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Muster der Moderne
von Ralf Wollheim | 11.02.2012
Zentraler Raum des Hauptgebäudes, 1981/82, Foto © Ishimoto Yasuhiro

Das klare grafische Raster der äußerst leichten Konstruktionen und die Kontraste zwischen den unterschiedlich gemusterten Flächen prägen auch die Fotografien aus den fünfziger Jahren. Einfache, repetitive räumliche Strukturen ergeben sich aus jedem Detail: Aus den Matten auf dem Boden, den Rahmen der verschiebbaren Paneele und deren unterschiedlichen Ausfachungen sowie den Balkenkonstruktionen der Decken. Die offenen, minimalistisch umhüllten Räume der Villa Katsura erinnern den westlichen Betrachter sofort an Klassiker der Moderne wie das Case Study House der Eames oder an Bauten von Egon Eiermann und Mies van der Rohe.

Die Ähnlichkeiten sind verblüffend. So schrieb Walter Gropius während einer Japanreise an Le Corbusier über den Katsura-Palast: „Lieber Corbu, alles wofür wir gekämpft haben, hat seine Parallelen in der altjapanischen Kultur ... Das japanische Haus ist das beste und modernste, das ich kenne und wirklich vorfabriziert." Auch Bruno Taut, der seit 1933 als Emigrant in Japan lebte, erklärte die Villa zu einem historischen Vorläufer des Internationalen Stils. Sein Buch „Nippon mit europäischen Augen gesehen" wurde in Japan seit den dreißiger Jahren ein immer wieder aufgelegter Bestseller. Der Anschluss an die westliche Moderne erhielt darin durch ausgesuchte Beispiele in Kunst, Design und Architektur einen Bezug zur eigenen Vergangenheit.

Wie Christian Wolsdorf vom Bauhaus-Archiv bei einem Rundgang durch die Ausstellung erzählt, würden Japanologen die Villa Katsura allerdings eher dem Manierismus zuordnen. Die Architektur sei eher untypisch, ungewöhnlich schlicht und gradlinig, verglichen mit den Tempeln und Schreinen, die in Kyoto aus derselben Zeit überliefert sind und die heute zum Weltkulturerbe zählen. Die selektive Wahrnehmung westlicher Architekten hat die Villa trotzdem berühmt gemacht – und der kürzlich verstorbene Fotograf Yasuhiro Ishimoto hat mit seinen Bildern wesentlich dazu beigetragen.

Dabei ist die Villa kein homogenes Gebäude, sondern wurde von verschiedenen Generationen umgebaut und erweitert. In einem 50.000 Quadratmeter großen Wandelgarten mit einer ausgedehnten Teichlandschaft wurde 1620 mit dem Bau einer relativ bescheidenen Villa für den Prinzen Toshihito begonnen. Sein Sohn erweiterte das Gebäude in zwei Bauabschnitten, so dass der Grundriss heute für das Haupthaus über dreißig Räume aufweist. Hinzu kommen Teepavillons und andere Nebenhäuser inmitten des malerischen Parks. Der ist für Nichtarchitekten die eigentliche Attraktion, aber auf den Fotos von Ishimoto taucht die raffiniert komponierte Landschaft nur am Rande auf. Verschwindet bei anderen Fotografen die Villa beinahe hinter den pittoresken Bäumen, so beherrschen architektonische Details die Bilder von Ishimoto.

Für eine Ausstellung des Museum of Modern Art in New York reiste der 1921 in San Francisco geborene Sohn japanischer Eltern 1953 zum ersten Mal nach Japan, fotografierte die Villa und kehrte bald zurück, um Bilder für eine ausführlichere Dokumentation zu machen. Für eine reine Architekturfotografie sind die meisten Bilder zu abstrakt, zu wenig didaktisch angelegt. Sie verrätseln den Bau eher, als dass sie seinen Aufbau und seine Konstruktion vermitteln. So sind in der Ausstellung nur wenige erklärende Gesamtansichten zu sehen. Was Ishimoto sucht – und auch findet –, sind grafische Strukturen, selbst in den eher seltenen Pflanzenfotos. Es ist ein sehr moderner Blick, an der Abstraktion geschult und kühn komponierend. Die Architektur mit ihren Rastern aus Pfosten und Schiebetüren liefert somit das Material für Kompositionen, die manchmal fast an Gemälde von Mondrian erinnern. Die Klarheit der Konstruktion wird in den Fotos zu einem strengen Koordinatensystem, das Spiel mit Oberflächen und räumlicher Tiefe erzeugt eine Spannung, die die Räume manchmal spektakulärer erscheinen lässt, als sie sind. In den häufig gerade einmal 22 mal 28 Zentimeter großen Abzügen in Schwarz-Weiß erkennt man erst bei näherem Hinsehen die Dichte zarter Strukturen, die von feinen Holzmaserungen oder Papier, von Gewebe bis hin zu den flimmernden Liniengeflechten der Schindeldächer herrühren. Der Reiz der Bilder ergibt sich aus diesen fast abstrakten Flächenmustern, die gleichwohl räumlich verstanden werden können. Dabei ist es der lichte, weite Raum, der markiert und umschlossen wird, und die Raumfluchten so modern erscheinen lässt. Oder eben traditionell, je nach Interpret.

Bekannt wurden Katsura und auch Yasuhiro Ishimoto vor allem durch ein gleichnamiges Buch das Kenzo Tange, als radikaler Vertreter der Moderne, initiierte, Herbert Beyer grafisch gestaltete und zu dem Walter Gropius einen Text schrieb. Eine Generation später, nun mit farbigen Aufnahmen von Ishimoto, gibt Arata Isozaki ein weiteres Buch zu Katsura heraus. Ganz im Sinne der Postmoderne wird diesmal die Vielfalt der verschiedenen Gebäudeteile betont. In der Ausstellung ist also eher ein Nachfolger der Bauhaus-Fotografie zu entdecken als formale Analogien in der Architektur. Denn Ishimoto studierte am Institute of Design in Chicago, der Nachfolgeinstitution des New Bauhaus, gegründet von Lásló Moholy-Nagy. Und hier schließt sich der Kreis, Ishimoto schenkte dem Bauhaus-Archiv 55 seiner Bilder, die zum Teil in der Ausstellung zu sehen sind.

Die kaiserliche Villa Katsura. Fotografien von Ishimoto Yasuhiro
Von 18. Januar bis 12. März 2012
Bauhaus-Archiv, Berlin
www.bauhaus.de

Zentraler Raum des Hauptgebäudes, 1981/82, Foto © Ishimoto Yasuhiro
Interieur des Shokintei‐Teepavillon, 1953/54, Foto © Ishimoto Yasuhiro
Hauptgebäude, 1981/82, Foto © Ishimoto Yasuhiro
Nordseite des sogenannten Drei‐Matten‐Raums, einem Teil des Musikraums, 1981/82, Foto © Ishimoto Yasuhiro
Ansicht des ersten und zweiten Bauabschnitts von Süden des Hauptgebäudes, 1953/54, Foto © Ishimoto Yasuhiro
Gartentür hinter dem Eingang, 1953/54, Foto © Ishimoto Yasuhiro
Steinweg, 1953/54, Foto © Ishimoto Yasuhiro
Unterseite des Dachs des Gepparo Pavilions, 1953/54, Foto © Ishimoto Yasuhiro
Hauptgebäude, 1981/82, Foto © Ishimoto Yasuhiro
Steinweg, 1953/54, Foto © Ishimoto Yasuhiro