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Die Sprengung des Gewohnten
von Thomas Edelmann | 04.05.2011

Wie nur soll man als internationaler Besucher mit den komplizierten Namen und Standorten deutscher Designhochschulen auf den Fuori Salone in Mailand klarkommen? Wer sich international präsentieren will, sucht entweder sein Heil in Anglizismen oder geht den Weg der Hochschule für Gestaltung (HfG) Karlsruhe. Bereits zum dritten Mal zeigen die Produktdesigner der HfG ihre wachsende Edition unter dem sperrig-einprägsamen Namen „kkaarrlls“ – je zweimal, k, a, r, l und einmal s – im Spazio Crispi Tre. Im Norden der Innenstadt gegenüber der Porta Garibaldi, hat sich die Schau zu einem wichtigen Anlaufpunkt für alle etabliert, die an einer neuen Sicht auf die Dinge interessiert sind.

Wer an der Außentür klingelt und den Innenhof der Galerie betritt, trifft zunächst auf spielende Kinder. Und mit den Dingen spielen auch die Designer, die hier ihre Projekte und Ideen vorstellen. Nicht weniger als einen „grundsätzlichen Beitrag zur aktuellen Designdiskussion“ wollen die Studenten und Hochschullehrer aus der badischen Provinz liefern. Möbel, Leuchten und Accessoires, die hier zu sehen sind, was ihre Konstruktion, Konfiguration oder Materialität betrifft, konsequent anders, heißt es in einer einleitenden Beschreibung. Die „absolut unvoreingenommene Sicht auf die Dingwelt und ihre inneren Zusammenhänge“ habe zu tun mit einer Generation von Designern, die schon aufgrund ihrer Vita anders dächten, handelten und anders lebten, wird dort behauptet. Jedenfalls gelingt es ihnen mit andersartigen Objekten, über Auge, Hand und Hirn eine andere Emotionalität anzusprechen als die, auf die es die etablierten Markenhersteller abgesehen haben.

Volker Albus, seit 1994 Professor an der HfG sowie bekannter Ausstellungsmacher, Autor und Designer ist Spiritus Rector des Projektes, das er zusammen mit Stefan Legner leitet. Doch auch die kontinuierlich in Karlsruhe lehrenden Designer wie Hansjerg Maier-Aichen, oder Bless (Ines Kaag und Desirée Heiss), sowie die zeitweise dort aktiven Werner Aisslinger, Jurgen Bey, Stefan Diez und James Irvine, haben Anteil an dem Selbstverständnis der Karlsruher als Fragensteller und Erneuerer eines auf vordergründige Verkaufbarkeit ausgerichteten Designbegriffs.

Wer die diesjährige Präsentation besuchte, bekam zunächst eine Dose Champagner überreicht, montiert auf den Saugnapf-Adapter „Stil“ von Flo Schwab. Das Aluminium-Objekt, in einer Auflage von zunächst fünfzig Stück hergestellt, verhindert, dass sich das Getränk erwärmt, während man es in der Hand hält. Dann sind da die Materialexperimente: Peter Schäfer greift zu Absperrklebeband – weiß-rot oder schwarz-gelb gestreift – und wickelt und stülpt daraus Gefäße, die so ganz anders erscheinen als das Ausgangsmaterial. Eva Marguerre & Marcel Besau, (sie ist bereits bekannt durch den Hocker „Nido“, der an der Hochschule entstand, in der ersten „kkaarrlls“-Schau zu sehen war und mittlerweile bei Magazin zu haben ist), bauten aus elastischem Garn und Kunstharz die Schale „MOA“ mit vielen Farbwechseln und dem Durchmesser von 130 Zentimetern. Nein, nicht skulpturale Selbstreferenz sei intendiert, sondern vollkommen neue Produkte, auch wenn Macher und Initiatoren noch nicht so ganz benennen können, welche.

Anders sieht es aus beim „Schlummerschlauch“ von Daniel Wandres, einer Luftmatratze nach „diogenetischem Prinzip“ wie Albus scherzt. Manche Dinge sind auch nur einfach rätselhaft schön wie die „Tubarose“, eine Pflanzenschaukel, die den Wasserzufluss selbst regelt und in eine veränderte Position kippt, sobald Wasser nachgefüllt werden muss. Besucher der imm cologne konnten Anne Lorenz’ „Home Traveller“, eine Tasche zur Aufbewahrung als flexible Alternative zu Schrank oder Kommode bereits dort in einer noblen Lederversion erleben. In Mailand gab es bei kkaarrlls die etwas einfachere Textilvariante. Eine der Höhepunkte der Edition 2011 ist sicher die „Moody Couch“ von Hanna Emelie Ernsting, ein „Zwei-in-Eins“-Objekt der besonderen Sorte: Statt sich auf dem Sofa in eine extra Decke zu hüllen, bietet Moody ein flexibles Überwurfmaterial, das fest mit dem darunterliegenden Polster verbunden ist. Es lässt sich – einzeln oder zu mehreren – als Unterschlupf, Umhüllung, wärmende Decke oder Versteck nutzen und bietet so viel mehr als manches Funktionssofa. Ein weiterer Höhepunkt ist das Projekt „explosit“, das Tina Becker anhand eines Films und mehrerer Stahlplatten zeigt. Die Designerin hat sich für ihr Vordiplom, begleitet von Experten des THW Braunschweig mit der Frage beschäftigt, wie man die Kraft von Sprengungen nutzen kann, um gezielte Verformungen von massivem Stahl zu bewirken. Am Ende ihrer Versuchsreihe steht dabei eine mehrfach geknickte Platte, die von ferne an den „Panton Chair“ erinnert. Formfinden als explosive Beschäftigung. Wer die Mailänder Schau verpasst hat, der reise demnächst nach Karlsruhe. Dort widmet das Badische Landesmuseum kkaarrlls eine eigene Ausstellung.

www.kkaarrlls.com

Design: kkaarrlls! – Perspektiven für den Hausrat von morgen
Vom 20. August 2011 bis 8. Januar 2012
Badisches Landesmuseum, Karlsruhe
www.landesmuseum.de

Moa von Eva Marguerre & Marcel Besau
Home Traveller Textile Edition von Anne Loren
Bow Bowls von Cordula Kehrer
Explosit von Tina Becker
Tape Pot von Peter Schäfer, alle Fotos: Dimitrios Tsatsas, Stylepark
Moody Couch von Hanna Emelie Ernsting
Schlummerschlauch von Daniel Wandres
Bow Bowls von Cordula Kehrer
Nook von Wolfgang Zender
Stil von Flo Schwab