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Space Invaders oder Rebellion mit Lego und Stricknadel
von Silke Gehrmann-Becker | 23.08.2011

Rausgehen. Aneignen. Auffallen. Die Zeit scheint reif für ein Füllhorn urbaner Interventionen, die den Blick des Betrachters für den öffentlichen Raum schärfen sollen, oder die sich einfach nur selbst genügen. Ist Ihnen in der vergangenen Woche ein „Space Invader" begegnet? Vielleicht hat eines der gepixelten Aliens, die 1978 als Computerspiel von Tomohiro Nishikado gestaltet wurden, einen Blick von einer Hauswand auf Sie geworfen und durch seine Größe den Score des Ortes bestimmt, der zwischen zehn und fünfzig liegt. Seit elf Jahren tourt unter dem Pseudonym „Invader" ein Künstler von Paris aus durch Städte dieser Welt und bringt sein Erkennungszeichen als Fliesenmosaik überall dort an, wo sich seiner Ansicht nach ein „space invading" lohnt. Allerdings gilt: Vorsicht vor dem Fake – es sind bereits fleißige Nachahmer unterwegs! Wer sicher gehen will, dem „wahren" Invader auf der Spur zu sein, sollte eine der zahlreichen Karten begutachten, auf denen seinen Interventionen verzeichnet sind oder die Route auf seiner Website verfolgen.

Anders der deutsche Bildhauer und Künstler Jan Vormann, der vorbeikommende Passanten schon mal zum Mitmachen einlädt: Sein Material sind Legosteine, die passgenau an poröse Fassaden oder in alte Einschusslöcher gebaut werden. So hat er mit seinem Projekt „dispatchwork" bereits in 22 Städten, darunter Lausanne, New York, Amsterdam, St. Petersburg und Berlin, Hauswände repariert und bunte Akzente gesetzt. Das Geheimnis des flinken Fassaden-Flickers? Er war schon als Kind von Lego begeistert und die Steine sind ihrer Form nach sortiert, so dass Vormann weiß, in welcher seiner Taschen sich der nächste passende Lückenfüller befindet.

Fast ist man geneigt, die Outdoor-Verweise auf Spielarten aus den siebziger und achtziger Jahren für Phänomene einer kreativ erzogenen Generation mit Sehnsucht nach Nostalgie oder Hunger nach Missionierung zu halten. Denn auch das Medium des nächsten Eingriffs in den öffentlichen Raum hatte seine Hochzeit im Jahrzehnt der Hippies und Selfmade-Twinsets: das Strickzeug. Grünes Hütchen, rotes Kleid (weiß gepunktet!), rosige Wangen und immer ein sanftes Lächeln auf dem Gesicht. Sie war das Maß unseres Ehrgeizes, das Barometer der Unermüdlichkeit und die Länge ihres Endproduktes bestimmte Lob und Schokoeinheiten: die Strickliesel. Wie viele Mütter suchten schon damals verzweifelt nach Verwendung für die bunten, meterlangen Würste, die sich durch stetes Heben der Wollschnur über die vier Kopf-Ösen aus dem Leib der Liesel herausschoben? Wie viele Kinder waren zunächst stolz auf ihre Leistung und kurz darauf tief enttäuscht, wenn ihre mühsam zustande gebrachte Handarbeit als banale Kordel zwischen zwei Fäustlingen endete?

Diese Schmach mag heute erhobenen Hauptes wettgemacht werden, könnten die Strickliesel-Schnüre doch Teil einer neuen Bewegung werden: Der des „urban knitting" als subversiver Form des Widerstandes und der Anheimelung von öffentlichem Raum hat, aus den Vereinigten Staaten kommend, auch in Europa zahlreiche Anhänger gefunden. Solche Strickkunst, für alle sichtbar, umwickelt Bäume, hält Betonpfeiler warm, macht aus Straßenschildern Maschenträger – und bringt Regenbogenfarben in graue Häuserschluchten. Auch bezeichnet als „Maschen-Graffiti" wird der Beginn der Bewegung Magda Sayeg zugeschrieben, die sich gemeinsam mit anderen Künstlern über unfertiges Strickzeug ärgerte und dann 2005 eine wärmende Hülle für den Türgriff der Boutique Raye in Houston strickte. Seitdem hat die Künstlerin nicht nur zahlreiche Streetart-Projekte ins Leben gerufen, sondern auch die Community „Knitta Please", angelehnt an den Gangsta Rap als verstohlenes Handeln aus dem Off, gegründet.

Die Intentionen der zumeist weiblichen Strick-Guerilla sind dabei sehr unterschiedlich. Manche möchten mit ihren Maschen-Überraschungen dem Betrachter ein Lächeln entlocken, ihn aufmerksam machen auf die Absurditäten des Alltags. Andere Gruppierungen, wie beispielsweise die Strickistinnen aus Wien, verfolgen mit ihrem Claim „Nein, abwarten hilft nicht. Also stricken wir. Ein, an und gegen." das Sichtbarmachen politischer Zusammenhänge, die Befreiung der weiblichen Handarbeit aus dem privaten in den öffentlichen Raum als textiles Statement, das Widerstand leistet gegen die „Zurschaustellung männlicher Potenz im öffentlichen Raum". Tradition wird hier zum Mittel der Rebellion und ist für viele Aktivistinnen Ausdruck der Umkodierung scheinbar gesetzter Zeichen, wobei sich die Frage nach der Selektion der gesendeten Information beim Betrachter nicht erst seit Marshall McLuhan und im Zeitalter von Social Media stellt. Wie viel spontane Rebellion steckt in den verschlungenen Mustern und wollenen Botschaften, wenn sie eher präzise vorbereitet und angepasst werden müssen? Vor allem welches Vandalismuspotenzial wird ihnen zugeschrieben? Juristisch sind die „urban knittings" der Gemeinschädlichen Sachbeschädigung zuzuschreiben. Dazu heißt es im §304 StGB: „Wer rechtswidrig Gegenstände der Verehrung einer im Staat bestehenden Religionsgesellschaft oder Sachen, die dem Gottesdienst gewidmet sind, oder Grabmäler, öffentliche Denkmäler, Naturdenkmäler, Gegenstände der Kunst, der Wissenschaft oder des Gewerbes, welche in öffentlichen Sammlungen aufbewahrt werden oder öffentlich aufgestellt sind, oder Gegenstände, welche zum öffentlichen Nutzen oder zur Verschönerung öffentlicher Wege, Plätze oder Anlagen dienen, beschädigt oder zerstört, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (...) Ebenso wird bestraft, wer unbefugt das Erscheinungsbild einer in Absatz 1 bezeichneten Sache oder eines dort bezeichneten Gegenstandes nicht nur unerheblich und nicht nur vorübergehend verändert. (...) Der Versuch ist strafbar."

Da in den seltensten Fällen Zerstörungen durch Maschenkunst erfolgt, bewegen sich die Aktivistinnen in einer Grauzone, zumal die Wolle mit der Zeit mürbe wird und reißt, oder bereits jemand „der Ordnung zuliebe" mit der Schere tätig war. Inzwischen ist übrigens auch Strickwerk im Guerilla-Marketing angekommen: Eine Agentur verzierte im März das Bismarck-Denkmal in Hamburg mit einem zwanzig Meter langen, roten Schal – für einen Grippemittelhersteller ...

Ein etwas martialischerer Begriff für plötzlich bestrickte Dinge im öffentlichen Raum ist das „Yarn Bombing", das zusätzlich einen globalen Aktionstag erhielt. In diesem Jahr wurde am 11. Juni zum fröhlichen Maschenaustausch eingeladen, wobei Facebook als Plattform und Ausgangspunkt, wie für so viele urbane Interventionen, rege genutzt wurde. Rund 220 Blüten schmückten, von zwei Künstlerinnen aufgereiht an grünen Strickstengeln, die Kölner Hohenzollernbrücke.

Und hier trifft man auf ein anderes Phänomen im städtischen Raum, das sich keiner explizit kulturellen Herkunft rühmen kann, außer seinen Vorbildern im ungarischen Pécs oder, in kleineren Schlössergruppen, in Paris. In der Domstadt hat es bereits seine eigene Tradition für Verliebte begründet und einen Karnevalshit der Band „Höhner" hervorgebracht: „Es ist ein neuer Brauch | er bringt uns beiden Glück | so ein Schloss kann jeder seh´n | und der Dom gibt Acht darauf | Züge kommen und geh´n | Ich schließe unser Schloss | am Brückengitter an | und es ist doch nicht allein | Gemeinsam werfen wir den Schlüssel | in den Rhein hinein". Bleibt abzuwarten, wie lange das Gitter tragfähig bleibt – ein Versuch der Deutschen Bahn, der beschlossenen Verzierung durch Entfernung Einhalt zu gebieten, scheiterte am Protest. Eine touristische Attraktion ist die Schlossmauer in jedem Fall, und es schleicht sich beim Betrachten beinahe ein Gemeinschaftsgefühl, eine Mitwisserschaft ein, wenn man Einblick in Namen und Daten Verliebter erhält. Urbane Intervention mit hoher emotionaler Beteiligung also.

Fest steht, dass Vandalismus als Ausdrucksform der Ablehnung oder vermeintlichen Aneignung im städtischen Raum keinesfalls verdrängt wurde. Doch wird die Aufmerksamkeit durch spielerische, „sanfte" Ummodellierungen wie die des urban knitting, der Space Invaders oder des dispatchwork wieder auf das gelenkt, was Menschen umgibt. Es lockt sie für einen Moment mit dem Bewusstsein, die eigene Handlung von innen, aus dem Privaten, jederzeit potenziell nach draußen, an die Öffentlichkeit bringen zu können, getreu dem Motto aus „World in Motion" von New Order: „Express yourself, create the space / You know you can win, don't give up the chase (...) / Now is the time, let everyone see / You never give up, that's how it should be / Don't get caught, make your own play / Express yourself, don't give it away".

www.space-invaders.com
www.dispatchwork.info
www.knittaplease.com
http://yarnbombing.com
www.whodunnknit.com
www.knitthecity.com

"knitted wonderland" von Knitta, Bäume des Blanton Museums, University of Texas, Foto: Shawn Thomas
Eingestrickter Bus von Knitta in Mexiko City, Foto: Cesar Ortega
Knit the City's Bear-lin Luftballoons in Berlin
Knit the City's Handmade Herd in London, London Bridge
Whodunnknit's Plarchie the Squid in London, Natural History Museum
Arbeit von Knitta, Foto: Mike Piscitelli
Liebesschlösser in Köln an der Hohenzollernbrücke, Foto: Matthieu Riegler, Wikimedia Commons
Madison Knitters' Guild über ihr Strickprojekt Madison Metro
Arbeit von Jan Vormann, Dispatchwork in Toulouse
Arbeit von Jan Vormann, Dispatchwork in Berlin
Arbeit von Jan Vormann, Dispatchwork in Toulouse
Arbeit von Jan Vormann, Dispatchwork in Quito
Liebesschlösser in Péc, Foto: vikkvakk
Knit the City's Telephone Cosy in London, Parliament Square
Liebesschlösser in Moskau, Foto: A.Savin
Umstrickte Bäume von Jafagirls in Ohio, Foto: Shrewdcat
Magda Sayeg über Yarn Bombing
Wie man eine riesige Decke strickt