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Ekrem Yalcindag: „Impressions from the Streets", 2013.

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Aktive Muster

von Thomas Wagner | 11.10.2016

Wer den farbmächtigen konzentrischen Tondi von Ekrem Yalcindag gegenübertritt, braucht einen stabilen Kreislauf. Schaut man nur etwas zulange auf die großformatigen kreisrunden Leinwände, wird der Blick unwiderstehlich in die Tiefe gezogen, die verschiedenfarbigen, pastos aufgetragenen Kreise beginnen vor den Augen zu pulsieren, bis man glaubt, sogleich Gleichgewicht und Bewusstsein zu verlieren. Auch die auf den ersten Blick ruhiger wirkenden floral inspirierten Muster irritieren den Blick und verstricken den Betrachter mittels ihrer ornamentalen All-Over-Struktur in ein nicht endendes Spiel aus Wiederholung und Variation. „Ekrem Yalcindag“, schreibt Heinz Peter Schwerfel in dem Katalogbuch, „ist ein konzeptueller Künstler, der mit allen unseren Sehgewohnheiten bricht, indem er unsere Netzhaut malerisch aufschreckt.“ Wohl wahr.

Was zuweilen wie ein Fußbodenmosaik wirken mag, das sich an die Wand und ins Bild verirrt hat, löst jede Art flächenhafter Konsistenz auf und setzt an deren Stelle die Permanenz einer Wahrnehmung, die im Farbwechsel von Positiv und Negativ, Fläche und Illusion an kein Ende zu kommen vermag. Dass Yalcindags ornamentale Abstraktion auch musikalisch geprägt ist, offenbart sein Gemälde – oder, wenn man so will, seine Collage – „Birth oft he Cool“ von 2011. Für das Großformat hat er Singles und Langspielplatten auf Holz montiert, um sie als Farbträger einzusetzen. Die kreisrunden Vinylplatten unterschiedlichen Durchmessers fungieren plötzlich wie Schablonen, die, je nach Größe, mit zwei bis drei Ringen in unterschiedlichen Farben bemalt sind. Allein das Plattenlabel bleibt frei und unbemalt, wodurch der Fundort der verwendeten Farben sowie Informationen zur Musik und der Zeit ihres Entstehens erhalten geblieben sind.  

Auch wenn Yalcingdag Gegenstände des Alltags inzwischen nicht mehr unmittelbar in seine Arbeiten integriert, einen Bezug zu einer alltäglichen Musik der Farben gibt es nach wie vor. So geht die Wahl seiner Farbtöne oft darauf zurück, dass er in seiner Umgebung für ihn interessante Farbkombinationen wahrnimmt. Er fotografiert sie oder macht sich Notizen, um sie später in seinen Gemälden aufgreifen zu können. Motiv und Bildstruktur zu entwickeln und die Farbe pastos mit einem Pinsel der Stärke „null“ aufzutragen, bedingt überdies einen enormen Aufwand an Zeit, die in der wie ein Relief geformten Oberfläche der Gemälde wie in einem materiellen Gedächtnis gespeichert scheint.

Buch:
Beate Kemfert (Hg.)
Ekrem Yalcindag
About Color, Nature, Ornaments, and Other Things

Texte deutsch, englisch, von Burcu Dogramaci, Heinz Peter Schwerfel, Martin Schulz u, Brigitte Sahler
103 S., 83 Abb., geb.
Verlag Hatje Cantz, Berlin 2016.
ISBN 978-3-7757-4152-1
35,00 Euro

Ausstellung:
Ekrem Yalcindag
About Color, Nature, Ornaments, and Other Things

Kunst- und Kulturstiftung
Opelvillen Rüsselsheim
Ludwig-Dörfler-Allee 9
65428 Rüsselsheim
bis 6. November 2016

Ekrem Yalcindag, „Schloss Balmoral – 390 Farben", 2015.
Ekrem Yalcindag, „Der Baum", 2016.
Ekrem Yalcindag, „Colored Blacks", 2016.
Ekrem Yalcindag, „Red – Yellow – Blue ", 2016.
Ekrem Yalcindag, „Magenta – Orange", 2015.
Ekrem Yalcindag fotografiert von Erbil Balta.