelparkett, ist aber keins: Laminat-Böden von Hadi Teherani für Parador. Foto © Martina Metzner
Klickbare Korkboden von Li&Co mit Naturschiefer-Oberfläche. Foto © Mathias Dürr