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Leucht-Schirme: Die gewickelten Elemente des "Elytra Filament Pavillon" im Hof des Londoner Victoria & Albert Museums

Stylepark Techtextil
Von Fasern und Netzen

Vier Gebäude aus aller Welt zeigen die verblüffenden Möglichkeiten, die Hightech-Fasern in der Architektur bieten.
von Ralf Wollheim | 09.04.2017

Vier erstaunlich leichte Konstruktionen zeigen, wie auf dem neuesten Stand der Technik mit High Tech Textilien gebaut werden kann. Schon bald könnten diese Prototypen die Architektur verändern. Ungeahnte Formen und vor allem extrem leichte Konstruktionen erweitern das Spektrum der Architektur. Aber bei aller Eleganz der Entwürfe zeigen sie auch neue Wege zu Energie- und Materialeffizienz. Entstanden sind die teilweise gewickelten oder geflochtenen Konstruktionen aus High Tech Fasern fast immer in der Kooperation verschiedener Disziplinen und mit Hilfe digitaler Berechnungen und Programmierungen – auch wenn sie am Ende ganz einfach ausschauen.

Bodenhaftung: Mit einer Abspannung aus Carbon machte Kengo Kuma einen Bürobau in Japan erdbebensicher.

Erdbebensicher mit Carbon

Den Verwaltungsbau eines japanischen Textilherstellers machte Kengo Kuma erdbebensicher – mit verflochtenen Carbonfasern. Abgespannte Verstrebungen umhüllen das ehemalige Bürogebäude, das heute als Showroom der Firma dient. Von weitem wirken sie wie Seile, die einen wehenden weißen Vorhang, bilden, doch der poetische Eindruck täuscht. Die Verstrebungen aus Kohlenstofffasern mit einem Überzug aus thermoplastischen Harz ersetzen aufwändigere Bewehrungen um das Gebäude vor seismischen Erschütterungen zu schützen. Im Inneren sorgen diagonal gespannte Verstrebungen für eine nachträgliche Stabilisierung von tragenden Wänden - um ein vielfaches leichter als Stahl oder Beton.

Hightech-Waben: Die schirmartigen Elemente der Konstruktion des Elytra Filament Pavillon wurden von einem Roboter vor Ort geflochten.

Die gewickelte Konstruktion

Der rätselhafte Name Elytra Filament Pavillon erschließt sich wohl nur Biologen. Die Elytren – verhärtete und verdickte Vorderflügel vieler Käfer –dienten als Vorbild für die Materialien des Pavillons. Er fand als temporäre Installation in einem Innenhof des Londoner Victoria and Albert Museums Aufstellung und bot dort den Besuchern eines Cafes Schutz vor Wind und Wetter. Die 200 Quadratmeter große Struktur wurde vor Ort von einem Roboter produziert, der harzgetränkte Glas- und Carbonfaserrohlinge um sechseckige Gerüste wickelte. Diese Faserstränge formten stabile gewölbte Flächen, die so leicht sind, dass alle Waben des Pavillons zusammen gerade einmal 2,5 Tonnen wiegen. Platten aus Polycarbonat bilden das transparente Dach des außergewöhnlichen Pavillons. Das Projekt, das Bionik und Robotik verbindet, entstand an der Universität Stuttgart und ist zurzeit in Weil am Rhein zu sehen.

Höhle aus Licht: Der Lumen-Pavillon von Jenny Sabin Studio für das New Yorker PS1als Rendering

Gestricktes Licht

Erst im Sommer 2017 wird der Lumen Pavillon im New Yorker PS1, einer Außenstelle des MoMA, eröffnet, aber die Visualisierungen sind jetzt schon faszinierend. Als Gewinner des Young Architects Programm wird Jenny Sabin Studio den Innenhof mit gestrickten Netzen, Waben und Säulen in ein leuchtendes Labyrinth verwandeln. Die textile Hightech-Tropfsteinhöhle wird sogar auf die Besucher reagieren können. Die gewählten Materialien sind photolumineszent und reagieren auf Körpernähe. Zusätzlich sorgen erfrischende Nebel in dem architektonischen Organismus für eine angenehme Abkühlung. Sabin Studio betont, dass für das PS1 nichts handgestrickt wird, schließlich forschen sie seit langem im Bereich der adaptiven Materialien und digitaler Fabrikation und lassen so außergewöhnliche Architekturen entstehen.

Stoffdecke: Den Experimantal-Pavillon der RWTH Aachen überspannt eine Dachkonstruktion aus Textilbeton.

Pavillon aus Textilbeton

Ein Schalentragwerk der besonderen Art konstruierte ein Sonderforschungsbereich der RWTH Aachen. Verschiedene Institute forschten gemeinsam und realisierten den Pavillon, der aus vier miteinander verbunden schirmartigen Teilen besteht. Auf je einer Stütze ruhen sieben mal sieben Meter große Betonschalen, die zweifach gekrümmt sind. So wirkt der Pavillon leicht und elegant, verbirgt aber seine eigentlichen Qualitäten. Denn die Betonschalen wurden mit Hilfe von Carbonfasern extrem dünn ausgeführt: Sie sind nur sechs Zentimeter stark und bestehen aus zwölf Lagen Carbontextil sowie Feinbeton, der mit kurzen Glasfasern versetzt wurde. Die Schirmkonstruktion aus Textilbeton war ursprünglich nur als Prototyp gedacht, erhielt nachträglich Glaswände und ist heute ein inspirierender Lernraum für angehende Ingenieure in Aachen.