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Details des Konferenz- und Messezentrums "Hall of Nations" in Neu Delhi, 1972

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Gut berechnet

von Anna Moldenhauer | 11.10.2016

„Ingenieurwissenschaften ist Teamwork. Eine einzelne Person kann kaum der alleinige Autor einer Struktur sein“, so Raj Mahendra. Vielleicht ist das einer der Gründe, warum bei herausragenden Bauprojekten oft nur der Architekt im Vordergrund steht und der Anteil des Konstrukteurs eher hinter der Bühne gelobt wird. Die experimentellen Entwürfe des indischen Bauingenieurs Raj Mahendra hingegen haben es geschafft, das Scheinwerferlicht auf die Ingenieurbaukunst zu lenken.

Kalkulation für das NCDC Office in Neu Delhi, 1980

Einer der Einflüsse, die Mahendra Raj zu Beginn seiner Laufbahn geleitet haben, waren die Konstruktionen von Le Corbusier, für den er Mitte der 1950er Jahre zwei Regierungsgebäude im indischen Chandigarh realisiert hat. Kürzlich sind diese Bauten als Weltkulturerbe gelistet worden. Nach dem Studium in den Vereinigten Staaten kehrte Raj in seine Heimat Indien zurück, wo er die aufstrebende Architektur nach der Erlangung der Unabhängigkeit im Jahr 1947 wesentlich mitprägte. Angesichts des damals herrschenden Mangels an Material und moderner Technik waren seine Entwürfe für komplexe Tragwerke damals stets experimentell und ökonomisch angelegt. In Anbetracht der für den Subkontinent völlig neuen Bauweisen waren seine Ideen geradezu tollkühn und spiegeln somit auch die Aufbruchsstimmung wider, die nach der Befreiung vom Britischen Empire das Land durchzog. „Das Ingenieurwesen ist keine exakte Wissenschaft. Als Ingenieur versucht man die Struktur zu idealisieren, ihr Verhalten zu verstehen und dann selbst dazu Annahmen zu entwickeln. Man kann nie sicher sein, dass die Eigenschaften den Einschätzungen folgen werden“, erklärt Raj.

Seine Gebäude wirken dank ihres feingliedrigen Aufbaus zeitlos elegant und offenbaren die Suche nach einer strukturellen Logik und deren Essenz in der Architektur. Computergestützte Berechnungen standen ihm während seiner Laufbahn erst spät zur Verfügung. Er schreibt diesen aber auch heute keine große Bedeutung zu: „Computer sind bei der konzeptionellen Phase nicht hilfreich. Wir müssen erst die Grundlagen schaffen, bevor die endgültigen Analysen beginnen können“. Für die meisten großen Projekte hat Raj daher mehr als hundert Zeichnungen angefertigt. Da auch Papier als knapp war, wurde jeder Quadratzentimeter von ihm für die detaillierten Berechnungen genutzt.

Berechnungen zu den asymetrischen Bögen des Jaisalmer Flughafens in Rajasthan, 2013

Der Band „The Structure“ zeigt seine einfallsreichen Tragwerke in Sichtbetonweise – beispielsweise für die „Hall of Nations and Industries“ in Neu Delhi oder die „Central Gallery of Modern Art“ in Mumbai anhand von 28 Beispielen ab den 1960er Jahren bis in die Gegenwart. Da Rajs Entwürfe mittels seiner handgefertigten Skizzen, zahlreichen Fotografien und erklärenden Texten en detail ausgebreitet werden, entsteht ein präziser Überblick über die Arbeit des Ingenieurs. Zu den Autoren gehören neben seinem Sohn Rohit Raj Mehndiratta und dessen Frau Vandini Mehta die schweizerische Fotografin Ariel Huber. Kollegen wie der Architekt Neelkanth Chhaya beschreiben die Zusammenarbeit mit Raj in Essays und Mahendra Raj selbst zeichnet seinen Werdegang nach. Der 91 Jahre alte Ingenieur leitet weiterhin sein Büro in Neu-Delhi.

Vandini Mehta, Rohit Raj Mehndiratta, Ariel Huber (Hg.)
The Structure

428 S., geb., Text englisch Park Books, Zürich 2016
ISBN 303 8 600 253
68,00 Euro

Detail des Jaisalmer Flughafen, 2013