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Nachhaltigkeit
Hinauf ins Grüne

Ein vertikaler Garten als öffentlicher Raum und ein gewaltiges Gewächshaus auf dem Dach: Das neue Jobcenter in Oberhausen von Kuehn Malvezzi ist ein architektonischer Glücksfall für die Stadt.
von Fabian Peters | 17.10.2019

Noch sieht es aus wie eine überdimensionale Feuertreppe – das große Metallgerüst, das einen Teil des Neubaus von Kuehn Malvezzi im Zentrum von Oberhausen bildet. Doch schon bald wird es von Pflanzen überrankt sein und als vertikaler Garten den Altmarkt mit den Gewächshäusern auf dem Dach des neuen Gebäudes verbinden. Doch von vorn: Das in Oberhausen ansässige Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik (UMSICHT) suchte eine große Dachfläche als Standort für ein Gewächshaus. Dort sollten Konzepte für Urban Farming erforscht werden. Außerdem wollte man untersuchen, wie man landwirtschaftliche Produktion in die Infrastruktur von Bürogebäuden integrieren könnte. Zur gleichen Zeit plante die OGM einen Neubau für die Arbeitsagentur am Oberhausener Marktplatz. Man schloss sich zusammen und schrieb 2016 einen Wettbewerb aus, um eine architektonisch überzeugende Lösung für den geplanten Hybridbau aus Büro- und Gewächshaus zu finden.

Kuehn Malvezzis Siegerprojekt sah neben dem Verwaltungsgebäude für das Jobcenter und die aufgesattelten Forschungsbauten ein drittes wesentliches Element vor: Ein vertikaler Garten sollte den Übergang zur Nachbarbebauung bilden und gleichzeitig einen öffentlichen, parkartigen Weg vom Erdgeschoss hinauf zum Gewächshaus entstehen lassen. "Bislang kannten wir den vertikalen Garten in zwei Ausführungen", erläutert Wilfried Kuehn: "Als botanisches Gemälde á la Patrick Blanc – sehr schön aber sehr statisch und furchtbar schwer zu erhalten. Oder als "Etagere", wie sie der Architekt Stefano Boeri bei den beiden Hochhaustürmen "Bosco Verticale" in Mailand realisiert hat. Auch sie ist in der Unterhaltung eine gärtnerische Herausforderung und nimmt dem Gebäude zudem Licht und Ausblick. Wir wollten etwas Drittes."

Dieses "Dritte" entwickelten Kuehn Malvezzi zusammen mit den Berliner Landschaftsarchitekten vom atelier le balto. le balto knüpften bei dem Entwurf an ihren 2002 entstandenen "jardin sauvage" hinter dem Palais de Tokyo in Paris an. Auf einer grabenartigen, völlig im Schatten liegenden Brachfläche pflanzten sie damals Gewächse, die in der Lage waren, hoch hinaus ins Licht zu wachsen. In Oberhausen konzipierten sie die Bepflanzung so, dass diese zukünftig ohne aufwendige Pflege von sich aus nach oben wächst. Rund 15 verschiedene Kletterpflanzen – Wilder Wein, Glyzinien, Clematis, Rosen, Aristolochia – sollen bald das Metallgerüst überziehen, in das die Treppen und Stege des vertikalen Gartens eingehängt sind. "Wir schaffen so ein vertikal orientiertes Parterre, durch das sich die Menschen hindurchbewegen sollen", beschreibt Wilfried Kuehn die Intention der Architekten und ergänzt: "Wir mögen außerdem die industrielle Anmutung des Gartens, die auch ästhetisch die Verbindung zum Gewächshaus herstellt."

Auch das Bürogebäude für das Oberhausener Jobcenter entwarfen Kuehl Malvezzi in der Tradition industriellen Bauens. Als "Warehouse-Typologie" bezeichnet es Wilfried Kuehn, als einen Entwurf, der sich mit wenigen Eingriffen an fast jede neue Aufgabe anpassen lässt: "Das Haus ist eigentlich ebenso ein Gerüst wie der vertikale Garten dahinter. " Die großen, bodentiefen Fenster greifen dann auch folgerichtig in Material und Rhythmik das Stahlgerüst des vertikalen Gartens wieder auf. Mit rotem Klinker als Fassadenverblendung verweisen Kuehn Malvezzi auf die lokale Architekturgeschichte – allen voran auf Peter Behrens' berühmtes Lager- und Verwaltungsgebäude für die Gutehoffnungshütte. Die Steine ließen die Architekten nicht im Verband verlegen, sondern als horizontale und vertikale Binderreihen. "Es entsteht dadurch gar nicht erst der Anschein, als habe der Klinker eine statische Funktion", benennt Kuehn den Beweggrund für diese Form der Gestaltung.

Klar und blockhaft definiert der Neubau nun eine Kante des Oberhausener Altmarktes, den ansonsten kleinstädtisch anmutende Gründerzeitbauten umstehen. Ein Café im Erdgeschoss soll dazu beitragen, den Platz stärker zu beleben. Denn das Oberhausener Stadtzentrum ist seit der Eröffnung des Einkaufszentrums Centro im Jahr 1996 nahezu verwaist. Wilfried Kuehn sieht darin zukünftig aber auch die Chance, durch attraktive nicht-kommerzielle Nutzungen die Innenstadt wieder zu einem nachgefragten Wohnort zu machen. Der vertikale Garten soll dazu einen Beitrag leisten. Ganz oben haben die Architekten einen Steg bauen lassen, der einen weiten Ausblick auf den Marktplatz und die Stadt bietet. "Ein Geschenk an die Stadt", wie es Marc Pouzol vom atelier le balto formuliert. "Die Einwohner können Oberhausen von diesem Aussichtspunkt neu erleben."