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Keine Angst vor Yeti und Frutiger
22.02.2013

Die Geschichte klingt nett und ist schnell erzählt: Drei in Sachen Grafik und Typografie vorbelastete Professoren – Fons Hickmann, Henning Wagenbreth und Georg Barber – samt 45 Studierenden der Universität der Künste in Berlin und der Burg Giebichenstein in Halle kommen zusammen, um sich gemeinsam das Fürchten zu lehren. Fünf Tage und Nächte verbringen sie in einem Gutshaus mitten im Wald. Nicht um selbst zu spuken oder Gespenster zu jagen, sondern um nach tatsächlichen und frei erfundenen Ängsten zu fahnden und diese lexikalisch zu erfassen. Ganze 205 Ängste hat die mutige Truppe, die vermutlich viel Spaß bei ihrem skurrilen Unternehmen hatte, am Ende von A bis Z aufgelistet und – versehen mit eigenen Illustrationen – auf 84 Seiten in einem handlichen, keineswegs furchteinflößenden Bändchen zusammengefasst.

Jeder, man ahnt es, hat seine ganz speziellen Ängste. Die eine fürchtet sich – ein Klassiker – vor Spinnen; der andere vor Sigmund Freud oder Flughörnchen. Wobei die Arachnophobie, die Spinnenangst, in dem kleinen Lexikon nicht einmal vorkommt. Doch nicht allein der Mensch wird berücksichtigt, was unter anderem der „Iltis“, auch „Ratz“ oder „Stänker“ genannt, belegt, der seine Feinde erfolgreich durch ein penetrantes Geruchssekret abschreckt.

Die alphabetische Auflistung beginnt bei „Aktion“ (und der Angst des Phlegmatikers vor der Bewegung) und endet bei der „Zwitscherschrecke“, einem weiblichen Laub- oder Heuschreck mit imposanten Mundwerkzeugen, den jeder kennt. Dazwischen stößt, wer seine Ängste und die anderer erkunden möchte, auf Einträge wie das „Alter“ und das „Chaos“ ebenso wie auf „Cher“ oder – generationsbedingt – Britney Spears (samt skurriler Begründung). Dass Typografie affine Studenten sich vor „Frutiger“ und „Deutschen Normen“ fürchten, leuchtet ein, die Sache mit dem „Flughörnchen“ hingegen bleibt rätselhaft – zumindest im deutschen Wald. „Gruppensex“, nun ja, das muss jeder individuell entscheiden, wogegen die Angst vor dem „Hai“ eher kollektiv genannt werden dürfte.

Ob Nerds mit und ohne Brille schon etwas von „Isolophobie“ gehört haben, lassen wir dahingestellt sein. Ob aber die „Montag-Morgen-Verzweiflung“ tatsächlich eine Angst oder, wie das Wortungetüm schon sagt, eine verzweifelte Reaktion auf ein ganzes Bündel diffuser Ängste darstellt, darf getrost in Frage gestellt werden. Wobei es sich, wenn man es genau nimmt, bei allen gesammelten und ausgedachten Angstmachern, seien es Menschen, Tiere, Sachverhalte oder Fabelwesen, stets um etwas mehr oder weniger Konkretes handelt, vor dem man sich fürchtet. Ist das schon Angst? Bestens umgangssprachlich. Aber das berührt eher eine philosophische Frage. Wie wir alle das, womit wir nicht zurechtkommen oder was uns unheimlich vorkommt, überhaupt recht schnell zum großen, diffusen Gefühl der Angst aufblasen.

Sei’s drum. Mein Lieblingseintrag findet sich unter „Omnibusismus“, was nichts mit zu vielen „Bussis“ oder „Busserln“ zu tun hat, sondern angeblich damit, im Bus die richtige Haltestelle zum Aussteigen zu verpassen und bis in alle Ewigkeit weiterfahren zu müssen. Was der Schriftsteller Samuel Beckett, der, so die Legende, einst in alkoholisiertem Zustand nicht mehr aus der Drehtür eines Hotels herausgefunden hat, wohl empfunden haben mag?

Sie merken, je mehr Einträge man liest, desto mehr fällt einem ein, vor dem man sich fürchten könnte. Ein wichtiger Eintrag wurde allerdings vergessen: Xenophobie, die Angst vor dem Fremden. Und überhaupt, eigentlich kann man dem unterhaltsamen Bändchen und den Typofreaks, die zu jedem Eintrag eine Zeichnung angefertigt haben, nur eines vorhalten: Die Schrift ist zum Fürchten klein geraten. Wie heißt diese Angst noch gleich?

Taschenlexikon der Angst
Fons Hickmann, Henning Wagenbreth, Georg Barber (Hrsg.)
Gestaltung: Carla Streckwall und Ulrike Zöllner
84 S. mit 206 Illustr. realer und imaginierter Angstgegner in Schwarz und Leuchtorange
Format 10,7 x 15 cm
Flexcover
ISBN 978-3-87439-842-8
15,00 Euro

Alle Fotos © Tatjana Prenzel, Stylepark