top
Wir befinden uns nicht mehr in der Welt Leonardos. Heutzutage braucht man Spezialisten!
22.12.2008
Antonio Citterio

Während der Orgatec in Köln sprachen Claudia Beckmann und Thomas Wagner mit Antonio Citterio über das Büro der Zukunft, die Relevanz der Recherche im Entwurfsprozess und die sozialen Aufgaben des Designs.

Ist Vitras "Net ‘n' Nest" Office Konzept eine Art universelle Idee unserer Zeit? Und sehen Sie sich als Designer dazu befähigt, diese Idee zu interpretieren?
Antonio Citterio: Der Designer - ein Interpret? Es ist extrem schwierig, diese Funktion zu definieren. Wer ist der Designer, und wer der Erfinder? Die Zusammenarbeit mit Vitra bedeutet ja vor allem Teamarbeit, und das Gestalten ist Teil des Arbeitsvorgangs. Wenn man sich permanent austauscht, entwickelt man innerhalb der Gruppe eine Tendenz. Danach geht jeder Designer die nächsten Schritte für sich - und kommt dabei zu verschiedenen Lösungen.
Die Frage ist, was passiert in der Welt der Büromöbel? Die Bürogestaltung betrifft den ganzen Raum, die Innenausstattung nur Schränke, Stühle und Tische. Manchmal würde der Raum schon von einem Architekten interpretiert und wir konzentrieren uns darauf, Einrichtungsvorschläge zu unterbreiten. Wenn ich zum Beispiel als Architekt für einen Kunden ein Bürogebäude entwerfe, dann möchte ich auch den Raum selbst gestalten. Ich möchte nichts von anderen übernehme. Wenn ich aber der Designer bin, versuche ich zusammenhängende Sätze zu formulieren und nicht nur isolierte Worte auszusprechen.

Welche Art Sätze...
Letztlich ist jeder Satz anders - weil jeder so agiert wie er oder sie möchte. So funktioniert es auch mit der Evolution. Wenn man etwas Jahr für Jahr verfolgt, sieht man keine Entwicklung. Doch nach zehn Jahren erkennt man rückblickend, was sich alles verändert hat.
Als ich beispielsweise mit der Arbeit an dem „Ad Hoc" Officesystem für Vitra begonnen habe, besichtigte ich weltweit, von Amerika bis Europa, etwa in London, Chicago und Frankfurt, verschiedene Büros. Ich wollte verstehen, was in der realen Welt vor sich geht. Ich recherchierte ein ganzes Jahre lang und begann dann, Entwürfe für „Ad Hoc" zu zeichnen. Zwischenzeitlich wurde die Idee der „Big Benches" mehr und mehr zu etwas Selbstverständlichem. Kurz zuvor war es noch ein Traum einiger Architekten gewesen - und heute sind solche „Benches" auf dem Markt überall verfügbar. Manchmal ist die Rolle des Designers genau dieselbe: Man verfolgt eine Typologie und am Ende, wird das Produkt tatsächlich auf dem Markt angeboten.

Während der Achtziger- und Neunzigerjahre wurde rege über neue Wege der Bürogestaltung diskutiert. Was wird sich, Ihrer Meinung nach, daraus entwickeln?
Citterio: Wenn ich heute Büros und Gebäude betrachte, wird mir klar, dass für jeden Flexibilität, Kostenreduktion und Energieeffizienz wichtig sind. Es ist notwendig, Zeitloses zu schaffen, um die Kosten eines Produktes zu kontrollieren. Ein klassisches Produkt muss eine zeitlose Struktur haben, schließlich geben Menschen eine Menge dafür Geld aus und wollen das Produkt viele Jahre behalten. Vor zehn Jahren hatte man dazu noch eine andere Einstellung: Danach sah man Bilder von Leuten bei der Arbeit, in einem Stuhl sitzend, ihre Füße auf den Schreibtisch gelegt. Das ist heute anders. Wenn man beobachtet, was im Zuge der Finanzkrise passiert, dann kann man feststellen, dass wieder ein Bewusstsein für den Wert der Dinge entsteht und die Notwendigkeit, Produkte für eine lange Zeit zu behalten.

Ist der neue „ACE" Tisch, den Sie für Vitra entworfen haben, so ein Produkt? Ein dauerhaftes Produkt?
Citterio: Dieser Tisch ist mehr als bloß ein Tisch. Er ist ein Bürokonzept, denn Arbeit entwickelt sich zunehmend in Richtung Teamarbeit. Der Tisch, an dem wir jetzt sitzen, hat kein Vorne oder Hinten. Man kann allein an ihm arbeiten und sich um ihn versammeln, um etwas zu besprechen. Somit wird Platz gespart. Ich denke, das ist Ausschlag gebend und fester Bestandteil dieses Trends: Hier sitzen Führungskräfte und zugleich es ist ein Besprechungszimmer. Das ist die Zukunft.

Also ist Ihr Tisch ein Beitrag zu dem was man in der Soziologie „post-heroisches Management" nennt?
Citterio: Sie haben in gewisser Hinsicht Recht. Mit dieser Herausforderung umzugehen, war nicht ganz einfach. Die erste Frage, die sich stellt, sobald man ein Büro mit einem solchen Tisch und möglicherweise verschiedenartigen Stühle betritt, wäre: Wo ist der Chef?

Also ein Ausdruck demokratischer Gesinnung im Büro?
Citterio: Das genau ist der Hintergedanke. Wenn Sie nach einer grundsätzlichen Entwicklungsrichtung fragen: hier ist sie!

Ist es schwierig, Vertretern verschiedener Branchen davon zu überzeugen, in solch einer offenen, demokratischen Umgebung zu arbeiten? Oder, anders gefragt: Ist Ihr Design und Ihre Herangehensweise an Design ideal dafür, ganze Industriezweige von neuen Ideen der Zusammenarbeit zu überzeugen?
Citterio: Menschen arbeiten immer häufiger in Teams. Mir geht es um Design als Teil einer industriellen Kultur, und Design kann man nicht im Alleingang zuhause oder im Büro entwickeln. Man arbeitet mit Unternehmern, Herstellern - mit einer großen Gruppe von Spezialisten. Nicht allein das Feld des Designs, sondern unsere gesamte Kultur ist sehr viel komplexer geworden. Insofern ist es eine Herausforderung, all diese verschiedenen Aspekte miteinander zu vereinen. In meinem Büro arbeiten vierzig eigenständige Persönlichkeiten zusammen - der eine entwickelt neue Produkte und Materialien, der andere ist IT-Experte, man braucht jemanden, der sich auf internationales Recht und Verträge spezialisiert und eine Person für PR. Zehn Personen sind allein für den Servicebereich zuständig, dann haben wir vierzehn Architekten etc. Das liegt an der Vielschichtigkeit dieser Arbeit. Wenn man ein allumfassendes Wissen möchte, sollte man sich bewusst werden, dass wir nicht mehr in der Welt Leonardos leben. Heute braucht man Spezialisten!

Halten Sie es für realistisch, soziale Veränderung durch Design zu bewirken? Kann Design wirklich etwas verändern?
Citterio: Es kommt darauf an, welche Vorstellungen von Design man hat. Wenn man die Meinung vertritt, Design sei unnütz und drehe sich nur um Eleganz und Experiment, dann muss man sich darum keine Gedanken machen. Wenn man aber davon ausgeht, dass Design Teil einer industriellen Kultur ist, die sich einer empirischen Aufgabe stellt, dann lautet meine Antwort: Ja. Als Designer arbeiten wir für mehr Lebensqualität, für mehr Komfort, aber auch daran, Kosten zu reduzieren and ein besseres Leben zu ermöglichen. Als wir mit der Arbeit für Vitra begannen, entschieden wir uns dafür, Produkte herzustellen, die recycle- und demontierbar sind. Wenn das Leben des Produktes zu Ende ist, kann man es wieder verwerten. Bei all dem ist es überaus wichtig, den Unterschied zwischen Recherche und Design zu verstehen. Es geht eben nicht nur um Design, sondern auch um Recherche. Ich bin kein Arzt, aber ich bin daran interessiert Fehler zu vermeiden.

Design basiert aber auf fundiertem Wissen...
Citterio: Exakt. Design bedeutet Recherche. Wenn man die Recherche nicht hat, hat man gar nichts. Es tut mir leid, dies sagen zu müssen, aber es gibt viele sinnlose Designprodukte. Sie basieren nicht auf guter Recherche, sie versuchen krampfhaft anders zu sein und sind dabei nur unkomfortabel und teuer - einfach sinnlos.

Antonio Citterio
Ad Hoc by Antonio Citterio for Vitra
ACE by Antonio Citterio for Vitra
Ad Usum by Antonio Citterio for Vitra