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Beim Anbau von Kuehn Malvezzi an die Moderne Galerie des Saarlandmuseums in Saarbrücken wird ein Kunstwerk von Michael Riedel zur Fassade.
von Fabian Peters | 15.08.2018

Die Fassade als Informationsträger des Gebäudes, das sie ziert, ist ein weitgehend vormodernes Konzept. Mit den historischen Schmuckformen verschwanden auch Widmungsinschriften, die den Erbauer und Bauzeit kundtun, oder Skulpturenprogramme, die den Zweck des Baus versinnbildlichen. Nutzer und Nutzung bestimmen keine Typologie mehr und sollen im Idealfall auch veränderbar sein. Die Moderne Galerie des Saarlandmuseums in Saarbrücken, die der Architekt Hanns Schönecker in drei Bauphasen zwischen 1962 und 1976 errichtete, ist ein Musterbeispiel für diese Geisteshaltung. Jetzt haben die Architekten Kuehn Malvezzi aus Berlin und der Frankfurter Künstler Michael Riedel das Museum mit einem Anbau erweitert, dessen als typographisches Kunstwerk gestaltete Fassade höchst geistvoll an vormoderne Konzepte anknüpft. Denn Riedel thematisiert den demokratischen Prozess als Voraussetzung des eigentlichen Bauvorgangs und bringt damit den Bauherrn, die Nutzung und die Baugeschichte zurück auf die Außenhaut der Architektur.

Die faschistische Diktatur und ihre Kulturpolitik waren in zweierlei Hinsicht für Schöneckers Bau in den Formen der Nachkriegsmoderne determinierend: Zum einen sollte die Galerie eine in den ersten Nachkriegsjahren aufgebaute Sammlung aufnehmen, deren Schwerpunkt die von den Nationalsozialisten als "entartet" verfemten Künstler bildeten. Zum anderen war sie ein Gegenentwurf zum wenige Meter weiter stehenden Staatstheater, einem neoklassizistischen NS-Monumentalbau. Nichts sollte hier an diese Selbstverherrlichungs- und Propagandaarchitektur erinnern. Stattdessen schuf Schönecker ein Ensemble aus quadratischen Pavillons unterschiedlicher Größe und Höhe, das er in die Saaraue einbettete. Fensterbänder und eine Fassadenverkleidung aus Nagelfluh prägen die Erscheinung der lockeren Bautengruppe. Die Natur, nicht die angrenzende Stadt, bildet den Bezugspunkt.     

Die Baugeschichte der Modernen Galerie steht auch im weiteren Verlauf erstaunlich sinnbildlich für die Architekturgeschichte der Bundesrepublik. Für eine bald nach der Fertigstellung notwendige Erweiterung planten Architekt und Hausleitung, zwei benachbarte gründerzeitliche Villen niederzulegen. Doch der Zeitgeist hatte sich gewandelt. Bürgerproteste verhinderten den Abriss, so dass die Villen schließlich für das Museum umgenutzt wurden. Aber nicht alle notwendigen Räumlichkeiten konnten so geschaffen werden. Erneut sollte ein Anbau Abhilfe schaffen. Im Jahr 2008 erhielt das Kölner Architekturbüro Twoo Architekten schließlich den Auftrag zur Realisierung. Die Architekten bezogen sich mit ihrem Entwurf unmittelbar auf die Kubatur des Schönecker-Baus mit seinen Pavillonwürfeln. Diesen fügten sie einen weiteren größeren, jedoch in den Proportionen genau abgestimmten Baukörper hinzu. Anders als der Bestand, der weitgehend in der Horizontalen erschlossen wird, sollte der Anbau vertikal um ein Atrium organisiert sein, dass zugleich als neues Foyer gedient hätte. Die von den Architekten geplante aufwändige Glasfassade ließ sich jedoch nicht im Kostenrahmen realisieren und führte neben anderen Differenzen während der laufenden Bauarbeiten zum Zerwürfnis zwischen Bauherrn und Architekten. Ab 2011 lag die Baustelle still. 

Nach einem Auswahlverfahren wurden dann im Jahr 2013 Kuehn Malvezzi und Michael Riedel mit der Fertigstellung des begonnenen Anbaus beauftragt. Sie überzeugten die Jury mit einem Konzept, das es zum einen erlaubte, das Projekt im Kostenrahmen fertigzustellen und das zum anderen verschiedene im Verlauf des Bauprozesses zu Tage getretene Wünsche des Bauherrn an das Raumprogramm zu erfüllen, ohne den von Twoo Architekten geplanten Raumparcours aufzugeben. Sie verwarfen den Plan, einen neuen Haupteingang zu schaffen und die gesamte Galerie durch den Neubau zu erschließen. Stattdessen behielt der von Schönecker errichtete Eingangspavillon seine Funktion. Das ursprünglich als Foyer geplante Atrium im Anbau dient nun stattdessen als Ausstellungsraum, der durch seine Höhe von 14 Metern außergewöhnliche Möglichkeiten der Kunstpräsentation bietet. Acht weitere Säle auf vier Ebenen flankieren ihn. 

Die Neuplanung der Fassade ist fraglos der wirkungsvollste Eingriff von Kuehn Malvezzi und Michael Riedel in die Ursprungsplanung. Anders als Twoo Architekten, die den Pavillion mit einer Vorhangfassade aus Glas versehen wollten, einer Lösung im Geiste der Moderne, differenziert die Neufassung zwischen den eigentlichen Außenwänden, die im Grau des Nagelfluhs verputzt sind, und einer "facciata", einer künstlerisch gestalteten Schaufassade aus Werkstein, die dem Neubau in Teilen vorgelegt wird. Architekten und Künstler führen diese Werksteinfläche aber auch über mehrere anstoßende Außenräume fort. So wird aus einem zweidimensionalen ein dreidimensionales Bauelement, das auch stadträumlich wirkt und das Gebäude über die Freiflächen in das Stadtgefüge einbindet. Die horizontalen und vertikalen Werksteinflächen sind mit einer von Michael Riedel gestalteten Bedruckung versehen, einem typografischen Kunstwerk, für das Riedel die Transkription einer Debatte im Saarländischen Landtag vom 22. April 2015 als Ausgangstext verwendete – in der der Beschluss über den nun vollendeten Anbau getroffen wurde. Das Kunstwerk wird so zu einem Medium, das ähnliche Inhalte vermittelt, wie die klassische Schaufassade: Es informiert über Bauherrn, Künstler, Funktion und Bauzeit.