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Ich bin ein „freaky perfectionist“
21.04.2015
„Ich dränge mich niemandem auf“ - Jaime Hayon bei Magis auf dem Salone, wo er „Milà" vorstellte. Foto © Robert Volhard, Stylepark

Dieses Jahr war es eindeutig ein „Jaime Hayon-Salone“: Kein anderer Designer war so präsent wie der 40-jährige Spanier. Für MINI hat er seine „Urban Perspectives“ samt eines elektrisch betriebenen Motorrollers vorgestellt, bei Cassina erinnerte er mit einer „Réaction Poétique“ an den großen Le Corbusier, für Ceccotti präsentierte er einen Sessel und eine Leuchte, einen Affen als Tisch für BD Barcelona, Armbanduhren für Orolog, mit „Fri“ für Fritz Hansen das kleine Geschwister zu „Ro“, für Bosa kunterbunte Vasen, im Garden of Wonders inszenierte Hayon die längst verschwundene Parfummarke Broissard und für Magis entwarf er zum ersten Mal in seinem Leben einen Stuhl aus Kunststoff. Uta Abendroth hat das Allround-Talent bei Magis getroffen, um mit ihm über die Zusammenarbeit mit Herstellern, den Punkt der Perfektion und über Gaudí als Inspirationsquelle zu sprechen.

Uta Abendroth: Jaime Hayon, es gibt wohl kaum einen Designer, der ästhetisch so Verschiedenes aus dem Hut zaubert wie Sie. Haben Sie überhaupt einen roten Faden?

Jaime Hayon: Es ist doch so: Ich arbeite mit verschiedenen Leuten und Firmen, ich kollaboriere. Und das bedeutet, man entwickelt gemeinsam ein Projekt, man macht das im wahrsten Sinne des Wortes zusammen. Ich dränge mich niemandem auf. Ich habe herausgefunden, dass Unternehmen ganz gerne mit mir arbeiten, weil ich niemandem etwas aufdränge, sondern wir in einen Dialog treten und daran feilen, einander als Hersteller und Gestalter zu verstehen. Zusammen wollen wir doch etwas Fantastisches machen, darum geht es mir vor allem.

Und dann kommt dabei jedes Mal etwas so Unterschiedliches heraus?

Hayon: Aber ja! Schließlich geht es doch auch jedes Mal um etwas anderes. Wenn wir zum Beispiel über Lladro reden, da geht es um Porzellanfiguren, bei Baccarat um Kristall, bei Fritz Hansen um dänisches Design und Polstermöbel, bei Cassina um Italien und hochwertiges Leder. Jede Firma hat ihre DNA und die ist ein Detail der Perfektion des Objektes.

Geht es Ihnen vor allem um Perfektion?

Hayon: Ich bin ein extremer Perfektionist, wenn es um Dinge geht ¬– und diesen Punkt der Perfektion muss ich finden. Ich möchte nicht mit jemandem arbeiten, der mir sagt, „komm’ und bring mir ein fertiges Objekt, eine Lösung“. Ich möchte mit Ideen arbeiten. Oder, um ein Beispiel zu nennen, mit den besten Polsterern. Die werden mir sagen, wie man es am besten macht. Bei „Vico“ für Cassina habe ich sie an die Grenzen des Machbaren getrieben, denn statt das Gewebe mit dem Rahmen zu verkleben, wurde es um die Struktur herum gearbeitet. Nur, wenn wir uns gegenseitig herausfordern, haben wir Spaß.

Hatten Sie Spaß bei der Entwicklung von „Milà“?

Hayon: Allerdings! „Milà“ war eine echte Herausforderung für mich, denn normalerweise arbeite ich mit Materialien wie Holz, Metall oder Keramik, die eine tausendjährige Tradition im Rücken haben. Der Stuhl für Magis ist aus Plastik und ich bin sehr zufrieden damit.

Weil Kunststoff so ein tolles Material ist?

Hayon: Nein, eigentlich mag ich Kunststoffe überhaupt nicht. Und „Milà“ ist der erste Plastikstuhl, den ich je gemacht habe. Ob ich noch mal einen machen werde, weiß ich nicht.

Aber dieser Versuchung konnten Sie nicht widerstehen?

Hayon: So ungefähr. Als Magis mich fragte, ob ich je einen Plastikstuhl gemacht hätte, musste ich verneinen. Ich habe mich extra noch mal rückversichert und gefragt: „Wollt Ihr das wirklich mit mir machen?“ Und Eugenio Perazza sagte: „Ja, ich will das gerade mit Dir machen, weil Du so ein Produkt noch nie gemacht hast!“

Sind Sie glücklich mit dem Ergebnis?

Hayon: Sehr! Natürlich sieht man, dass es sich um einen Plastikstuhl handelt. Aber ich wollte das mit dem Plastik ausreizen, eine komplexe Form entwickeln, sie sexy machen und vor allem nicht billig. Das war mein Fokus. Wenn man aus einiger Entfernung auf „Milà“ schaut, denkt man, es handele sich um einen gepolsterten Holzstuhl, das Material sei Mahagoni. Aber so wie der Stuhl da steht, sind die Verbindungen nur in Plastik möglich. Für mich bedeutet das, dass der Stuhl visuell reich ist. Er wirkt ausgesprochen elegant und nobel für ein Plastikmöbel.

Da haben Sie ganz schön viel in einen Stuhl gepackt, oder?

Hayon: Das Produkt war eine wirkliche Herausforderung. Ich weiß nicht, ob ich je einen anderen Plastikstuhl gestalten werde. Aber wenigstens habe ich erfahren, wie es ist, einen solchen Stuhl zu machen – es ist nicht einfach! Und das aus verschiedenen Gründen: Man braucht extrem teure Gussformen und man muss sich wirklich sicher sein in dem, was man tut. Da kamen Techniken zum Einsatz, die ich so noch nicht kannte, an die ich nicht gewöhnt bin.

Können Sie das genauer erklären?

Hayon: Magis hat diese fantastische Technik, bei der Luft in das Plastik eingespritzt wird. So kann man mit der Stärke des Materials spielen, verschiedene Abschnitte dünner oder dicker machen. Für mich war das eine echte Entdeckung. Außerdem sind die Maschinen für die Gussformen ein wahres Stück Ingenieurskunst – über so einen Stuhl wie „Milà“ könnte man ein Buch schreiben, wie er entsteht…

Das heißt, Sie haben von dieser Kooperation profitiert?

Hayon: Auf jeden Fall! Diese Zusammenarbeit ist für mich ein gutes Beispiel, da greifen meine Idee und das Produktionswissen auf Seiten der Firma perfekt ineinander und ergänzen sich. Ich arbeite nur mit Herstellern zusammen, die mich anstacheln und stimulieren. Darin ist Magis sehr gut.

Haben Sie solche Erlebnisse auch mit anderen Herstellern?

Hayon: Ja, etwa mit Cassina. Mit ihnen an den Holzobjekten für „Réaction Poétique“ zu arbeiten war großartig. Sie haben die Entwürfe für die Tische und Tabletts gleich gemocht, fühlten sich an alte Zeiten mit Franco Albini erinnert und waren sehr enthusiastisch bei dem ganzen Projekt.

Ist die Vergangenheit für Sie denn eine Inspirationsquelle? Personen wie Le Corbusier?

Hayon: Manchmal schaue ich zurück, aber eigentlich ist meine Inspirationsquelle so ziemlich alles, was mich umgibt. Schwarz kann ein Thema sein oder eine Straße, auf die ich gerade schaue. Die Frage ist dann, was man davon nehmen kann, um es in ein Produkt zu verwandeln. Bei dem Stuhl für Magis war die Idee, „lass ihn so aussehen, als wäre er ein super-teurer Holzstuhl“. Das ist ein Konzept, eine Idee, ein Thema. Dann ging es darum, mit der Idee zu spielen, mit den Winkeln, als wäre es ein Gaudí-Stuhl. Ja, ich glaube, wenn Gaudí jetzt leben würde, er würde Plastikstühle machen, denn er war ein Erneuerer, ein Erfinder.

Also steht das Material im Fokus eines Entwurfs – und nicht die Form?

Hayon: Es geht darum, Technologien zu verwenden, die uns heute zur Verfügung stehen, sich von ihnen anregen zu lassen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Die Materialität ist eine Komponente, die ein Produkt bereichern kann, aber es hat nicht allein dadurch eine Daseinsberechtigung. Es reicht nicht, ein neues Produkt wegen eines neues Materials oder einer neuen Technik zu machen. Manche Leute tun das, weil sie in einer sehr materialistischen Welt leben. Ich glaube, das ist nicht genug. Man muss eine Geschichte erzählen und nur die Kombination aus Erzählung und Material wird die Geschichte größer und lebendig machen.

www.hayonstudio.com

  • Mit „Milà“ für Magis hat Hayon seinen ersten Stuhl aus Kunststoff geschaffen. Foto © Magis
  • „Magis hat diese fantastische Technik, bei der Luft in das Plastik eingespritzt wird“, sagt Hayon. Foto © Magis
  • Im Orto Botanico inszenierte Hayon die verschwundene Parfümmarke Broissard. Foto © Martina Metzner, Stylepark
  • Mit „Réaction Poétique“ für Cassina lehnt sich Jaime Hayon an den großen Le Corbusier an. Foto © Cassina
  • „Fri“ für Fritz Hansen ist das kleine Geschwister von dem großen Ohrensessel „Ro“. Foto © Fritz Hansen
  • „Bèrgere” Sessel für Ceccotti
  • – aus Holz, nicht aus Kunststoff. Foto © Cecotti
  • Und „Saint Louis”, ebenfalls für Ceccotti. Foto © Ceccotti
  • Hayons Interpretation des Elektro-Minitretrollers für MINI. Foto © MINI
  • Der Affe muss sein: Des Spaniers neuste Vasen für Bosa. Foto © Bosa