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Wieder auf den Teppich kommen – imm Cologne Teil 2
von Thomas Wagner | 26.01.2011

„Pure Textile", einer der beiden neu hinzugekommenen Bereiche der imm Cologne 2011, widmet sich Textilien und bietet, wie es von offizieller Seite heißt, „den Editeuren erlesener Stoffe für die Inneneinrichtung eine perfekte Bühne, um ihre edlen Kollektionen ins rechte Licht zu rücken. Integriert in den Ausstellungsbereich Pure und damit umgeben von absolutem Top-Design der namhaftesten internationalen Möbelhersteller, können die exquisiten Textilien im Zusammenspiel mit Möbeln und Accessoires ihre Wirkung voll entfalten". Leider gilt das nur eingeschränkt, was keineswegs an den Textilverlagen und deren Ständen liegt. Vielmehr legt man bei der Messe Köln den Begriff der Kontextualisierung recht großzügig aus. Im Grunde beschränkt sich die Zusammenschau von Möbeln, Tapeten, Vorhängen und Teppichen darauf, dass sich diese alle in derselben Halle befinden und der Flaneur sich alles selbst zusammensucht. Wer erwartet hatte, hier würde endlich einmal über den Tellerrand hinausgeschaut und die Isolation einzelner Produkte aufgehoben - womöglich in eigens eingerichteten Räumen -, der wurde enttäuscht. Allein der Raum zwischen den Textilunternehmen wurde mit harten Bänken und einigen Stoffhockern möbliert, was nur mit viel gutem Willen zu der Qualität dessen passte, was drumherum geboten wurde. Eine Wohnung ist nun mal ein Ganzes und zerfällt nicht in einzelne Objekte. Das anzunehmen, folgt allein der Logik einer Messe, die sich die Welt nach Ständen einteilt. Gerade weil der neue Bereich überschaubar ist, hätte sich hier die Chance geboten, etwas Neues auszuprobieren. Ein Raum von jeweils einem Hersteller ausgestattet, der sich einen Kooperationspartner aus dem Möbelbereich sucht, das wäre jedenfalls mal etwas anderes.

Diesseits des Morgenlandes

Gleichwohl gilt: Wer als Kind auf den Schwingen der Imagination mitten im Zimmer hinaus in die Prärie galoppiert, der muss irgendwann auch wieder zurückkommen. Vor allem der Mensch von Welt landet dann immer häufiger nicht auf dem harten blanken Boden, sondern auf dem Teppich. Man hätte es, jenseits allen Trendgefasels, wissen müssen oder zumindest ahnen können: In vielen Wohnungen wurde in den letzten Jahren Parkett verlegt, Laminat verbaut oder es wurden in große Räume breite, edle Holzdielen eingezogen. Folglich gibt es jede Menge Freiflächen, die auf Dauer nicht frei bleiben, aber auch nicht ohne weiteres mit traditionellen Orientteppichen gefüllt werden können. Denn die meisten dieser handgeknüpften Teppiche, die seit Mitte des 19. Jahrhunderts die Wohnungen des Abendlandes eroberten, harmonieren heute nur noch selten mit Designermöbeln jüngster Provenienz. Zudem: Wo man früher Paradiesgärten und Märchen aus Tausendundeiner Nacht imaginierte, befällt so manchen heute der Zweifel, weil er, ob zurecht oder zu Unrecht, bei den Knüpfwerken aus dem fernen Osten zuerst an Kinderarbeit und Ausbeutung denkt. So kam es, wie es kommen musste: Es mussten neue Teppiche her. Und so ergänzt fast jeder Hersteller, der sich aufs Textile versteht - und beileibe nicht nur diese -, sein Programm um neue, zumeist gut gestaltete und aus edlen Materialien gefertigte Teppiche.

Was die Rückkehr des Teppichs im Konzert mit der Wiederbelebung der Tapete und edeler Vorhangstoffe bedeutet, lässt sich einstweilen schwer abschätzen. Deutet sich hier eine Abkehr von der modernistischen „Weißen Zelle" an? Oder wurde schlussendlich die Scheu vor dem Repräsentativen in einer eher opulenten, barock-katholischen Form überwunden? Was auch immer den Wandel ausgelöst hat, fest steht: Teppiche in den unterschiedlichsten Farben und Mustern sind längst kein bloßes Beiwerk mehr, sondern tragen wesentlich zur Gestaltung eines Raumes bei - im Objektbereich nicht weniger als in der privaten Villa oder Wohnung.

Tradition dekonstruiert

Wie kein zweiter Teppich-Designer hat sich Jan Kath in den vergangenen Jahren daran gemacht, den historischen Bestand an Mustern und Farben zu dekonstruieren. Was er betreibt, ist das Geschäft der Simulation und des Remix, bei dem Fernes und Nahes zusammengespannt und zugleich separiert werden. Was bei dieser Arbeit an der Überlieferung und ihren Phantasmen herausgekommen ist, kann man, etwas hoch gegriffen, als philosophischen Diskurs bezeichnen, der die Unruhe der Gegenwart im Umgang mit dem Raum bildhaft anschaulich werden lässt. So hat Kath, eine ganz eigene Art Teppich-Philosoph, nicht nur eine neue Typologie geschaffen; er versteht es auch, souverän auf der Klaviatur der Reminiszenz, des Fragmentarischen, Abgetretenen und Ausgefransten zu spielen. Dabei gelingen ihm immer wieder überraschende „Bilder" einer Wohnkultur, die sich globaler Muster bedient, indem sie diese reaktiviert und transformiert.

Am Ende hat man also einen Teppich im Wohnzimmer liegen, der einerseits aussieht wie ein abgetretener Orientteppich, andererseits aber auch wieder nicht. Vielmehr changiert der Teppich zwischen seiner Historizität und deren Überwindung. Er ist gleichsam vollgesogen von einem Prozess, der ihn überdauern und zugleich untergehen ließ.

In Köln zu bestaunen sind bei Jan Kath verschiedene Kollektionen. Einmal wird Tradition ganz offen simuliert und verarbeitet, indem Fragmente scheinbar traditioneller Muster auf einem monochromen Grund erscheinen. Das andere Mal legt Kath eine rot, grün oder blau gefärbte ornamentale Textur wie eine Erinnerung über einen fleckigen Grund. Hängen diese Teppiche an der Wand, erinnern sie eher an Bilder des Abstrakten Expressionismus oder des Informel als an Teppiche, was den Entschluss, sie tatsächlich auf den Boden zu legen, nicht immer einfach macht. Kaths Kunst des Spiels mit Grund und Figur, des Auslöschens und Zeigens kennt also viele Varianten. Dass Muster niemals nur Muster und schon gar nicht neutral sind, zeigt ein anderes Projekt. „BP" heißt eine kommende, leider in Köln noch nicht zu sehende Kollektion, für die Kath Aufnahmen der Ölkatastrophe im Golf von Mexiko verwendet. So kommt auch die Politik auf den Teppich. Und wer ein gutes altes Stück sein eigen nennt, dem er eine Revitalisierung wünscht, der kann diesem mit Hilfe des Programms „Pimp My Rug" einen völlig neuen Look verpassen lassen. Dazu wird der Teppich mit Hilfe eines besonderen Verfahrens zunächst entfärbt und danach in Neonfarben neu eingefärbt.

Tradition transformiert

Man kann freilich auch weniger radikal durch die Zeiten reisen. Einen solchen Weg beschreitet der Hersteller Sahco Hesslein. Auch hier spielt Tradition eine Rolle, doch wird diese nicht gebrochen, sondern bewusst erneuert. Handwerklich perfekt ausgeführt und in unterschiedlichen Produktlinien wie „Creative Interiors" oder „New Standard", werden Stoffe angeboten, die in jedem Raum einen Hauch von Exklusivität vermitteln. Dass Sahco, neben neuen Vliestapeten, unter dem Namen „Sahco Fine Rugs" nun auch auf Stoffe und Tapeten zugeschnittene Teppiche anbietet, zeigt, dass sich auch auf dem Feld exklusiver Raumgestaltung etwas verändert.

In der Stoffspirale

Création Baumann verzichtet - im jugendlichen Alter von 125 Jahren - noch auf Teppiche. Statt zu Boden zu blicken, hat man eine Jubiläumsspirale vor allem mit den herrlichen Stoffen der Linie „Natura" gefüllt, die in ihren verschiedenen Varianten selbst eingefleischte Vorhandgegner zur Umkehr bewegen können. Daneben bietet man das flexible, selbsthaftende und mehrfach verwendbare Dekorationssystem „Gecko" für Glasflächen im Innenraum nun auch für Kinder an. Kinnasand hingegen bietet mit „Vintage" ebenfalls eine Teppichkollektion, die mit historischen Reminiszenzen spielt. Wem die Teppiche Jan Kaths zu radikal oder zu dominant sind, der findet unter „Vintage classic" in Pastelltöne getauchte Muster klassischen Zuschnitts, die mit einem Mal frisch und sommerlich wirken. Hinter „Vintage plain" verbergen sich fünfzehn monochrome Varianten und „Vintage contemporary" bietet eine Serie zeitgemäßer Kelims, unter anderem mit versetzt angeordneten Streifen in Pastelltönen.

Wem das noch nicht genug ist, der findet in der Design Post bei Kvadrat Kissen und Vorhangstoffe von Cristian Zuzunaga sowie mit „Waterborn" eine neuartige und nachhaltig produzierte Mikrofaser-Textilie, bei Fanny Aronsen drei luxuriöse Stoffe, die mit den offenbar unvermeidlichen Swarowski-Kristallen kombiniert werden, und mit „Hermod" einen Velourstoff aus Baumwolle und Mohair, bei dem eine Hintergrundfarbe durch den Flor hindurch scheint. Sehr edel! Auch wenn es mit Stoffen und Teppichen so eine Sache ist. Man kann sie zwar im Bild zeigen, aber nicht anfassen und fühlen. Dazu muss man auf die Messe gehen.

Création Baumann
Bei Pure Textiles
Avenue von Woodnotes
Messestand von de Sede
28 Custom von Bocci
Bei Piure
Jalis Sofa von Jehs+Laub für Cor
Sonderausstellung in der Design Post
Emotional Austerity
Plytube Stool von Seongyong Lee, D3 Design Talents
"DIALOG First Edition" von Vorwerk Teppiche
Jab Anstoetz, alle Fotos: Dimitrios Tsatsas
Nya Nordiska
Sahco Hesslein
Création Baumann
Bei Jan Kath
Bei Draenert
14 Sconce von Bocci
Bei Cor
Sideboards von Eric Degenhardt für Böwer
Sonderausstellung "Emotional Austerity" kuratiert von Patricia Urquiola
Accordion Cabinet von Eliza Strozyk, Sebastian Neeb, D3 Design Talents
Vorwerk Teppiche