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Städtebau als bunter Kessel
von Mathias Remmele | 29.10.2010

Einen merkwürdigen, reichlich unverständlichen Titel hat diese Ausstellung - „Realstadt. Wünsche als Wirklichkeit". Was soll denn das heißen und um was geht es? Es scheint fast, als hätten die Ausstellungsmacher aus unerfindlichen Gründen und um jeden Preis die Worte „Architektur" und „Städtebau" vermeiden wollen. Gleichwohl sind das die ganz realen Inhalte dieser vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung veranstalteten sowie von Martin Heller und Angelika Fitz konzipierten Schau.

„Realstadt" will Stadtentwicklung „als Projekt vieler Akteurinnen und Akteure" zeigen und dazu hat man einen erheblichen Aufwand betrieben. Rund 250 Architektur- und Stadtmodelle sowie weitere 65 mit Hilfe von Bildern und Texten präsentierte Projekte werden aufgeboten, um Stadtplanung und städtische Architektur in Deutschland zu dokumentieren. Einem bundesweiten Aufruf folgend, von Kommunen, professionellen Planungsbüros und Hochschulen aber auch von Bürgerinitiativen, Vereinen und Einzelpersonen eingereicht, fallen die Modelle in Konzeption, Maßstab, Materialität und ästhetischer Erscheinung denkbar verschieden aus. Obwohl ihre Auswahl nicht den Anspruch erhebt repräsentativ zu sein, in ihrer Gesamtheit ergeben sie so etwas wie ein Kaleidoskop der in diesem Land verbreiteten Vorstellungen und Visionen von Stadt. Und soviel scheint gewiss: Solch eine Fülle von Architektur- und Städtebaumodellen aus allen Winkeln der Republik, aus den Metropolen und aus den kleinen Dörfern wird man so schnell nicht wieder beisammen sehen.

Städtebauliche Großvorhaben wie etwa die Überseestadt Bremen, bei der es um die Zukunft des aufgelassenen Containerhafens geht, oder die Messestadt München Riem, wo um das ehemalige Flughafengelände ein komplett neuer Stadtteil entsteht, werden ebenso präsentiert wie vergleichsweise kleine Projekte, etwa die Lohfeldsiedlung in Karlsruhe, wo sich eine Bürgerinitiative erfolgreich gegen den geplanten Abriss der Häuser und für ihre Sanierung eingesetzt hatte. Auch „punktuellen Interventionen", sprich einzelnen Bauwerken wird Platz eingeräumt. Darunter finden sich reichlich bekannte Prestigeprojekte wie die Elbphilharmonie in Hamburg, aber auch überregional kaum beachtete Bauten, wie die vorbildlich gelungene Umnutzung des alten Bahnhofes zur Stadtbibliothek im brandenburgischen Luckenwalde.

Neben aktuellen Projekten sind da und dort auch historische Modelle zu sehen, der städtebauliche Masterplan für den Wolfsburger Stadtteil Detmerode aus den sechziger Jahren etwa oder das Planmodell Zentrumsbereich von Berlin, Hauptstadt der DDR, das den Stand der Dinge vor 1989 dokumentiert. Schließlich gibt es die eine oder andere Kuriosität. „Honey Neustadt" beispielsweise - stapelbare Bienenkörbe aus vorgefertigten Styroporboxen, die mit imitierten DDR-Plattenbaufassaden verkleidet sind. Bedauerlicherweise ist das derzeit umstrittenste Bauvorhaben der Republik, Stuttgart 21, nur durch ein Plakat der Projektgegner vertreten.

Gezeigt wird all dies auf rund 8000 Quadratmetern in der 1961 erbauten, riesigen Turbinenhalle des stillgelegten alten Kraftwerks Mitte, die der Ausstellung einen überaus eindrücklichen Rahmen bietet. Allein dieser gewaltige Raum mit seiner einzigartigen zwischen Industriebrache, Werkstatt und Baustelle oszillierenden Atmosphäre ist den Besuch der Schau wert, die von Holzer Kobler Architekturen in Szene gesetzt wurde.

Die Ausstellung selbst lässt viele Fragen offen. Eine ihrer Kernthesen, dass Städte „aus Wünschen gebaut, von Wünschen bewegt und von Wünschen durchlebt" seien, klingt angesichts der aktuellen Auseinandersetzung um Stuttgart 21 nach Verharmlosung und Verschleierung. Abgesehen davon hätte man für „Realstadt" ein stringenteres Konzept entwickeln und die Modelle nach klaren Kriterien gruppieren können. Und natürlich ist niemand in der Lage, die Fülle des hier ausgebreiteten Materials zu bewältigen. Bis zu einem gewissen Grad jedoch macht gerade das Zufällige und Unsystematische den Charme der Ausstellung aus. Völlig unzureichend aber sind die Informationen, die man zu den einzelnen Projekten erhält. Mit zwei, drei dürren Sätzen sind die wenigsten Arbeiten hinreichend erklärt und ein komplexer städtebaulicher Entwurf lässt sich auch beim besten Willen nicht auf eine solche Häppchengröße herunter brechen. So bleiben selbst für ein fachlich versiertes Publikum viele Projekte letztlich unzugänglich. Wenn eine inhaltliche Auseinandersetzung aber nicht möglich ist, taugen die Modelle nur mehr als Schauobjekte. Die Reduktion auf ihren ästhetischen Wert kann aber wohl kaum Sinn der Sache sein. Kurz, hier haben es sich die Ausstellungsmacher entschieden zu leicht gemacht und zu diesem kuratorischen Minimalismus passt auch, dass es keinen Katalog gibt. Zwar soll „gegen Ende der Ausstellung" ein Buch mit „fotografischen Ausstellungsrundgängen" erscheinen, man fragt sich freilich, wen das dann noch interessieren soll.

Realstadt. Wünsche als Wirklichkeit
Vom 2. Oktober bis zum 28. November 2010
Kraftwerk Mitte, Berlin
www.realstadt.de

Alle Fotos © Jan Bitter