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Lilli Hollein, Generaldirektorin und wissenschaftliche Geschäftsführerin, MAK, 2021

Prozesse hinterfragen

Lilli Hollein ist die neue Generaldirektorin des MAK – Museum für angewandte Kunst in Wien. Im Interview sagt sie uns, was ihre Pläne für das renommierte Kunstgewerbemuseum sind und wie sie auf 15 Jahre Vienna Design Week zurückblickt.
08.10.2021

Anna Moldenhauer: Lilli, du warst in deinem Leben bereits Projektmanagerin, Koordinatorin, Kuratorin, Journalistin und Autorin. Du hast Industriedesign studiert, kurz auch Psychologie und verfügst über sehr viel Vermittlungserfahrung und Praxisbezug. Wie verbinden sich diese Wege für deine neue Position als Generaldirektorin des MAK – Museum für angewandte Kunst in Wien?

Lilli Hollein: Mir ist relativ schnell klar geworden, dass ich die Rolle der Vermittlerin einnehmen möchte, statt die der Entwerfenden. Aus den unterschiedlichen Wegen der Artikulation von Design ist auch das Bedürfnis entstanden, Brücken zu bauen und ein breites Publikum zu erreichen. Das ist mir auch angesichts der bedeutenden Sammlung des MAK ein Anliegen. Ich denke das dieses Museum besondere Chancen hierfür bietet, da es interdisziplinär aufgestellt ist und sich über die letzten Jahrzehnte stetig weiterentwickelt hat.

Was brauchen Museen heute, um ein diverses Publikum anzusprechen?

Lilli Hollein: Sie brauchen die Fähigkeit zu kommunizieren – und zwar in einer Art in Weise, die sich unterschiedlichster Instrumente bedient. Es ist klarerweise nicht damit getan, die Einladungen zu den Ausstellungen zu plakatieren. Für Reichweite braucht es mehr. Viele kleine Vermittlungsformate zum Beispiel, die das Engagement des Museums aufzeigen, sofern möglich auch zu politischen und gesellschaftlichen Themen.

Während der Vorbereitung zu diesem Interview habe ich gelesen, dass klare Positionierung und mehr internationale Sichtbarkeit Ziele sind, die seitens des Publikums vom MAK gewünscht werden. Siehst du da Handlungsbedarf?

Lilli Hollein: Ich glaube schon, dass das zwei relevante Punkte sind. Das MAK hat sich in den vergangenen Jahren sehr engagiert, um drängende Fragen zu klären – auch die der Kreativwirtschaft. Wie bei Positionen zur Nachhaltigkeit, finde ich es hier wichtig, klar Stellung zu beziehen. Wofür das Museum für angewandte Kunst generell steht, da lassen sich sicher noch Bilder verdichten und das sehe ich als Aufgabe. Ebenso hat die internationale Anbindung mit Blick auf die letzten eineinhalb Jahre noch einmal eine andere Bedeutung bekommen. Die Haltung zu Kooperationen verändert sich gerade an vielen Stellen positiv. Auf die Vernetzung freue ich mich sehr, wie auch auf den Austausch mit neuen Designmuseen, die andere Herangehensweisen haben. Wir bauen im MAK auf einer gewachsenen Struktur auf, was eine große Chance ist. Gleichzeitig ist es auch ein Zeitabschnitt, in dem man diese Institution stark analysieren sollte, um zu sehen, ob die Art und Weise wie wir die Welt abbilden noch die Richtige ist.

Die Reflektion ist für eine Weiterentwicklung essenziell, da stimme ich dir zu. Gibt es denn einen Punkt in der Vermittlung von Design, auf den deiner Meinung nach mehr Aufmerksamkeit gelegt werden sollte?

Lilli Hollein: Im zeitgenössischen Design gibt es einige Aspekte, die wir transportieren müssen. Das reicht von der gesellschaftlichen Rolle im Design über die Definition von Social Design bis zur Frage, warum wir Designschaffende brauchen, um Prozesse zu entwerfen. Es gibt auch viele Bereiche der globalen Entwicklung, in denen Design eine unglaublich wichtige Rolle spielt. Zudem müssen wir uns fragen, wie digitale Werke als neue Sammlungsinhalte abgebildet werden können – und was diese auszeichnen sollte, damit wir sie sammeln und ausstellen möchten. Da kommen viele Fragen und Themen auf uns zu. Es ist bedeutend die Sammlung immer wieder neu zu lesen, weil man so einen anderen Blick gewinnt. Das werde ich ganz explizit machen. Dazu gehört für mich auch eine Neubewertung der Biografien von Gestalterinnen. Die Ausstellung zu den Frauen der Wiener Werkstätte ist sicher ein erster Schritt in diese Richtung, aber da gibt es noch sehr viel mehr aufzuarbeiten. Ray Eames wird beispielsweise überwiegend auf ihre Rolle als Frau von Charles Eames reduziert, das ist eine schwierige Leseart. Eine gleichwertige Bewertung der Leistung findet hier nicht statt. Und das ist bei vielen kreativen Frau-Mann-Teams der Fall, vor allem wenn diese parallel auch eine private Gemeinschaft sind oder waren.

Ist es für dich von Bedeutung, dass du die erste Frau bist, die das MAK leitet?

Lilli Hollein: Ich finde es nicht ausschlaggebend, dass gerade ich es bin, die diese Position inne hat – aber ich bin eine Unterstützerin der Quote, um dadurch neue Prozesse zu forcieren. Ich bin der Meinung, dass sich nur so ein ausgewogener Zustand herstellen lässt. Es geht darum den Bewusstseinprozess einmal vehement zu führen, so dass er anschließend in eine lockere Selbstverständlichkeit übergehen kann und eine Weltanschauung anregt, die umfassender ist. Da müssen wir jetzt durch, auch wenn es mitunter zu Reibungen führt, wie man an der zum Teil sehr leidenschaftlich geführten Debatte über das Gendern in der Sprache sehen kann. Insofern finde ich es wichtig, dass nun eine Frau das MAK - Museum für angewandte Kunst leitet.

Du hast 2007 mit Tulga Beyerle und Thomas Geisler aus der Neigungsgruppe Design die Vienna Design Week gegründet. Was wolltet ihr der Gesellschaft damals vermitteln?

Lilli Hollein: Gerade in Österreich ist "Design" kein wahnsinnig positiv gesetzter Begriff. Selbst umfassend gebildete Menschen haben oft ein nur sehr oberflächliches Wissen über Design, was es leisten und wo es ansetzen soll. Es gibt auch viele Unternehmen, die Design schlichtweg für Oberflächenoptimierung halten. Das fanden wir bei der Gründung der Vienna Design Week schon erschreckend und das geht mir auch heute noch so. Wir wollten den Diskurs stärken um den Begriff "Design" zu schärfen, ihn positiver zu besetzen und um die internationale Sichtbarkeit der österreichischen Designszene herauszustellen. Das Angebot einer Plattform für Design hat zumindest erreicht, dass Kreative, denen eine Plattform zum Austausch und zur Präsentation gefehlt hatte, enttäuscht von Österreich abgewandt hatten, im Zuge der Gründung der Vienna Design Week den Weg zurückgefunden haben.

Mit der Vienna Design Week kam internationales Design nach Österreich und gleichzeitig hat das Festival DesignerInnen und KunsthandwerkerInnen in Wien sichtbarer werden lassen. Was war die größte Herausforderung in der Vermittlung während dieser Zeit?

Lilli Hollein: Der negative besetzte Designbegriff war immer wieder eine harte Nuss, die wir knacken mussten, gerade beim Passionswege-Konzept (das sich mit Handwerk befasst). Gleichzeitig sind an ganz überraschenden Stellen die Türen auch weit aufgegangen. Der Designbegriff ist sehr offen ausgelegt, das macht es nicht immer einfach die Message herauszudestillieren. Auch wenn die Vienna Design Week bisher viel geschafft hat, bleibt noch genug zu tun.

Was sollte Design aktuell für unsere Gesellschaft bieten?

Lilli Hollein: Ich glaube das Design sich in den Dienst der Gesellschaft stellen und Lösungen auf aktuelle Fragestellungen anbieten sollte. An manchen Punkten braucht es auch stärkere Allianzen mit der Wirtschaft, um nicht nur Lösungen anzubieten, sondern diese auch anzuwenden. Damit meine ich zum Beispiel das große Thema Klimawandel, das hier im MAK schon von meinem Vorgänger sehr stark thematisiert wurde. Da gibt es noch immer zu viele Entschuldigungen. Design ist für mich immer relevant als kulturelle Äußerung. Aber gleichzeitig ist Design auch sehr politisch.

Gibt es etwas, dass dir im aktuellen Design-Diskurs fehlt, auch mit Blick auf deine neue Aufgabe? Sei es Kritik, Mut oder ein Thema, das zu wenig beachtet wird und das du gerne anregen würdest?

Lilli Hollein: Ich würde gar nicht so sehr nach Fehlstellen suchen, sondern eher auf Analyse und Reflektion setzen. Wir schauen auf die Sammlung mit dem Blick von Heute. Sich diesem Prozess des Hinterfragens zu stellen, halte ich für wesentlich. Ich freue mich sehr darauf mit dem Team zu prüfen, wo wir stehen und wie wir eine Museumspraxis vermitteln können, die eine neue Selbstverständlichkeit gewährt. Museen und Kulturinstitute sollten dabei als Bindeglied mit einer Avantgarde mitdenkend hinter den KünstlerInnen stehen.

Deine Familie steht den Themen Kunst, Design, Architektur und Kultur sehr nahe und hat diese stark mitgeprägt – von deinem Vater, dem Architekten Hans Hollein, über deinen Bruder Max Hollein, der auch Museumsdirektor ist, bis zu deiner Mutter, die Modezeichnerin war. Seinen eigenen Weg zu finden, muss man aber dennoch alleine – gab es eine Überzeugung, die dich geleitet hat?

Lilli Hollein: Das, was mich antreibt war und ist die Vermittlung – ein Verständnis für Kunst und Kultur wecken zu wollen. Ich habe schon zu Schulzeiten erlebt, wieviel Unverständnis und sogar Verachtung Kunst- und Kulturschaffenden entgegengebracht wurde und dass die Vermittlung hier eine Mission ist. Eine kleine Anekdote: Ein bisheriger Botschafter in Wien ist vor kurzem in den Ruhestand gegangen. Wir waren zusammen bei einem Empfang in einem Museum und er hat sich dort den Gästen als Schriftsteller vorgestellt. Daraufhin ist er überwiegend ignoriert worden. Hätte er gesagt, dass er bis vor ein paar Tagen noch das Amt des britischen Botschafters inne hatte, wäre die Reaktion sicher anders ausgefallen. Allein daran lässt sich gut ablesen, wie wichtig es ist, der Gesellschaft die Bedeutung von Kulturschaffenden zu vermitteln. Wir sind eine Kulturnation und gleichzeitig gibt es eine große Arroganz oder sogar Geringschätzung gegenüber den Kreativen. Das muss ein Museum wie das MAK verändern wollen.

MAK – Museum of Applied Arts, Vienna