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Der Baustoff der Zukunft
von | 17.04.2015
Die Arena de Amazonia in Manaus, Brasilien mit einer Membranoberfläche aus Glas/PTFE, 2014. Foto © CENO Tec

Leichtigkeit, Korrosionsbeständigkeit und Materialeffizienz: Ohne diese Schlagworte lässt sich die Architektur von morgen nicht denken. Realisieren lässt sie sich zum Teil schon heute – dank neuer Baustoffe wie Textilbeton und anderer faserbasierter Materialien. Wie nah die Zukunft des textilen Bauens ist, wird auch die diesjährige Fachmesse Techtextil in Frankfurt am Main zeigen, auf der Forscher und Hersteller ihre aktuellen Bau- und Architekturentwicklungen präsentieren.

Drinnen Spätzle, draußen Faser: Fassade eines mit Textilbetonplatten bestückten Restaurants im baden-württembergischen Dormettingen, Architektur: Fahrner und Kölmel, Balingen-Ostdorf. Foto © Solidian GmbH
Detail der Fassadenplatten – Die Stahlbetonalternative wäre nicht nur doppelt so dick, sondern auch doppelt so schwer gewesen. Foto © Solidian GmbH

Einige der Entwicklungen haben sich bereits am Markt bewährt, etwa bei einem vom Architekturbüro Fahrner und Kölmel entworfenen Restaurant „Am Schiefersee“ im SchieferErlebnis-Park im baden-württembergischen Dormettingen: Dort bilden seit kurzem Hightech-Textilien die Außenfront des Gebäudes. Auf 400 Quadratmetern „schützen“ diese als Fassadenplatten aus sogenanntem Textilbeton die Gäste beim Spätzle. Die faserbasierten Platten, jede etwa vier Meter lang und nur 50 Millimeter dick, erbrachten gegenüber Stahlbetonalternativen eine Gewichts- und Betonersparnis von 50 Prozent.

„Mit dem Projekt konnten wir das Potenzial des textilen Bauens bei Material- und Ressourceneinsparung zeigen“, sagt Dr.-Ing. Christian Kulas, Abteilungsleiter für Textilbeton bei der projektbeteiligten Solidian GmbH. Die wurde 2013 von Groz-Beckert, einem Traditionshaus zur Herstellung von Produkten für Textilfertigungs- und Fügeverfahren, eigens für das textile Bauen gegründet. Was aber ist Textilbeton?

Glasfasergelege: Der Blick ins Innere einer Fassadenplatte aus Textilbeton zeigt gut sichtbar die Gitterstruktur. Foto © R. Thyroff

Fasergitter statt Stahl

Üblicherweise bilden Gitter aus Stahl das Rückgrat von Beton: Sie verleihen Stabilität und gleichen die fehlende Zugfähigkeit des Baustoffes aus. Bei Textilbeton, dessen Erforschung und Entwicklung allein in Deutschland über 20 Jahre gedauert hat, fungieren indes in Kunststoff ausgehärtete 2D- und 3D-Textilgelege aus Glas- oder Carbonfasern als Bewehrung. Die Vorteile sind enorm: Stahl rostet und wird deshalb mit Tonnen von Beton ummantelt, Textilbeton hingegen ist korrosionsbeständig, also weniger anfällig für Rost und Risse durch Salze, Wasser und andere Umwelteinflüsse – das macht ihn langlebiger, spart so Kosten für Instandhaltung und Sanierung.

Weil für Textilbewehrungen, die zudem weitaus stabiler als Stahl sind, weniger schützender Beton benötigt wird und transportiert werden muss, lassen sich der Material- und Ressourceneinsatz sowie der CO2-Ausstoß massiv verringern. Aufgrund der verbesserten Werkstoff- und Materialeigenschaften wie geringe Dicke bei hoher Festigkeit, sind zudem flexiblere und filigranere Gestaltungsweisen – etwa stark verwinkelte Schalenbauten – möglich.

Filigran und ästhetisch: ein mit einem patentierten Herstellungsverfahren entwickelter Schalen-Prototyp der Hochschule Anhalt. Foto © IMS e.V.

Symbiose von Carbon und Beton

Die Symbiose von Carbon und Beton führe zu einer neuen Art des Konstruierens und Bauens, sagt denn auch der Direktor des Dresdner TU-Instituts für Textilmaschinen und textile Hochleistungswerkstofftechnik, Chokri Cherif: „Der Betonbau der Zukunft zeichnet sich durch Filigranität, Leichtigkeit und Ästhetik aus.“ Auch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) ist von der Zukunftsfähigkeit des Leichtbauwerkstoffs überzeugt: Mitte 2013 wurden 45 Millionen Euro für das Konsortium „C3 – Carbon Concrete Composite“ zur Verfügung gestellt, dessen mittlerweile 119 Verbundpartner das Bauen und die Instandsetzung wirtschaftlicher, effizienter und ökologisch nachhaltiger gestalten wollen. Die bautextile Revolution – sie geht Schritt für Schritt voran.

So gab beispielsweise das Deutsche Institut für Bautechnik (DIBt) 2014 erstmals grünes Licht für den carbonfaserverstärkten Leichtbau und erteilte dem Verfahren zur Verstärkung von Stahlbeton mit Tudalit®-Textilbeton die bauaufsichtliche Zulassung. „Ein Meilenstein“, wie Roy Thyroff, Geschäftsführer des Tudalit-Textilbetonverbandes und der V. Fraas Solutions in Textile, betont. Bauherren, Architekten und Planer könnten den innovativen Baustoff im Innenbereich nun gezielt anwenden, ein spezielles Schulungsprogramm am Europäischen Institut für postgraduale Bildung sei bereits installiert. Und weitere Zulassungen sind in Planung: Aktuell etwa bewertet das DIBt laut Solidian-Abteilungsleiter Kulas Sandwichfassaden, komplette Fertigteilgaragen und sogar ganze Fußgängerbrücken – deren Zulassung voraussichtlich schon 2016 erteilt wird.

Textilmembranen aus Deutschland überdachen seit Jahrzehnten überall auf der Welt Hallen, Sportstadien und Flughäfen – hier die Medienlounge Hamburg von Ostermann Architekten mit H. Fletcher, Hamburg 2006. Foto © IMS e.V.
Detailaufnahme der Verankerungen der Medienlounge. Foto © Ostermann Architekten mit H. Fletcher

Forschung als Fundament

Zwar sind gigantische Stadiondächer aus sogenannten Textilmembranen, bunt leuchtende Fassaden aus Textilbeton sowie textile Dämm- und Dachmatten zur Wärmedämmung und Begrünung längst „State of the Art“, doch sie alle eint, dass jahrelange Forschung ihr Fundament bildet. Dabei sind die Bereiche Bau und Architektur sind nicht die ersten, die von Fasern erobert werden: „Wir haben bereits beim Flugzeug- und Automobilbau miterlebt, wie Leichtbauwerkstoffe in Form technischer Textilien klassische Materialien sinnvoll ergänzen und zum Teil ersetzen können“, so Klaus Jansen, Leiter des Forschungskuratoriums Textil, einer Dachorganisation für bundesweit 16 Textilforschungsinstitute.

Aktuelle Forschungsprojekte befassen sich beispielsweise mit der verstärkten Verwendung von Naturfasern wie Flachs oder Hanf zum Einsatz in naturidentischen Dämmstoffen und zum Gebäudeneubau, mit textilen Baustoffen für energiegewinnende und -autarke Häuser, selbstreinigenden Gebäudeoberflächen, Leichtbaustrukturen nach bionischen Vorbildern und – laut Experten ein Zukunftsbereich mit gewaltigem Potenzial ¬– der textilbasierten Sensorik. Durch sie sollen künftig faserbasierte Gebäude(teile) mit intelligenten Zusatzfunktionen wie Beleuchtung, Messung des Feuchtegehalts oder der Stabilität, Beheizbarkeit, Warnung bei Rauch- und Brandentwicklung oder Wassereintrag versehen werden. Die Zukunft des textilen Bauens – sie hat längst begonnen.

Techtextil: 4. bis 7. Mai 2015 in Frankfurt am Main
Als zweijährlich stattfindende internationale Leitmesse zeigt die Techtextil vom 4. bis zum 7. Mai alle Produktgruppen und Anwendungsbereiche technischer Textilien und Vliesstoffe, unter anderem auch aus den Bereichen Bau und Architektur.
Weitere Informationen unter www.techtextil.messefrankfurt.com

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Das Stadion Buyodkor in Taschkent, Usbekistan mit einer Dachkonstruktion aus 64 Fassadensegeln wurde 2012 von Sattler Architekten errichtet. Foto © CENO Tec
Der Bahnhof am Flughafen in Leipzig mit Segelüberspannung. Foto © CENO Tec