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Ausgrabungen im Sediment der Lebensstile
von Markus Frenzl | 25.02.2009

„Selbst die Harmonie-Liebenden lassen sich von dem Design-Virus anstecken, der als Botschafter der neuen Technologien und gesellschaftlichen Utopien die Wohnung auf den Kopf stellt" (1) , „Grau ist das neue Schwarz", oder „Das menschliche Bedürfnis entwickelt sich zur Designaufgabe" (2). - Sprachliche Empfindsamkeit und ein ausgeprägtes Peinlichkeitsempfinden scheinen für den Beruf des Trendforschers eher hinderlich zu sein. Wer sein Geld damit verdient, das Offensichtliche als besonders und das Unvorhersehbare als unanfechtbar darzustellen, der muss anscheinend selbst Dämliches dezidiert vertreten, Plattitüden als Offenbarungen verkaufen und beides idealerweise mit wissenschaftlichem Anspruch und demographischen Fakten unterfüttern. Es ist wohl eines der großen Erfolgsgeheimnisse der Niederländerin Li Edelkoort, dass sie nicht den Fehler macht, Zukunftsprognosen - für die es nun mal keine gesicherten Daten gibt - mit pseudo-wissenschaftlichen Erklärungen oder Marketingfloskeln zu rechtfertigen. Sie verlässt sich ganz auf ihre subjektive Wahrnehmung, filtert alle Informationen in ihrem Kopf und verdichtet sie zu überzeugenden Langzeit-Prognosen. Sie schafft es, in ihren Trendbüchern oder Magazinen mit Bildern von Menschen, Pflanzen, Objekten, Materialien und Farben, ihre Eindrücke von zeitgenössischen Entwicklungen so emotional und stimmig zu vermitteln, dass sie damit selbst nüchterne Zeitgenossen zu berühren und Trendforschungsskeptiker zu überzeugen vermag. Anders ausgedrückt: Wenn schon Zukunftsvisionen, dann wenigstens mit ehrlichem Pathos und nicht als Wissenschaft verkleidet.

Die 1950 geborene Lidewij Edelkoort zog 1975 nach Paris und baute seitdem ein Trend-Imperium aus ihrem Büro „Trend Union", diversen Consultingunternehmen, einem Verlag mit Magazinen wie „view on colour" und „bloom" und Niederlassungen in Paris und New York auf. Sie gilt als eine der einflussreichsten, vielleicht sogar als die bedeutendste Trendforscherin der Welt. Sie berät Unternehmen wie Camper, Gucci, Moooi, Nissan oder Siemens zu Trendentwicklungen und Lebensstilen. Farbtrends, die sie prognostiziert, werden von den Herstellern begeistert aufgegriffen und in Produkte umgesetzt, die dann im Laden ihre Prognose bestätigen. In den vergangenen zehn Jahren hat sie darüber hinaus als Präsidentin der Designakademie Eindhoven den Ruf der Schule als Kaderschmiede des Avantgarde-Designs verstärkt. Natürlich ist es auch die Aura der Person Li Edelkoort, die zu ihrem Erfolg beigetragen hat. Zwar sieht sie es angeblich nicht gerne, wenn sie in den Medien als „Seherin" oder „Hohepriesterin " betitelt wird, doch wer in wallenden Gewändern und mit streng nach hinten gekämmten Haaren bedeutungsschwere Zukunftsprognosen ausspricht, die keinen Widerspruch dulden, darf sich über religiöse Assoziationen nicht wundern.

In der Ausstellung „Archeology of the Future", die seit Ende Januar im Pariser Institut Néerlandais zu sehen ist, werden erstmals die vergangenen 20 Jahre ihrer Arbeit vorgestellt. Wie nicht anders zu erwarten, ist es keine Ausstellung, die nüchtern Edelkoorts Trendbücher oder Prognosen präsentiert und mit der Wirklichkeit vergleicht, sondern eine außergewöhnliche Inszenierung der großen Lifestyle-Tendenzen der letzten zwanzig Jahre, „eine Zeit der Horrorgeschichten", so Edelkoort, „und eine Zeit der kreativen Reaktionen auf die Angst". Es ist eine eindrucksvolle und gelungene Ausstellung, in der Edelkoort eine Fülle von Designentwürfen, Objekten, Fotos und Filmen zu Stilleben und Wunderkammern arrangiert, die ihre Prognosen noch anschaulicher machen als ihre Magazine. Dafür hat sie die von ihr ausgemachten gestalterischen Strömungen der letzten zwei Jahrzehnte zu handlichen Begriffspaaren zusammengefasst: Body und Soul, Global und Local, Flora und Fauna, Urban und Rural, Armour und Amour, Abstraction und Narration. Schon im Eingangsbereich der Ausstellung empfängt den Besucher eine Armada von Teddybären, die Li Edelkoort bereits in ihrem ersten Trendbuch von 1987 als soziologisches Phänomen analysierte, in dem sich eine neue Sehnsucht nach Kindheit und Unschuld ausdrückt. Sie erzählt die Geschichten von Trend-Phänomenen wie der Farbe Pink, dem Nude-Look, der wiederentdeckten Begeisterung für Lebensmittel, Gärten und Pflanzen. Sie zeigt die gestalterische Auseinandersetzung mit den Themen Körper und Alter, mit narrativen Aspekten, mit Traditionen, Brauchtum und Handwerk auf. Oder sie veranschaulicht - im ersten Stock der Ausstellung - mit Objekten von Hella Jongerius, Vincent van Duysen, Julian Opie, Jurgen Bey oder Studio Job ihre Prognose von einem neuen ländlichen Leben, das wir in den nächsten Jahrzehnten anstreben und aufbauen werden. Denn all diese Strömungen betrachtet Li Edelkoort als langfristige Entwicklungen, die vor fünfzehn oder zwanzig Jahren begannen und bis in Gegenwart und Zukunft reichen: „Es gibt dieses riesige Missverständnis von Trends, das durch die Modesaisonen und die Notwendigkeit der Magazine, laufend über Neues zu berichten, entstanden ist und so die ganze Logik der Lifestyle-Bewegungen zerstört hat. Ich bin nur an den großen, dauerhaften Entwicklungen interessiert". Wer so langfristig denkt, der schließt selbst in einem Rückblick auf die Arbeit der letzten zwanzig Jahre die Zukunft ein: Die Ausstellung, darauf legt Edelkoort Wert, ist keine Retrospektive, sondern umfasst die Jahre 1990-2010, „sie geht also noch bis in die Zukunft, aber die ist für mich bereits erledigt".

„Archeology of the Future - 20 Years of Trend Forecasting with Li Edelkoort"
22. Januar bis 8. März 2009
Institut Néerlandais, Paris
www.institutneerlandais.com

27. März bis 31. Mai 2009
Designhuis Eindhoven
www.designhuis.com


1) Trendbook imm cologne 2009, S. 22
2) 3. stilwerk Trendstudie, 2009, hrsg. von Stilwerk GmbH, Hamburg, S. 5

AMOUR © Anthon Beeke for view on colour
ABSTRACTION © Dmon Prunner for view on colour special issue for Issey Miyake
FLORA © Michael Baumgarten for bloom
FAUNA © Thomas Straub for view on colour
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BODY © Marcel van der Vlugt for view on colour
AMOUR © Zia Ziprin for view on colour
LOCAL © Karin Nussbaumer for view on colour
RURAL © Imke Klee for Trend Union
URBAN © Thomas Straub for view on colour
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Li Edelkoort; © Trend Union, Marie Taillefer